Umfrage: Internistinnen und Internisten sehen Licht und Schatten bei der Krankenhausreform
„In Anbetracht der Tatsache, dass wir in allen Versorgungsbereichen Engpässe und eine steigende Arbeitsbelastung haben, sind grundlegende Strukturreformen überfällig. Die Stellungnahme der Regierungskommission enthält viele gute Ansätze, die es jetzt im anstehenden Gesetzgebungsverfahren gemeinsam zu verfeinern gilt. Gleichzeitig sehen wir aber auch noch großen Klarstellungsbedarf, wie die einzelnen Vorschläge konkret und praxistauglich umgesetzt werden sollen“, erklärt BDI-Präsidentin Christine Neumann-Grutzeck.
Der BDI hat im Januar seine stationär tätigen Mitglieder zu den Kernelementen der 3. Stellungnahme der Regierungskommission befragt. Von den insgesamt 763 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind zwei Drittel noch mindestens skeptisch, ob die Reformvorschläge die Überlastungssituation überwinden können (s. Grafik 1).
Auffällig sind zudem die Zielkonflikte im Hinblick auf die Problemanalyse der Regierungskommission und der Wahrnehmung der Versorgungssituation seitens der Internistinnen und Internisten im klinischen Alltag. Fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) vertritt die Auffassung, dass es – bezogen auf die Gesamtzahl an Einrichtungen – nicht zu viele Krankenhäuser in Deutschland gibt. Noch eindeutiger fällt die Einschätzung der stationären Behandlungskapazitäten gemessen an den tatsächlich verfügbaren Krankenhausbetten aus: Knapp 75 Prozent sind der Meinung, dass es keine Überkapazitäten gibt. Maßgeblich verantwortlich ist hierfür auch die Beobachtung einer Mehrheit der Befragten (66,1 %), dass in ihrem Krankenhaus regelmäßig notwendige Behandlungen aufgeschoben werden müssen.
„Der Bundesgesundheitsminister und die Regierungskommission streben mit der geplanten Reform ganz offensichtlich eine Konsolidierung der Krankenhauslandschaft an. Das ist per se erst einmal nichts Schlechtes. Hierzu bedarf es jedoch eines klaren Konzeptes und einer guten öffentlichen Kommunikation, was die Bürgerinnen und Bürger sowie die Beschäftigten zukünftig von unserer Krankenhauslandschaft erwarten können. Diese Debatte muss politisch geführt werden“, meint PD Dr. Kevin Schulte, 2. BDI-Vizepräsident und kommissarischer Klinikdirektor am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel.
Finanzierung
Ein Grund für die allgemeine Skepsis gegenüber den Vorschlägen der Kommission sind unter anderem auch die großen Erwartungen, die im Vorfeld geschürt wurden. Gesundheitsminister Lauterbach hatte eine „Revolution“ und die „Überwindung der DRGs“ angekündigt. „Davon kann bei diesem Vorschlag keine Rede sein“, meint Schulte. „Mit dem geplanten Finanzierungsmodell aus Vorhaltekosten und Fallpauschalen soll der reine Mengenbezug im DRG-System zwar reduziert werden. Das begrüßen wir ausdrücklich. Damit wird das bestehende System aber weder revolutioniert noch abgeschafft. Hier fehlt der Mut für eine klare Kehrtwende“, so Schulte (s. Grafik 2).
Insbesondere der geplante fallmengenunabhängige Vorhaltekostenanteil von 40 Prozent ist aus Sicht der Internistinnen und Internisten zu gering, um den massiven ökonomischen Druck, der auf dem Personal lastet, zu reduzieren: „Von den 40 Prozent Vorhaltekosten entfällt bereits die Hälfe (20 %) auf das Pflegebudget, welches bereits vor zwei Jahren aus den DRGs ausgegliedert wurde. Insgesamt bemessen sich die verbliebenen Vorhaltekosten also auf circa 25 Prozent am aDRG-Volumen. Die Kosten für ärztliches Personal und andere Berufsgruppen sind somit kaum fallmengenunabhängig. Für uns ist es nur schwer ersichtlich, wie das „Hamsterrad“ damit gestoppt werden soll“, kritisiert der BDI-Vizepräsident. Deshalb fordert der BDI seit langem eine komplette Ausgliederung der Arztkosten – analog zur Pflege. Darüber hinaus ist eine Schärfung der Indikationsqualität notwendig, um wirtschaftlich induzierte Übertherapie zu vermeiden. Mit diesen beiden Instrumenten kann es gelingen, die Krankenhausfinanzierung wirklich zu revolutionieren.
