Verbraucherportal Faire Fonds Info deckt auf: Menschenrechte nach wie vor kaum Thema bei der konventionellen sowie ESG-orientierten Geldanlage
- Faire Fonds Info hat rund 2.900 in Deutschland vertriebene Publikumsfonds, davon knapp 1.800 ESG-Fonds, auf Verletzung internationaler Normen und Standards untersucht.
- 422 Milliarden Euro bzw. jeder fünfte Euro konfliktbelastet; auch jeder achte Euro bei ESG-Fonds betroffen.
- 214 Milliarden Euro in Unternehmen investiert, die im Konflikt mit Menschenrechten stehen und/oder auf menschenrechtsverletzende Vorwürfe im Unternehmen nicht angemessen reagiert haben.
- Fast jeder zweite konventionelle Fonds (46%) investiert in Waffenexporteure, 39% bei ESG-Fonds.
Die Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen Facing Finance und urgewald haben ein Update des kostenlosen Verbraucherportals Faire Fonds Info (http://www.faire-fonds.info) veröffentlicht, das Nachhaltigkeitschecks von Investmentfonds ermöglicht.
Das Portal durchleuchtet nun die Investments von 2.885 in Deutschland zugelassenen Publikumsfonds in 1.120 ausgewählte Unternehmen, die wegen Verstößen gegen internationale Normen und Standards in den Bereichen Umwelt, Soziales oder Governance in der Kritik stehen.[1] Untersucht werden unter anderem die Eigen- und Fremdfonds der vier größten deutschen Fondsgesellschaften Allianz Global Investors, Deka, DWS und Union Investment. 839 der bei Faire Fonds Info analysierten Fonds sind ETFs (Exchange Traded Funds).
Mehr als die Hälfte (1.782) der vom Verbraucherportal untersuchten Fonds werden von Lipper for Investment Management als „ESG-Fonds“ gelabelt. 1.496 von ihnen sind nach der EU-Offenlegungsverordnung als Artikel 8 klassifiziert; 286 der Fonds sind Artikel 9-Fonds. Insgesamt untersuchte das Portal zum Zeitpunkt der Analyse für das neue Update (Rechercheschluss 17.03.2023) ein verwaltetes Vermögen von mehr als 2,6 Billionen Euro, von denen 1,4 Billionen von ESG-Fonds verwaltet wurden.
Insgesamt waren zum Untersuchungszeitpunkt 422 Milliarden Euro (16%; rund jeder fünfte Euro) der in Deutschland vertriebenen Publikumsfonds in Aktien und Anleihen von Unternehmen investiert, die laut Faire Fonds Info-Methodik im Konflikt mit internationalen Normen und Standards stehen. 174 Milliarden Euro entfielen davon auf ESG-Fonds – also rund jeder achte Euro.
Konventionelle sowie ESG-Fonds zu nachlässig bei der Berücksichtigung von Menschenrechten
214 Milliarden Euro waren zum Untersuchungszeitpunkt in 66 börsennotierte Unternehmen [2] aus den Branchen Automobil, Informationstechnik und Agrarwirtschaft investiert, denen laut Corporate Human Rights Benchmark (CHRB) in ihren eigenen Geschäftsaktivitäten oder entlang ihrer Lieferkette Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen vorgeworfen werden und die hierauf nicht angemessen reagiert haben. Beispielsweise, so CHRB, seien keine Entschädigungen an Opfer menschenrechtsverletzender Geschäftspraktiken gezahlt worden.
Die neue Faire Fonds Info-Analyse zeigt u.a., dass trotz der Berichterstattung zu Arbeitsrechtsverstößen in Lieferketten der Tech-Industrie konventionelle, aber auch ESG-Fonds häufig und z.T. umfassend in Konzerne dieser Branche investieren. Ein Viertel der insgesamt 2.884 untersuchten Fonds waren zum Untersuchungszeitpunkt z.B. in Microsoft (707 Fonds) investiert, dicht gefolgt von Apple (656) und Amazon (470). Selbst die untersuchten ESG-Fonds (1.782) waren zu einem Viertel an Microsoft beteiligt (466), ebenfalls gefolgt von Apple (380) und Amazon (246).
