Den fossilen Irrweg beenden
„Verkehrsminister Wissing blockiert aus politischem Kalkül wirkungsvolle Maßnahmen. Er ist der Aufgabe der Dekarbonisierung des Verkehrssektors offensichtlich nicht gewachsen. Konsequenterweise müssen die Bundesregierung und der Bundeskanzler den fossilen Irrweg des Ministers beenden – letztendlich sind Sie für sein Nichtstun mitverantwortlich. Ehrlicherweise muss man nämlich sagen: Sieben Jahre haben wir noch für den einfachen Teil der Dekarbonisierung: Zeit für Einsparungen, Effizienzsteigerungen und Elektrifizierung“, sagt Ragnhild Sørensen von Changing Cities.
Das Ziel – maximal 85 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr 2030 und Klimaneutralität bis 2045 – bedeutet eine Reduktion um 65 Prozent im Verkehrssektor innerhalb der nächsten sieben Jahre.
Sogar die einflussreiche Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV e.V.), ein eher konservativer Player, sagt inzwischen ohne Umschweife: „[T]rotz zahlreicher Innovationen und Fortschritte im Verkehrssektor seit 1990 – mit Ausnahme der pandemiebedingten Rückgänge im Jahr 2020 – [konnte] keine Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen erreicht werden.“(1) Trotz 9-Euro-Ticket und immens hoher Spritpreise sind die Emissionen im Straßenverkehr im Jahr 2022 wieder gestiegen. Obwohl so viele Elektroautos zugelassen wurden wie nie zuvor, konnte das die Emissionszunahmen nicht ausgleichen.
Es ist also wieder ein Sofortprogramm fällig. Wir haben aus öffentlich zugänglichen Studien folgende elf Maßnahmen zusammengetragen:
1. Tempolimit einführen: Ein Tempolimit von 120 km/h auf der Autobahn würde laut Umweltbundesamt 6,7 Millionen Tonnen CO2 einsparen.(2) Mit einem Tempolimit von 100 km/h können etwa 23 Prozent (3) mehr eingespart werden, also 8,2 Millionen Tonnen CO2. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung außerorts auf 80 km/h würde laut Greenpeace weitere 1,3 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen.(4)
2. Verbot von Inlandsflügen: 2017 stießen in Deutschland startende Flüge mehr als 29 Millionen Tonnen CO2 aus – so viel wie noch nie zuvor.(5) Auf innerdeutschen Flügen entstanden im Jahr 2017 2,5 Millionen Tonnen CO2. Die heutige Zahl der Flugreisen ist etwas geringer als 2017, aber Sparpotenzial ist auch hier vorhanden.
3. Neuausrichtung des Bundesverkehrswegeplans (BVWP): Der geltende BVWP, der 2016 beschlossen wurde und bis 2030 gültig ist, ist naturgemäß nicht nach den Klimazielen der jetzigen Bundesregierung ausgerichtet. Ebenso entspricht die Höhe der Investitionen für den Schienen-Ausbau nicht den Zielen der Bundesregierung, nämlich einer Verdoppelung des Schienenpersonennahverkehrs. Ein Klimacheck des BVWP würde mit 100-prozentiger Sicherheit weitere CO2-Einsparungen im Verkehrssektor nach sich ziehen.
4. Dienstwagenprivileg abschaffen: Eine Studie zu den Klimafolgen des Dienstwagenprivilegs kommt zu der Schätzung, dass eine Abschaffung etwa 7,5 Prozent der CO2-Emissionen des Personenverkehrs einsparen würde.(6) Das Dienstwagenprivileg würde voraussichtlich nicht von heute auf morgen, sondern über mehrere Jahre abgebaut werden. Sehr konservativ gerechnet, wäre eine jährliche Einsparung von etwa einer Tonne möglich.
5. Dieselsubventionen abbauen: Aktuell ist Diesel pro Liter um 18,4 Cent geringer besteuert als Benzin, obwohl sein CO2-Gehalt über dem von Benzin liegt.(7) Eine Neugestaltung der Kfz-Steuer nach CO2-Ausstoß wäre eine Selbstläuferin in Sachen Klimaschutz.