Schulte weist zudem auf die angestrebte Kostenneutralität der Reform hin (s. Grafik 3). Aus internistischer Sicht sei es fahrlässig, wenn zumindest in der Umstellungsphase keine zusätzlichen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt würden: „Das führt unweigerlich zu noch mehr Kostendruck, Personalmangel und – im schlimmsten Fall – einer kalten Strukturbereinigung, bevor die Reform überhaupt kontrolliert greifen kann.“
Krankenhausplanung
Zustimmung erhält die Regierungskommission von den Internistinnen und Internisten hingegen für ihre Verknüpfung der Finanzierungsreform mit einer bedarfsgerechten Krankenhausplanung. Nur 29 Prozent der Befragten halten die aktuelle Verteilung der internistischen Fachkliniken in ihrer Region für sinnvoll und bedarfsgerecht. Eine feingliedrigere Definition und Verteilung der Leistungsbereiche sowie eine bundeseinheitliche Definition von Krankenhaus-Leveln befürworten daher über 71 Prozent der Befragten – solange die Strukturvorgaben Bürokratie reduzieren und nicht zu mehr Dokumentationsaufwand führen.
Aus Sicht der Inneren Medizin werden die Schwerpunkte, die sich über klare Funktionen definieren (z.B. Kardiologie, Gastroenterologie und Nephrologie), in den geplanten Leistungsgruppen gut abzubilden sein. Die Allgemeine Innere Medizin oder Geriatrie, die in dem aktuellen Entwurf nur als Überblicks- und Querschnittsfächer in Level-1-Krankenhäusern vertreten sind, stehen jedoch vor der Herausforderung, sich ab Level 2 zu etablieren. Jedenfalls erscheint es aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten unwahrscheinlich, dass zusätzlich zu den Schwerpunkten noch ein allgemeiner Bereich etabliert wird, der zwangsläufig mit einem der Schwerpunkte konkurriert. Dabei ist gerade in Notaufnahmen oder nach einer fachspezifischen Intervention bei multimorbiden Patienten ein allgemeiner Überblick wichtig.
Gänzlich unerwähnt bleiben in der Konzeption der Krankenhauslevel auch belegärztliche Strukturen. „In Anbetracht der Tatsache, dass mit der Reform auch die Ambulantisierung vorangetrieben werden soll, ist es unverständlich, dass die Kommission Belegärztinnen und -ärzte in ihrer Planung nicht berücksichtigt hat“, zeigt sich Dr. Norbert Smetak, 1. BDI-Vizepräsident, verwundert. Schließlich sei das Belegarztsystem seit Jahrzehnten der Gold-Standard in der intersektoralen Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Fachärzten und Krankenhäusern. „Das Leistungsspektrum von Belegärzten reicht von der Grundversorgung bis zur komplexen Diagnostik und therapeutischen Eingriffen auf universitärem Niveau. Wenn Versorgungsqualität das entscheidende Kriterium dieser Reform ist, müssen hochspezialisierte belegärztliche Abteilungen und Krankenhäuser sinnvoll in die Levels 2 bis 3u integriert werden“, so Smetak.