In diesem Kontext steht häufig der Rohstoffkonzern Glencore als Zulieferer der Technologiekonzerne Microsoft, Alphabet, Dell oder Apple in der Kritik. Glencore wird vorgeworfen, in Kobaltminen in der Demokratischen Republik Kongo Kinder, die teilweise erst 6 Jahre alt sind, zu beschäftigen – für ca. 1,5 Dollar am Tag und bis zu 6 Tage in der Woche. Dies sind Vorwürfe, auf die die Technologiekonzerne, trotz Klage durch die Menschenrechtsgruppe Rights Advocates, bisher nicht ausreichend reagiert haben. Die Klage wurde von einem US-Bezirksrichter im November 2021 abgewiesen, nachdem die Tech-Giganten öffentlich darlegten, dass die Minen nicht ihnen gehören würden und sie einen zwischengeschalteten Lieferanten zur Kommunikation mit den Minen hätten. Sie postulierten, dass nach der Definition des „Trafficking Victims Protection Reauthorization Act (TVPRA)“ eine gesamte globale Lieferkette „kein Unternehmen“ ist. [3]
Frederike Potts, Projektkoordinatorin für Faire Fonds Info bei Facing Finance:
„Investments in Unternehmen, die den Opfern ihrer menschenrechtverletzenden Geschäftspraktiken – auch entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette – keine Entschädigung zahlen, dürften niemals unter dem Attribut ‚nachhaltig‘ vermarket werden. Das täuscht Verbraucher*innen. An einem Fall wie Glencore und seiner Beziehungen zur Tech-Industrie kann man gut sehen, weshalb auch der Finanzsektor umfassend in die EU-Lieferkettenregulierung aufgenommen werden muss.“
Tabelle 1: Anzahl der Investments deutscher Anbieter von ESG-Fonds in Unternehmen, denen laut CHRB Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden
Rund 78% der ESG-Fonds der Allianz sind in mindestens ein Unternehmen investiert, dem Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Bei den ESG-Fonds von Union Investment sind es rund 76%, bei der DWS rund 74%. Bei der Deka sind es 23% der ESG-Fonds, die in mindestens eins der vom CHRB untersuchten Unternehmen investiert sind, die nicht angemessen auf Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen reagiert haben.
Julia Dubslaff, Projektkoordinatorin für Faire Fonds Info bei urgewald:
„Bei Richtlinien und Ausschlüssen für fossile Energien sehen wir eine gewisse positive Dynamik und selbst die DWS hat kürzlich eine Richtlinie zu Kohle-Investitionen aufgestellt. Bei dem Thema Investitionen in Unternehmen, die Menschenrechtsverletzungen begehen bzw. tolerieren, gibt es allerdings bei sämtlichen deutschen Anbietern nicht ausreichend Ausschlüsse bzw. Regelungen. Insbesondere ESG-Fonds, die sich immer mehr aus fossilen Energien zurückziehen, dürfen jetzt nicht ihr Heil in Profiten suchen, die mit Verletzungen von Menschenrechten in der Lieferkette erkauft werden.“
Waffenexporte und Menschenrechte in deutschen Publikumsfonds
Die neue Untersuchung von Faire Fonds Info zeigt zudem, dass 46% aller untersuchten Fonds und selbst 39% aller ESG-Fonds nach wie vor in Waffenexporteure [4] investieren. Unternehmen aus den USA, Frankreich, Großbritannien, aber auch aus Deutschland beliefern Länder wie z.B. Saudi-Arabien in teils großem Umfang mit Waffen und Munition – trotz der bekannten Risiken von damit begangenen Kriegsverbrechen im Jemenkrieg und Menschenrechts-verletzungen. Dabei verbietet der „Arms Trade Treaty“ (ATT), der seit fast 10 Jahren in Kraft ist, Rüstungsgütertransfers, wenn ein großes Risiko besteht, dass Waffen bei Kriegsverbrechen oder schweren Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden.
Besonders auffällig sind in diesem Kontext die Investments der Anbieter Amundi, BlackRock und der DWS. Dies trifft sogar auch auf einige ESG-Fonds dieser Anbieter zu, z.B. Xtrackers Future Mobility UCITS ETF 1C (DWS) oder Amundi Dax 50 ESG UCITS ETF DR A und iShares DAX ESG UCITS ETF (DE) (BlackRock).
Fußnoten
[1] Die Methodik inklusive der Quellenanagaben findet sich hier: https://www.faire-fonds.info/methodik/
[2] In der Methodik von Faire Fonds Info finden sich Details zum CHBR und der Anwendung der Benchmark im Rahmen des Verbraucherportals. Für Faire Fonds Info werden diejenigen Unternehmen ausgewählt, die laut der CHRB nicht angemessen auf die Vorwürfe reagiert haben: https://www.faire-fonds.info/methodik/
[3] https://www.business-humanrights.org/en/latest-news/lawsuit-against-apple-google-tesla-and-others-re-child-labour-drc/
[4] In der Methodik von Faire Fonds Info finden sich Details zu den hier hinzugezogenen Unternehmensquellen Exit Arms (Datenbank von Facing Finance) und Sipri: https://www.faire-fonds.info/methodik/
Disclaimer
Grundsätzlich werden im Rahmen des Verbraucher-Portals faire-fonds.info keine Empfehlungen für oder gegen bestimmte Investmentfonds abgegeben. Die Nutzer*innen der Plattform sind aufgerufen, bitte sorgfältig die ökonomischen Vor- und Nachteile abzuwägen, bevor sie ihr Geld in Investmentfonds anlegen, insbesondere in Bezug auf Risiken und die Kosten. Nutzer*innen sollten sich grundsätzlich von Anbietern über die nachhaltige Ausrichtung der Investmentfonds informieren lassen und beachten, dass sich die Zusammensetzung der einzelnen Investmentfonds von Zeit zu Zeit ändern kann. Außerdem sei darauf hingewiesen, dass eine Belastung von 0% nicht unbedingt bedeutet, dass der entsprechende Fonds aus nachhaltiger Perspektive wirklich unbelastet ist. Im Portfolio werden nur die 1.108 Unternehmen gekennzeichnet, die unsere derzeitigen Quellen abdecken. Es gibt darüber hinaus natürlich noch weitere, kritische Unternehmen.
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