Schreckensszenario Krankenhausstruktur-Reform
Drohende Klinik-Schließungen, massenweise Job-Verluste und das Aussterben der wohnortnahen Versorgung bei gleichzeitiger Zentralisierung medizinischer Leistungen in den Großstädten. So, wie die Regierung die Krankenhausstruktur-Reform plant, kann sie aus Sicht von Katharina Elbs und Judith Masuch, unmöglich umgesetzt werden. Im Interview zeigen die Geschäftsführerinnen der GRN Gesundheitszentren Rhein-Neckar gGmbH auf, was die derzeit in Berlin geplanten Vorhaben schlimmstenfalls für die Gesundheitsversorgung im Rhein-Neckar-Kreis und die GRN-Kliniken bedeuten würden.
Liebe Frau Elbs, im Oktober vergangenen Jahres haben Sie die Kampagne „Alarmstufe Rot – Krankenhäuser in Gefahr“ der Deutschen Krankenhausgesellschaft unterstützt und in dem Zusammenhang eine Reform von Bund und Ländern gefordert, damit Kliniken nicht in einem „kalten Strukturwandel“ sich selbst überlassen sind. Im Dezember hat die Regierungskommission einen Reformvorschlag vorgelegt. Warum sind Sie mit den Inhalten nicht einverstanden?
Katharina Elbs: Dass eine Reform notwendig ist, ist unbestritten. Unser aktuelles, mengenabhängiges Finanzierungssystem über Fallpauschalen, das
zu einer systematischen Unterfinanzierung der Betriebskosten führt, hat laut einer Umfrage der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft für 75% aller Krankenhäuser im Jahr 2022 ein deutlich negatives Jahresergebnis zur Folge. Aus diesem Hamsterrad wollen wir raus!
In der erwartungsvollen Haltung, dass eine Reform Positives mit sich bringt und Werte wie „Patientenorientierung“ und „wohnortnahe Versorgung“ wieder in den Mittelpunkt stellt, haben die Ideen der Regierungskommission für Entsetzen gesorgt.
Die Einteilung der Krankenhäuser in unterschiedliche Level bei gleichzeitiger Zuordnung der Leistungen, die je Level erbracht werden dürfen, führt zu einer radikalen Veränderung der Krankenhauslandschaft, die durch Zentralisierung der Versorgung in großen Kliniken eine beängstigend hohe Zahl der heutigen Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung entbehrlich machen soll.
Konkret: Einer von der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft beauftragten Studie zufolge, die kürzlich veröffentlicht wurde, würden von 186 untersuchten Krankenhäusern 51 geschlossen werden. Das würde auch die GRN-Kliniken Weinheim und Schwetzingen treffen, die keine Daseinsberechtigung mehr hätten, weil innerhalb 30 Minuten Fahrzeit große Maximalversorger in Heidelberg und Mannheim erreichbar wären. Die GRN-Kliniken in Eberbach und Sinsheim dürften nur noch minimale Gesundheitsversorgung anbieten mit reiner internistischer und chirurgischer Basisversorgung – ohne Geburtshilfe, ohne Kardiologie, ohne Gastroenterologie, ohne Viszeralchirurgie.
Was bedeutet das für Patienten?
Katharina Elbs: Die GRN-Kliniken behandeln jährlich 40.000 Patienten stationär und ähnlich viele ambulant und spielen somit für die medizinische Versorgung der Bevölkerung im ländlichen Raum eine große Rolle.
Die medizinischen Leistungen, die die GRN-Kliniken anbieten, gehen schon jetzt über die reine Grund- und Regelversorgung hinaus. Das belegen zahlreiche Zertifizierungen durch externe Institute, die uns höchste medizinische Qualität für unsere Leistungen bestätigen. Zum Beispiel die Zertifizierung unserer Geburtshilfen als „babyfreundlich“, die Zertifizierung als Diabetes freundliche Klinik, das Kompetenzzentrum für Minimalinvasive Chirurgie, das Darmkrebszentrum oder die Endoprothetikzentren.
Diese Leistungen dürften wir künftig nicht mehr anbieten und müssten unsere heutigen Patienten in große Zentren wie die beiden Uniklinika in Heidelberg oder Mannheim verweisen.
Ärzte aus unseren Einrichtungen sind bei diesen Szenarien fassungslos. Wie soll eine Notfallversorgung gelingen, ohne entsprechende Leistungen wie eine Kardiologie oder Intensivmedizin in den Einrichtungen vorzuhalten. Das ist absurd. Und auch die Vorstellung, Geburten wären nur noch an wenigen Häusern möglich, ist bei näherer Betrachtung völlig unrealistisch. In den GRN-Kliniken in Weinheim und Schwetzingen kommen zusammen im Jahr rund 1600 Babys zur Welt. Werdende Eltern müssten künftig sehr viel weitere Wege in Kauf nehmen und dann ist die Frage, ob die übrigbleibenden Kliniken die höheren Auslastungen überhaupt bewältigen könnten.