6. Ausbau des öffentlichen Verkehrs: Eine Verlagerung des Personenverkehrs auf die Schiene ist eine wahre CO2-Emissions-Drossel. Laut Allianz pro Schiene(8) beträgt der CO2-Ausstoß pro Personenkilometer im Fernverkehr für Bus und Bahn nur 18 Prozent dessen, was ein Pkw verursacht und weniger als 14 Prozent des Flugverkehrs. Im städtischen Bereich fällt der Vorteil etwas geringer aus, aber wir reden immer noch von Ersparnissen von zwei Dritteln der CO2-Emissionen im Vergleich zum Pkw. Wie viel Tonnen CO2 letztendlich eingespart werden, hängt natürlich von der Qualität und Quantität der Maßnahmen ab. Mit besserer Taktung und Ausbau der Nachtzüge bei fairen Gehältern für die Angestellten kann der ÖV enorm an Attraktivität gewinnen.
7. Ausbau der Fuß- und Radinfrastruktur: Ein beschleunigter Neubau von Radwegen und eine Flächenumverteilung zugunsten des Fußverkehrs ermöglicht erst den Umstieg vom Pkw. In der Verkehrsprognose des Ministers, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, geht das BMDV von einem Anstieg des Radverkehrs bis zum Jahr 2051 um lediglich 2,2 Prozent (im sog. Modal Split) im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 aus. Das ist eine katastrophale Unterschätzung im Hause des Ministers. Ein Umdenken ließe die CO2-Emissionen purzeln.
8. Autofreie Sonntage einführen: Greenpeace hat berechnet, dass autofreie Sonntage 2,9 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen würden.(9) Wer kleiner einsteigen will, kann mit zwei autofreien Sonntagen pro Monat 1,3 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen.
9. Entfernungspauschale abschaffen: Das Umweltbundesamt schätzt, dass „eine vollständige Abschaffung die jährlichen Verkehrsemissionen mittelfristig (nach 10 Jahren) um etwa 4 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr senken [könnte]“.(10) Die Ausgestaltung der Abschaffung der Pendlerpauschale bedarf einer gründlichen Analyse, um durch ausgewogene Pull- und Push-Maßnahmen sozial verträgliche Lösungen zu erzielen. Die Pendlerpauschale ist also kein Schnellschuss, denn die Ergebnisse der Abschaffung entfalten sich erst über mehrere Jahre.
10. Kosten des Kfz-Verkehrs externalisieren: Parkplätze und Straßenbau verschlingen Unsummen an öffentlichen Geldern. Soziale und gesundheitliche Folgekosten des Autoverkehrs belasten die staatlichen Kassen. Diese Kosten sind keineswegs von der Kfz-Steuer gedeckt. Eine sukzessive Externalisierung der Kosten des Autoverkehrs zu Lasten der Autobesitzer*innen ist ein effektives Mittel, um Mobilität klimagerechter zu gestalten.
11. 9-Euro-Ticket, Carpooling, Mobilitätsprämie: Bis der Ausbau des öffentlichen Verkehrs erfolgt ist, vergehen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Umso wichtiger, schnell wirkende Maßnahmen zu ergreifen. Bis dahin können Fahrgemeinschaften in Pkw zu weniger CO2-Emissionen führen, da Ridesharing die Fahrten effizienter macht. Ebenso können weitere Push-Maßnahmen wie Mobilitätsgeld für CO2-neutrale Mobilität und dauerhaft günstige ÖPNV-Angebote Menschen zum Umsteigen bewegen.
Natürlich gibt es viele weitere Maßnahmen wie die Elektrifizierung von Bus und Bahn, Entsiegelung von Straßen, Begrünung oder Tempo 30 in den Städten, die ehrgeizig verfolgt werden müssen. Auch sollten alle vorgeschlagenen Maßnahmen auf den Prüfstand und die vermutete Wirkung in der Wechselwirkung mit anderen Maßnahmen nachgerechnet werden. Fest steht aber: Man kann durchaus CO2-Emissionen einsparen – wenn man will.
(1) https://www.fgsv-verlag.de/e-klima-2022
(2) https://www.umweltbundesamt.de/themen/tempolimits-koennten-mehr-treibhausgase-sparen-als
(3) https://vcoe.at/service/fragen-und-antworten/welche-wirkung-hat-tempo-100-statt-130
(6) https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14693062.2018.1533446
(7) https://www.bundestag.de/resource/blob/554706/6e6a6926089e81aa7c477cc66051895b/04—duh-data.pdf
(8) https://www.allianz-pro-schiene.de/themen/umwelt/daten-fakten/
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