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Disziplinarrechtliches Vorgehen der Justizverwaltung in Brandenburg gegen Richter und NRV-Landesprecher gefährdet Vertrauen in demokratische Gewaltenteilung

Am 16. April 2020 gab die Justizministerin einen „Nichtanwendungserlass“ für die im Richtergesetz des Landes vorgesehene umfassende Mitbestimmung der Richtergremien aus. Im Dezember 2020 erklärte das Bundesverwaltungsgericht das Richterbeurteilungswesen in Brandenburg für verfassungswidrig. Im September 2022 versetzte die Ministerin sodann unter Missachtung des Votums des Richterwahlausschusses Kollegen der Arbeitsgerichtsbarkeit in andere Arbeitsgerichte. Dieses Vorgehen wurde durch die Dienstgerichte des Landes als Verfassungsverstoß sanktioniert und ausdrücklich auf den Zweck der Mitentscheidung des Richterwahlausschusses als Mittel zur Stärkung der Akzeptanz von Personalentscheidungen sowie der richterlichen Unabhängigkeit hingewiesen.

Als Reaktion auf dieses wiederholt verfassungswidrige Handeln der Justizverwaltung und in einer dadurch „aufgeheizten Stimmung“ hat ein Landessprecher der NRV Berlin-Brandenburg, Peter Pfennig, nach einer verbandsinternen Meinungsbildung im Rahmen einer Pressemitteilung vom 28. September 2022 folgenden „O-Ton“ zum Verhalten der Ministerin abgegeben: „Anstatt ihre Bindung an Gesetz und Recht zu beachten, verhält sie sich insbesondere im Fall der beiden Arbeitsrichter wie eine Querulantin, die unbedingt ihren Willen durchgesetzt bekommen will. So ist sie als Justizministerin nicht tragbar. Wir fordern Mi-nisterpräsident Dietmar Woidke auf, Frau Hoffmann unverzüglich an ihre Aufgaben als Jus-tizministerin zu erinnern und sie zu ermahnen, aus dem Amt heraus keinen weiteren Schaden in und an der rechtsprechenden Gewalt anzurichten, andernfalls nur noch bleibt, den sofortigen Rücktritt einzufordern.“

Nun beabsichtigt die Brandenburgische Justizverwaltung gegen den Landessprecher der NRV wegen des genannten O-Tons der Pressemitteilung einen Verweis zu erteilen.

Zur Auswahl des Verweises als Disziplinierungsmittel erklärt der Präsident des VG: „Dies wird der Schwere des Dienstvergehens, dem Persönlichkeitsbild von Herrn Pfennig als einem justizpolitisch besonders engagierten Richter sowie dem Umfang gerecht, in welchem er das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit durch den Verstoß gegen das Mäßigungsgebot beeinträchtigt hat.“

Das Disziplinarverfahren gründet sich dabei allein auf einen Verstoß gegen § 39 DRiG, wonach ein Richter sich innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten hat, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird. Dabei sind Richter keine Beamten, weshalb von ihnen allein die ausdrücklich in § 39 DRiG normier-ten Pflichten gefordert werden können, die bewusst die Pflicht zur Wahrung der Unabhän-gigkeit in den Mittelpunkt stellen. Die richterliche Unabhängigkeit umfasst dabei die äußere und innere Unabhängigkeit als Neutralität, Unparteilichkeit und Distanz.
 
Mari Weiß, Sprecherin des Bundesvorstandes der NRV erklärt: „Der disziplinarrechtliche Vorwurf ist mit Blick auf das Schutzgut der richterlichen Unabhängigkeit rechtlich abwegig und für den Zustand der Demokratie in Brandenburg besorgniserregend: Ein Landessprecher hat mit zugegeben harten Worten unter Aufzählung der dokumentierten Verfassungsverletzungen der Ministerin die Unabhängigkeit der Justiz verteidigt.“

Friederike Küster-Lange, Sprecherin der Fachgruppe Verwaltungsrecht, ergänzt: „Der NRV-Landessprecher wird hier ausdrücklich als Sprecher einer berufsständischen Vereinigung in den Blick genommen. Darin liegt ein Angriff auf die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit.“

Unter anderem derartige Vorgehen sind Grund dafür, dass rd. 67 % der deutschen Justizangehörigen die Unabhängigkeit der Justiz in Deutschland in Gefahr sehen (vgl. ROLAND Rechtsreport 2023).

Ruben Franzen, Sprecher der Fachgruppe Justizstruktur und Gerichtsverfassung, führt aus: „In einem ‚Stresstest Justiz‘ war zwar festzustellen, dass in Deutschland grundsätzlich eine durch das Grundgesetz und gelebte demokratische Kultur gesicherte richterliche Unabhängigkeit besteht. Zugleich ist aber deutlich geworden, dass diese in Gefahr ist, wenn eine Partei in Regierungsverantwortung Bestrebungen entfaltet, Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Richterschaft und die Rechtsprechung zu nehmen. Gegen solche Eingriffe brauchen wir die Entkopplung der Personalkompetenz aus den Justizministerien sowie eine dezentrale Gerichtsverwaltung.“

Die NRV hat bereits mit Urteilsverkündung des jüngsten Urteils des Europäischen Gerichtshofs zur richterlichen Unabhängigkeit in Polen darauf hingewiesen, dass dieser die richterliche Unabhängigkeit schon beeinträchtigt sieht, wenn für Richter*innen allein die Aussicht darauf besteht, dass sie politischer Kontrolle, Druck oder Einschüchterung unterliegen und aus politischen Gründen einem Disziplinarverfahren unterzogen werden. Genau dies tut aber das hiesige Disziplinarverfahren.

Mari Weiß fordert daher: „Es ist an der Zeit, dass die Brandenburger Justizverwaltung dem Dienstgerichtshof, dem Bundesverwaltungsgericht, dem Bundesverfassungsgericht, dem Europäischen Gerichtshof sowie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Folge leistet und weitere Verfassungsverletzungen – insbesondere durch personalpolitisch motivierte Disziplinarverfahren gegen Justizangehörige – beendet.“

Hintergrundinformationen zum Disziplinarverfahren und dessen rechtlicher Einordnung stehen unter https://www.neuerichter.de/details/artikel/article/disziplinarrechtliches-vorgehen-der-justizverwaltung-in-brandenburg-gefaehrdet-demokratische-gewaltenteilung zur Verfügung.

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