Finanzen / Bilanzen

Deutlicher Produktionsrückgang in der Chemieindustrie

Keine Industriebranche in Deutschland ist derart stark von der Gasknappheit und den gestiegenen Gaspreisen betroffen wie die Chemieindustrie. Das Produktionsniveau der Branche lag im Oktober 2022 um 22,5% unter dem Wert des 4. Quartals 2021. Auch in der mittleren Frist haben sich die Perspektiven der Chemieindustrie am Standort Deutschland verschlechtert.

Keine Industriebranche in Deutschland ist derart stark von der Gasknappheit und den gestiegenen Gaspreisen betroffen wie die Chemieindustrie. Sie führt die Rangliste der industriellen Gasverbraucher mit einem Anteil von etwa 30% an. Die umfangreichen Einsparungen an Gas, die die deutsche Industrie seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine vornehmen musste, wären ohne eine Reduktion der inländischen Fertigung in der Chemieindustrie nicht möglich gewesen. In der Folge lag das Produktionsniveau der Branche im Oktober 2022 um 22,5% unter dem Wert des 4. Quartals 2021. Es ist das niedrigste Fertigungsniveau seit der Wirtschafts- und Finanzkrise. Besonders stark sank die Produktion von chemischen Grundstoffen, Düngemitteln oder Stickstoffverbindungen (z.B. Ammoniak). Hier ist die Energieintensität noch höher als im Durchschnitt der gesamten chemischen Industrie.

Auch die Auftragseingänge in der Chemieindustrie sind in den letzten Monaten deutlich zurückgegangen. Im Oktober unterschritten sie den Wert von Q4 2021 um 20%. Hier machen sich nicht nur die gestiegenen Energiepreise bemerkbar, sondern auch die allgemeine konjunkturelle Abkühlung in wichtigen Absatzmärkten. Sie hat dazu beigetragen, dass die Erzeugerpreise der chemischen Industrie in Deutschland in den letzten drei Monaten kaum noch gestiegen sind, während die Branche Ende 2021 und Anfang 2022 noch sehr viel besser in der Lage war, höhere Kosten an die Kunden weiterzugeben.

Der kurzfristige Ausblick für die Chemieindustrie in Deutschland bleibt getrübt. Der Industrieverband VCI spricht sogar von „dunklen Monaten“ und einer „dramatischen Lage“. Obwohl das Risiko einer physischen Gasknappheit in Deutschland zuletzt gesunken ist, dürften viele Unternehmen Probleme haben, wirtschaftlich tragfähige Anschlussverträge abzuschließen, wenn die bisherigen Kontrakte auslaufen. Und von konjunktureller Seite wird es ebenfalls wenige Impulse für die Branche geben.

Auch in der mittleren Frist haben sich die Perspektiven vor allem für jene Sparten der Chemieindustrie am Standort Deutschland verschlechtert, die einen hohen Gasverbrauch aufweisen. Ein Teil der bisherigen Gaslieferungen aus Russland wird künftig durch mehr LNG-Importe ersetzt. Global dürfte die Nachfrage nach LNG vorerst stärker wachsen als das Angebot. Damit wird Erdgas in Deutschland (deutlich) teurer bleiben als vor dem Krieg. Zugleich ist zu erwarten, dass die Gaspreise, die Unternehmen in Ländern wie den USA oder China zahlen müssen, künftig niedriger bleiben werden als in Deutschland. Eine schnelle Umstellung der Produktionsprozesse auf alternative Energieträger ist häufig nicht möglich oder teuer. Auch der Ausbau der erneuerbaren Energien wird nur wenig Entlastung für die energieintensiven Sparten der Chemieindustrie bringen, weil dieser nicht schnell genug erfolgt, um den immensen Gasverbrauch der Branche nennenswert ersetzen zu können. Letztlich wird ein Teil der Produktion, der in der aktuellen Gaskrise in Deutschland verloren gegangen ist, wohl nicht mehr zurückkehren.

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