Belegärztliche Strukturen der Basisversorgung entsprechend Level 1i sind hingegen weder wirtschaftlich noch mit Blick auf die Mindeststrukturvoraussetzungen medizinisch sinnvoll. Eine Vorhaltepauschale ist auf diesem Level nicht vorgesehen und mit einer Tagespauschale werden sich keine komplexeren Leistungen aus dem Bereich der internistischen Grundversorgung (Endoskopie, nicht-invasive Kardiologie u.Ä.) finanzieren lassen. Level-1i-Krankenhäuser werden mit einer EBM-basierten Finanzierung der ärztlichen Leistungen nicht überleben können. Übrig bleiben dann geriatrische Versorgungseinrichtungen und Angebote für die Kurzzeitpflege, aber keine Krankenhäuser. Vor diesem Hintergrund stößt das Konzept, anbehandelte Patienten aus Maximalversorgern in ambulant-stationäre Zentren zurückzuverlegen, bei den Internistinnen und Internisten auch auf geteiltes Echo (s. Grafik 4).
Ambulantisierung
Insgesamt warnen die Internistinnen und Internisten davor, die Ausweitung der Ambulantisierung als reines Kostendämpfungsinstrument zu sehen. „Wir teilen zwar die Auffassung der Kommission, dass wir in Deutschland mitunter zu viele stationäre Behandlungen haben. Eine bessere Verzahnung der Sektoren und mehr Ambulantisierung sind in der Tat ein wichtiger Faktor, um die Fallzahlen in den Kliniken zu reduzieren. Das setzt aber gleichzeitig eine Strukturreform in der ambulanten Versorgung voraus. Denn wir können die angestrebte Ambulantisierung nur bewältigen – die Kommission geht von bis zu fünf Millionen Fällen pro Jahr aus –, wenn die ambulanten Versorgungsstrukturen entsprechend ausgestattet sind“, fordert BDI-Präsidentin Neumann-Grutzeck (s. Grafik 5).
Das bedeute konkret, dass die vertragsärztliche Versorgung personell, infrastrukturell und finanziell gestärkt werden müsse. „Dazu gehört neben einer angemessenen Vergütung der betreffenden Leistungen auch die Entbudgetierung der vertragsärztlichen Versorgung. Unter dem bestehende Budgetdeckel ist es schlichtweg unmöglich, diesen zusätzlichen Aufwand zu betreiben“, so Neumann-Grutzeck. Zudem müsse die Strukturreform grundsätzlich gemeinsam mit dem ambulanten Sektor weiterentwickelt werden: „Es ist höchste Zeit, auch die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen einzubinden.“
Weiterbildung
Neue Strukturen in der stationären und ambulanten Versorgung bedeuten auch, dass die Strukturen der ärztlichen Weiterbildung angepasst werden müssen. „Sowohl die gestufte Krankenhausplanung als auch die Ambulantisierung haben weitreichende Auswirkungen auf die ärztliche Weiterbildung, die in der Stellungnahme nicht angemessen adressiert werden“, zeigt sich Neumann-Grutzeck besorgt.
Die Leistungsgruppen beruhen zwar im Großen und Ganzen auf der ärztlichen (Muster-)Weiterbildungsordnung (MWBO). „Wenn zukünftig jedoch nur noch Kranken-häuser ab Level 2 dazu ausgestattet sind, alle notwendigen Kompetenzen zu vermitteln, werden wir eine massive Abwanderung aus Level-1-Häusern in die großen Häuser sehen“, befürchtet auch BDI-Vizepräsident Schulte. Dass die Weiterbildung im Rahmen einer Kooperation von kleinen und großen Kliniken an verschiedenen Standorten erfolgen solle, klinge in der Theorie zwar gut. „In der praktischen Umsetzung stellt die Kommission sich das aber ein bisschen zu einfach vor“, so Schulte.
„Was wir stattdessen benötigen, ist ein tragfähiges Konzept für eine sektorenübergreifende Weiterbildung“, fordert Schulte. In manchen Fachgebieten seien Weiterbildungsverbünde bereits ein etabliertes Mittel. „Das benötigen wir flächendeckend. Hier sind die Verbände, Kammern und die Politik gemeinsam gefragt.“ Außerdem müsse die ambulante Weiterbildung anders als bislang gefördert werden.
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