Jörg Wojahn, Vertreter der EU-Kommission: „Europa braucht die Erinnerung immer aufs Neue“
Brandenburgs stellvertretende Ministerpräsidentin, Sozialministerin Ursula Nonnemacher: „Wir gedenken aller Opfer dieser bespiellosen Gewaltherrschaft: Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, psychisch Kranke, Menschen mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung, politisch Verfolgte, Kriegsgefangene aus der Sowjetunion sowie Menschen aus den besetzten Staaten Europas. Die historischen Orte des Schreckens wie Sachsenhausen verweisen immer wieder aufs Neue darauf, dass die nationalsozialistischen Verbrechen nichts Abstraktes sind. Hier wird ganz konkret erfahrbar, wohin Ausgrenzung und Rassenwahn führen. In seinem barbarischen Ausmaß an Terror, Gewalt, Unterdrückung und Massenmord macht der Holocaust, machen die nationalsozialistischen Verbrechen immer noch sprachlos. Doch darüber zu sprechen, ist unsere Aufgabe. Die konkrete und aktive Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit liegt in unserer Verantwortung. Denn die Zunahme von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Ausgrenzung, Rechtsextremismus und Antisemitismus – auch im Land Brandenburg – bezeugen auf erschütternde Weise, dass unsere Demokratie immer wieder Angriffen ausgesetzt ist.“
„Sachsenhausen ist ein europäischer Ort der Erinnerung und des Gedenkens“, sagte Jörg Wojahn, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland. „Europa braucht die Erinnerung, immer aufs Neue. Denn die europäische Einigung basiert auf den Erfahrungen des Totalitarismus und der Gewaltherrschaft.“
In der Ansprache des Sachsenhausen-Überlebenden Edward Farber aus Israel, die verlesen wurde, da er kurzfristig nicht anreisen konnte, heißt es: „Der Tag der Befreiung im KZ Sachsenhausen war ein Wendepunkt in meinem Leben: Es war mir gelungen, gemeinsam mit meinen Eltern den Krieg und den Holocaust zu überleben. Wir kehrten zunächst in unser Heimatland Polen zurück, gelangten aber zu der Erkenntnis, dass das Leben in einem jüdischen Staat der beste Schutz vor Antisemitismus ist. Daher wanderten wir 1950 nach Israel aus. Ein Leben in Unabhängigkeit und Freiheit ist nicht umsonst zu haben. In den 75 Jahren seit der Gründung des Staates Israel gab es elf Kriege, an dreien habe ich persönlich teilgenommen, einmal wurde ich schwer verwundet. Dass ich das alles überlebt habe, ist entweder reines Glück oder Gottes Gnade. Seit der Befreiung im KZ Sachsenhausen habe ich jeden einzelnen Tag meines Lebens als Geschenk betrachtet. Viele alliierte Soldaten haben den Kampf gegen Nazideutschland und für meine Befreiung mit ihrem Leben bezahlt. Wie ich schon sagte: Ein Leben in Unabhängigkeit und Freiheit ist nicht umsonst. Wie müssen auch heute wachsam sein gegenüber Gefahren, die unsere Freiheit, unsere Demokratien und irgendwann auch unser Leben bedrohen. Die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen hochzuhalten und ihrer Opfer zu gedenken, sind wichtige Bestandteile dieser Wachsamkeit.“
Der Präsident des Internationalen Sachsenhausen Komitees, der Niederländer Dik de Boef, sagte: „Die Erfahrungen unserer Väter, Brüder und Verwandten, die in diesen Lagern waren, haben uns als Nachfahren geprägt, auch wenn viele der Überlebenden über ihre Erfahrungen geschwiegen haben. Die erlittenen Traumata gingen dennoch an uns als nächste Generation über. Auch wenn es nicht immer eine direkte persönliche Verbindung zwischen den sich seit Jahren engagierenden Mitgliedern im Sachsenhausen Komitee und den damaligen Lagerinsassen gibt, so verbinden und dennoch die tiefen Emotionen für das, was hier geschehen ist. Wir müssen jetzt der nächsten Generation Raum dafür schaffen, auf ihre Art und Weise das Gedenken und Erinnern zu gestalten.“
Stiftungsdirektor Axel Drecoll sagte: „Heute, nach 78 Jahren, hat die Erinnerung und die Aufarbeitung nicht an Aktualität verloren. Im Gegenteil: Antisemitismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und der fatale Irrglaube, durch Ausgrenzung von Minderheiten homogene Gemeinschaften schaffen zu können, geistert durch die Köpfe vieler Menschen. Und er hat – in den letzten Jahren noch verstärkt – auch Eingang in die Parlamente gefunden. Ich glaube und ich hoffe, dass wir hier und zu Anlässen wie heute, ein Zeichen dagegensetzen können: Für den Respekt vor der Würde jedes Menschen und für ein solidarisches Miteinander.“
Hintergrund:
Am 22./23. April 1945 erreichten sowjetische und polnische Soldaten das unmittelbar zuvor von der SS geräumte KZ Sachsenhausen, in dem zwischen 1936 und 1945 mehr als 200.000 Menschen inhaftiert waren. Mindestens 55.000 von ihnen starben an den unmenschlichen Haftbedingungen oder wurden Opfer von Mordaktionen der SS. Die Befreier fanden im Lager rund 3.000 kranke Häftlinge vor. Mehr als 30.000 Häftlinge befanden sich zu diesem Zeitpunkt auf einem Todesmarsch weiterhin in der Gewalt der SS, die in dieser Schlussphase nochmals mit besonderer Brutalität Häftlinge ermordete. Mehr als 16.000 Häftlinge mussten sich für einige Tage unter freiem Himmel in einem provisorischen Lager im Belower Wald bei Wittstock aufhalten. Die letzten Überlebenden wurden in den ersten Maitagen befreit.
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