Und auch unsere Pflegekräfte sind angesichts der Reformgedanken sprachlos: In unseren Kliniken pflegen wir viele ältere Patienten jenseits der 80, die bewusst ein kleines, regionales Krankenhaus in der Nähe ihres Wohnortes suchen. Nur so können auch Angehörige sie regelmäßig besuchen, was für die Genesung extrem wichtig ist. Und jetzt stelle man sich einen 80-jährigen vor, der mit Rollator versucht, eigenständig über das Neuenheimer Feld zu rollen – vom Parkhaus bis in die Kopfklinik. Das wird kaum möglich sein.
Verlierer der Reform sind aus unserer Sicht insbesondere ältere, multimorbide Patienten in ländlichen Regionen, die auf eine wohnortnahe Versorgung und familiäre Strukturen mit festen Ansprechpartnern angewiesen sind. Feste Ansprechpartner wünschen sich auch deren Hausärzte. Dies steht aus meiner Sicht im krassen Widerspruch zu unserer demographischen Entwicklung und den aktuellen und zukünftigen Bedürfnissen unserer Bevölkerung.
Und Mitarbeitende?
Judith Masuch: Aktuell sind unsere Mitarbeitenden vor allem schockiert und sehen sich mit einem Vorschlag der Politik konfrontiert, der die täglichen Herausforderungen in den Kliniken vor Ort überhaupt nicht wahrnimmt oder aufgreift. Sie sind verunsichert und fürchten um den Verlust von Arbeitsplatzattraktivität, wenn viele unserer Leistungen nicht mehr angeboten werden dürfen.
Neben der täglichen Versorgung von Patienten sind die vier GRN-Kliniken für die Ausbildung junger Ärzte und Pflegenden im Kreis nicht wegzudenken. Wir bilden jährlich ca. 120 Assistenzärzte und weitere 100 PJ-Studenten im medizinischen Bereich aus. Außerdem 70 Pflegefachfrauen und -männer sowie 20 Auszubildene im Bereich der Krankenpflegehilfe. Für uns stellt sich die Frage, wo diese Ausbildung künftig alternativ stattfinden kann.
Gleichzeitig wird die Reformdiskussion mit Sprechblasen flankiert wie „nicht jedes Krankenhaus muss alles machen“, „kleine Krankenhäuser sind schlecht,
weil sie nicht über ausreichend Routine verfügen“, „wir haben zu viele Krankenhäuser in Deutschland“ oder „wir haben nicht zu wenig Ärzte und Pflegekräfte, sie arbeiten nur an der falschen Stelle“. Diese Aussagen sind unzutreffend und werfen ungerechtfertigterweise ein schlechtes Licht auf die Krankenhäuser und die Arbeit unserer Mitarbeitenden.
Von der Dankbarkeit während der Corona-Pandemie, bei der insbesondere die kleinen Krankenhäuser eine herausragende Rolle in der Versorgung der Bevölkerung in der Fläche gespielt haben, ist leider nichts mehr zu spüren.
Welchen Gegenvorschlag haben Sie bzw. was müsste aus Ihrer Sicht passieren, um das geschilderte Schreckensszenario abzuwenden?
Judith Masuch: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat einen sehr guten Gegenvorschlag erarbeitet, ebenfalls mit gestufter Krankenhausstruktur, die sich aber an der schon bestehenden Einteilung zur Notfallversorgung orientiert. Das Ganze ohne automatische Zuordnung von Leistungsgruppen an die Versorgungsstufen.
Laut DKG sollen die Länder entscheiden, welches Versorgungslevel welche Klinik erhalte. Das ist auch aus unserer Sicht extrem wichtig, weil die Länder für die Krankenhausversorgung zuständig sind, diese verantworten müssen und vor allem die besonderen Gegebenheiten vor Ort kennen und einschätzen können. Auch das Thema Krankenhaus-Finanzierung ist sehr viel detaillierter, praxisnaher und realistischer aufgeschlüsselt. Darin sind beispielsweise auch die aktuellen Kostensteigerungen für die Kliniken berücksichtigt und sinnvolle Vorschläge für eine Finanzierung unterbreitet. Vor allem sollen im ersten Schritt, bevor eine Reform überhaupt an die Umsetzung gehen kann, die Krankenhäuser finanziell stabilisiert werden. Nach dem Reform-Entwurf der Deutschen Krankenhausgesellschaft würden allein durch die Einteilung nach bestehender Notfallversorgung des G-BA deutlich mehr Kliniken am Netz bleiben als nach Einteilung der Kommission. Auch der Bürokratisierungs-Aufwand wäre sehr viel geringer.
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