ERC-gefördertes Forschungsprojekt an der Filmuni gestartet
Der Begriff der Atmosphäre – in einer Landschaft oder einem Restaurant, bei einem Event oder in einer besonders angespannten politischen Phase – scheint auf der intuitiven Ebene einfach verständlich. Oft ist uns eine bestimmte Atmosphäre nicht einmal unmittelbar bewusst, sondern wird erst durch deren Abwesenheit mit plötzlicher Klarheit wahrgenommen, so z. B. als während der Pandemie Sportereignisse im Fernsehen ohne die pulsierende Atmosphäre der jubelnden Menge übertragen wurden. Unsere Fähigkeit, Stimmungen zu antizipieren, gehört zu unseren wichtigsten sozialen wie kulturellen Kompetenzen. Das Medium Film hat sich dies von Anbeginn zunutze gemacht und seine ästhetischen Mittel, wie Schnitt, Kadrierung, Kamerabewegung, Ton und Musik, Farb- oder Lichteffekte, zum Erzählen von Geschichten, zum Darstellen von Sachverhalten genutzt – oder aber zur Beeinflussung der menschlichen Wahrnehmungen und Handlungen aus ästhetischen, künstlerischen, kommerziellen oder auch ideologischen Gründen.
So schaffen es Filme oder Serien, „uns auf der Ebene der körperlichen Erregung zu fesseln, bevor wir in der Lage sind, uns aus rationalen, kritischen oder moralischen Gründen von ihnen zu distanzieren. Filmschafffende sind sich dessen bewusst. Fernsehserien wie die Sopranos oder Breaking Bad experimentieren damit, wie lange wir bereit sind, mit einer moralisch verwerflich handelnden Figur zu sympathisieren, wenn diese Taten unter attraktiven ästhetischen Bedingungen präsentiert werden. Dies war auch das immer wiederkehrende Thema des Kinos von Hitchcock, der es sich mit großer Freude zur Aufgabe gemacht hat, das Publikum darüber aufzuklären, wie sehr er es mit den Mitteln des filmischen Mediums manipulieren kann“, so der dänische Film- und Medienwissenschaftler Dr. Steffen Hven. Er hat es sich zum Ziel gesetzt, in seinem Projekt „Cinematic Atmospheres: Towards a New Ecology of the Moving Image (CATNEMI)“, die Bedeutung filmischer Atmosphären zu erforschen. Dabei ist es ihm wichtig zu verstehen, welche Folgen es hat, wenn die atmosphärischen Mittel des Kinos in unserer Kultur des bewegten Bildes "demokratisiert" und für die breite Bevölkerung frei zugänglich sind, wenn sie – vor allem für die Digital Natives – zum selbstverständlich genutzten Repertoire der Kommunikation und Selbstdarstellung gehören. Vor welche Herausforderungen stellt uns das?
Die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Forschungsvorhabens wird allein dadurch deutlich, dass der Europäische Forschungsrat (ERC) es in einem hochkompetitiven Verfahren aus knapp 3000 europaweiten Bewerbungen nach Exzellenzkriterien ausgewählt hat. Dank eines Starting Grants in Höhe von über 1,33 Millionen Euro kann Steffen Hven als Forschungsgruppenleiter ein eigenes, unabhängiges Team aufbauen und die Grundlagenforschung zu diesem relevanten Thema vorantreiben. Dafür ist er nun als Gastprofessor an die Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF gekommen und stellt aktuell seine Forschungsgruppe zusammen. Zusammen mit seinen Fachkolleg*innen wird er unter Nutzung der besonderen Gegebenheiten unserer Hochschule, mit ihrer Nähe von wissenschaftlicher Forschung und filmkünstlerischer Praxis, in den in nächsten fünf Jahren die Strategien zur Erzeugung von Atmosphären im ästhetischen Kontext des filmischen Erzählens untersuchen. Dabei werden nicht nur Kino oder Fernsehen betrachtet, sondern eben auch größere soziokulturelle, ökonomische und politische Kontexte, von Kunstinstallationen bis hin zu den Sozialen Medien, so dass sich bessere Parameter zur Einordnung und Bewertung dieses flüchtigen Phänomens entwickeln lassen.
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