Verbraucher & Recht

Gesetzliche Regelungen zur Vergütung von Gefangenenarbeit in Bayern und Nordrhein-Westfalen sind verfassungswidrig

Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass Art. 46 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 und Abs. 6 Satz 1 des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes (BayStVollzG) und § 32 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs. 1 des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen (StVollzG NRW) mit dem Resozialisierungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar sind. Diese landesrechtlichen Vorschriften regeln die Vergütung, die Gefangene im Strafvollzug für dort erbrachte Arbeitsleistung erhalten.

 Die Konzepte zur Umsetzung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots im BayStVollzG und im StVollzG NRW sind in sich nicht schlüssig und widerspruchsfrei. Aus den gesetzgeberischen Konzepten kann jeweils nicht nachvollziehbar entnommen werden, welche Bedeutung dem Faktor Arbeit – im Vergleich zu anderen Behandlungsmaßnahmen – zukommen soll, welche Ziele mit dieser Behandlungsmaßnahme erreicht werden sollen und welchen Zwecken die vorgesehene Vergütung für die geleistete Arbeit dienen soll. Zudem ist Wesentliches nicht gesetzlich geregelt. In Bayern und Nordrhein-Westfalen fehlt es jeweils an einer gesetzlichen Regelung zur Kostenbeteiligung der Gefangenen an Gesundheitsleistungen, in Bayern zusätzlich an gesetzlichen Vorgaben für den Inhalt der Vollzugspläne. Darüber hinaus findet in beiden Bundesländern keine kontinuierliche, wissenschaftlich begleitete Evaluation der Resozialisierungswirkung von Arbeit und deren Vergütung statt.

 Die Vorschriften bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 30. Juni 2025, weiter anwendbar.

Sachverhalt:

 In Bayern und Nordrhein-Westfalen erhalten Strafgefangene für im Strafvollzug geleistete Arbeit ein Arbeitsentgelt. Dieses wird nach Art. 46 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG und § 32 Abs. 1 Satz 2 StVollzG NRW als sogenannte Eckvergütung in Höhe von 9 % der Bezugsgröße – dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller Versicherten der Deutschen Rentenversicherung des vorvergangenen Kalenderjahres – bemessen. Ein Tagessatz ist der zweihundertfünfzigste Teil der Eckvergütung. In beiden Ländern kann das Arbeitsentgelt je nach Leistung der Gefangenen und der Art der Arbeit gestuft werden. 75 % der Eckvergütung dürfen nur dann unterschritten werden, wenn die Arbeitsleistungen der Gefangenen den Mindestanforderungen nicht genügen (Art. 46 Abs. 3 BayStVollzG). Hinzu kommt der nicht monetäre Teil der Vergütung, der in Bayern wie folgt geregelt ist: Haben die Gefangenen zwei Monate lang zusammenhängend gearbeitet, so werden sie auf ihren Antrag hin einen Werktag von der Arbeit freigestellt (Art. 46 Abs. 6 Satz 1 BayStVollzG). In Nordrhein-Westfalen erhalten Gefangene auf Antrag für drei Monate zusammenhängender Ausübung einer Arbeit oder einer Hilfstätigkeit zwei Tage Freistellung von der Arbeitspflicht oder Langzeitausgang (§ 34 Abs. 1 StVollzG NRW). Wird ein solcher Antrag nicht gestellt oder kann die Freistellung nicht gewährt werden, so werden die Freistellungstage auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet.

 Der Beschwerdeführer zu 1. verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Straubing in Bayern. Der Beschwerdeführer zu 2. befand sich in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Werl in Nordrhein-Westfalen. Der Beschwerdeführer zu 1. arbeitete in einer anstaltseigenen Druckerei, der Beschwerdeführer zu 2. als Kabelzerleger in einem entsprechenden Betrieb. Die Beschwerdeführer beantragten jeweils eine Erhöhung ihres Arbeitsentgelts. Die Justizvollzugsanstalten Straubing und Werl lehnten die Anträge ab. Die von den Beschwerdeführern dagegen vor den Fachgerichten eingelegten Rechtsbehelfe blieben erfolglos.

 Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführer unmittelbar gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen und mittelbar gegen die landesgesetzlichen Bestimmungen zur Vergütung von Gefangenenarbeit. Mit Blick auf die nach ihrer Ansicht zu niedrige Entlohnung rügen sie einen Verstoß gegen das Resozialisierungsgebot.

 Wesentliche Erwägungen des Senats:

 Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind begründet.

  1. Die mittelbar angegriffenen Regelungen in Art. 46 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 und Abs. 6 Satz 1 BayStVollzG sowie § 32 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs. 1 StVollzG NRW sind mit dem Resozialisierungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
  2. a) Die Verfassung gebietet, den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung der Gefangenen auszurichten. Der einzelne Gefangene hat einen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass dieser Zielsetzung bei ihn belastenden Maßnahmen genügt wird. Für die Freiheitsstrafe, bei der die staatliche Gewalt die Bedingungen der individuellen Lebensführung weitgehend bestimmt, erlangt das Gebot der Resozialisierung besonderes Gewicht. Den Gefangenen sollen die Fähigkeit und der Wille zu eigenverantwortlicher Lebensführung vermittelt werden. Sie sollen sich in Zukunft unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch behaupten, die Chancen einer solchen Gesellschaft wahrnehmen und ihre Risiken bewältigen können.
  3. b) Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot ist für alle staatliche Gewalt verbindlich. Es richtet sich zunächst an den Gesetzgeber, dem die Aufgabe zukommt, den Strafvollzug normativ zu gestalten und ihn auf das Ziel der sozialen Integration auszurichten. Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot verpflichtet den Gesetzgeber dazu, ein wirksames und in sich schlüssiges, am Stand der Wissenschaft ausgerichtetes Resozialisierungskonzept zu entwickeln und dieses mit hinreichend konkretisierten Regelungen des Strafvollzugs umzusetzen. Zudem hat er dafür Sorge zu tragen, dass für als erfolgsnotwendig anerkannte Vollzugsbedingungen und Maßnahmen die Ausstattung mit den erforderlichen personellen und finanziellen Mitteln kontinuierlich gesichert ist. Der Staat muss den Strafvollzug so ausstatten, wie es zur Realisierung des Vollzugsziels, das heißt der Resozialisierung der Gefangenen, erforderlich ist.

 Die Entwicklung eines Resozialisierungskonzepts, das dem verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot gerecht werden soll, ist wesentlich für die Verwirklichung des Grundrechts der Gefangenen auf Resozialisierung. Sie ist zudem für Staat und Gesellschaft von erheblicher Bedeutung. Daraus folgt, dass das vom Gesetzgeber vorzusehende Gesamtkonzept zur Erreichung des von Verfassungs wegen vorgegebenen Resozialisierungsziels aus dem Gesetz selbst erkennbar sein muss. Die Bedeutung, die der Arbeit als Behandlungsmaßnahme und der hierfür vorgesehenen (Gesamt-)Vergütung im Rahmen dieses Gesamtkonzepts beigemessen wird, muss in sich stimmig im Gesetz festgeschrieben werden. Insbesondere muss die jeweilige Gewichtung des monetären und nicht monetären Teils der Vergütung innerhalb des Gesamtkonzepts erkennbar sein. Hierzu gehören auch die gesetzliche Festlegung der zugrunde zu legenden Bemessungsgrundlage für den monetären Teil der Vergütung und eine gegebenenfalls vorzunehmende Kategorisierung verschiedener Schwierigkeitsgrade der Arbeit und der arbeitstherapeutischen Behandlungs- und Bildungsmaßnahmen sowie deren jeweilige Entlohnung nach verschiedenen Vergütungsstufen. Der Gesetzgeber muss zudem die Zwecke, die im Rahmen seines Resozialisierungskonzepts mit der (Gesamt-)
Vergütung und insbesondere dem monetären Vergütungsteil erreicht werden sollen, im Gesetz benennen und widerspruchsfrei aufeinander abstimmen. Auch Auswahl und Umfang der nicht monetären Vergütungsteile müssen in ihrer Gewichtung und Bedeutung gesetzlich festgelegt werden.

