Gesundheit & Medizin

Abwertung ambulanter Eingriffe: HNO-Verbände rufen zur Aussetzung von Kinder-Operationen auf

Bis zu einer deutlich verbesserten Bezahlung durch die Krankenkassen sollen ab sofort bundesweit keine neuen Termine für Mandeloperationen bei Kindern vergeben werden. Das empfehlen der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte (BVHNO) sowie die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO). „Durch die jahrelange Unterfinanzierung des ambulanten Operierens ist es im gesamten Bundesgebiet zu einem eklatanten Versorgungsnotstand mit monatelangen Wartezeiten auf dringend benötigte Operationen bei kleinen Kindern gekommen. Die jüngste Kürzung der GKV-Erstattungsbeträge für die Eingriffe zum Jahresbeginn hat das Fass zum Überlaufen gebracht“, erklären die Präsidenten der Verbände, Priv.-Doz. Dr. Jan Löhler und Prof. Dr. Orlando Guntinas-Lichius. Es bleibe nichts anderes übrig, als mit einem Aussetzen der Operationen auf die katastrophale Lage aufmerksam zu machen und die Verantwortlichen zum Handeln zu bewegen. „Wir erwarten eine hohe Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen an der Aktion. Viele Operateure in OP-Zentren und Kliniken haben bereits das Handtuch geworfen und die Eingriffe aus ihrem Leistungsspektrum gestrichen“, erklären die Verbände. Der Protest wird auch vom Deutschen Berufsverband der Fachärzte für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V. unterstützt.

Konkret geht es insbesondere um die Eingriffe Adenotomie mit Paukenröhrchen, bei der die Rachenmandel (kindliche Polypen) entfernt und die Belüftung des Mittelohrs verbessert werden, sowie um die Tonsillotomie, die operative Teilentfernung der Gaumenmandel. Beide Eingriffe werden in der Regel bei Kindern zwischen dem zweiten und achten Lebensjahr vorgenommen. DGHNO-Präsident Guntinas-Lichius hebt die Bedeutung der Eingriffe hervor: „Die Adenotomie und Tonsillotomie sind wichtige Operationen bei Kindern mit vergrößerter Rachenmandel bzw. Gaumenmandel. Die Vergrößerung führt zu Atemstörungen oder gar Atemaussetzern, Schlafstörung, behinderter Nasenatmung und verschlechterter Belüftung der Mittelohren, was wiederum zur Hörminderung oder zu Mittelohrentzündungen führen kann.“

Eine nicht behandelte Atem- und Schlafstörung führe zu einem reduzierten Allgemeinzustand, Herz-Kreislauf-Belastung und Verzögerung der kindlichen Entwicklung, warnt Guntinas-Lichius: „Je länger eine Mittelohrerkrankung bestehen bleibt, umso mehr steigt die Gefahr, dass sich eine bleibende Hörstörung ergibt. Bei kleinen Kindern kann sich die Sprachentwicklung verzögern. Beides ergibt einen neuen und langfristigen Therapiebedarf.“

Derartige Folgeschäden seien immer häufiger zu beobachten, mit teilweise dramatischen Folgen für die betroffenen Familien, berichtet BVHNO-Präsident Löhler: „Es erreichen uns täglich Meldungen von Operateuren, weil sie mit verzweifelten Anfragen für die Eingriffe förmlich überrannt werden. Darunter sind Kinder, die ein halbes Jahr und länger auf eine Operation warten. Gleichzeitig sind die Eingriffe unter wirtschaftlichen Bedingungen und vor allem in Zeiten des rasanten Anstiegs aller Kosten nicht erbringbar.“ Dieses Dilemma sei keiner Ärztin und keinem Arzt länger zuzumuten, so Löhler weiter: „Die meisten Operateure haben die kleinen Patienten bisher trotz der unzureichenden Finanzierungsgrundlage versorgt und mitunter sogar bei den Operationen Geld draufgezahlt. Damit ist nach der Entscheidung, ab 2023 die Bewertung der Eingriffe abzusenken, jedoch Schluss.“ Die Entscheidung sei von den ambulanten Operateuren mit Fassungslosigkeit aufgenommen worden, so Löhler.

Der Aufruf, die Adenotomie und die Tonsillotomie nicht mehr anzubieten und keine entsprechenden Termine mehr zu vergeben, gelte so lange, bis es eine gesicherte Zusage für eine deutliche Anhebung der Bezahlung gebe, kündigen die Verbände an. Ziel sei es, als Sofortmaßnahme die Vergütung der Kinder-Operationen aus der EBM-Systematik auszugliedern. Der EBM ist die Grundlage für die Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen, die für Patienten in der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden. Ärzteverbände kritisieren das EBM-System seit Jahren wegen der unzureichenden Darstellung der ärztlichen Leistungen.

Zum Hintergrund: Im Dezember 2022 haben der GKV-Spitzenverband und die Kassenärztliche Bundesvereinigung eine Teilreform des ambulanten Operierens beschlossen. Mit dem Beschluss wurden Eingriffe der Kategorien N1 bis N3 in der Vergütung abgesenkt. Komplizierte Operationen der Kategorien N4 bis N7 werden künftig höher bewertet, ohne dass insgesamt mehr Geld in das System fließt. Die Verschiebung der Vergütung geht auf die von den Krankenkassen geforderte sogenannte Punktsummenneutralität zurück. Damit sollen die Gesamtausgaben bei Neubewertungen ambulanter Leistungen am Ende gleich bleiben.

In Deutschland gab es im Jahr 2021 laut Bundesärztekammer rund 6.500 berufstätige HNO-Fachärztinnen und -Fachärzte. Davon sind circa 4.500 Ärzte in einer Arztpraxis tätig. Rund 1.600 Ärzte arbeiten in einem Krankenhaus. Über eine Genehmigung zum ambulanten Operieren verfügen schätzungsweise 3.000 HNO-Ärztinnen und -Ärzte.

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