  1. c) Der Gesetzgeber ist nicht auf ein bestimmtes Regelungskonzept festgelegt. Vielmehr ist ihm im Rahmen der Verpflichtung zur Entwicklung eines wirksamen Konzepts ein weiter Gestaltungsraum eröffnet.

Die gesetzlichen Vorgaben für die Ausgestaltung des Vollzugs müssen auf sorgfältig ermittelten Annahmen und Prognosen über die Wirksamkeit unterschiedlicher Vollzugsgestaltungen und Behandlungsmaßnahmen beruhen. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, vorhandene Erkenntnisquellen, zu denen auch das in der Vollzugspraxis verfügbare Erfahrungswissen gehört, auszuschöpfen und sich am aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse zu orientieren. Er hat die Wirksamkeit etablierter und traditioneller Vollzugsgestaltungen und Behandlungsmaßnahmen regelmäßig vor dem Hintergrund veränderter Lebens- und Vollzugsverhältnisse zu überprüfen.

  1. d) Sieht der Gesetzgeber im Rahmen des von ihm festgelegten Resozialisierungskonzepts Arbeit als Behandlungsmaßnahme zur Erreichung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots vor, muss aus den gesetzlichen Regelungen klar erkennbar sein, welcher Stellenwert dem Faktor Arbeit im Gesamtkontext des Resozialisierungskonzepts beigemessen wird. Hierbei ist insbesondere gesetzlich festzuschreiben, in welchem Verhältnis (Pflicht-)Arbeit zu anderen Behandlungsmaßnahmen, etwa zur schulischen und beruflichen Aus- und Weiterbildung, zur Arbeitstherapie und zu therapeutischen Behandlungs-
    oder anderen Hilfs- oder Fördermaßnahmen, steht.
  2. e) Die Frage nach den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Höhe des für Gefangenenarbeit im Strafvollzug gewährten Entgelts kann nur aus dem Zusammenhang mit dem vom Gesetzgeber entwickelten Resozialisierungskonzept beantwortet werden. Deshalb muss ein solches Konzept ebenfalls klar erkennen lassen, welchen Zwecken die vom Gesetzgeber festgelegte Vergütung für Gefangenenarbeit dienen soll.
  3. aa) Aus dem verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot folgt, dass Arbeit im Strafvollzug nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel ist, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung findet.
  4. bb) Die Arbeit im Strafvollzug bereitet vor allem dann auf das Erwerbsleben in Freiheit vor, wenn sie durch ein Entgelt vergütet wird. Allerdings kann der Vorteil für die erbrachte Leistung in dem vom Gesetzgeber festzulegenden Resozialisierungskonzept in unterschiedlicher Weise zum Ausdruck kommen. Der Gesetzgeber kann eine angemessene Anerkennung von Arbeit auch dadurch vorsehen, dass Gefangene durch Arbeit ihre Haftzeit verkürzen („good time“) oder in sonstiger Weise erleichtern können.
  5. cc) Die Anerkennung muss jedoch auch dann, wenn sie nicht allein in Geld, sondern zusätzlich durch nicht monetäre Vorteile erfolgt, einen Gegenwertcharakter für die geleistete Arbeit haben, der auch für die Gefangenen unmittelbar erkennbar ist. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass Gefangene, die sich einer Ordnung ausgesetzt sehen, in der für sie der Zusammenhang zwischen abverlangter Arbeit und angemessenem (gerechtem) Lohn prinzipiell aufgehoben ist, zu Objekten staatlicher Gewalt degradiert würden. Die Art der Anerkennung muss jedenfalls geeignet sein, dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortetes und straffreies Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils vor Augen zu führen.
  6. dd) Ob der Gesetzgeber zur Erreichung dieses Ziels ein Nettolohnprinzip, in dem arbeitenden Gefangenen ein feststehender, niedriger Nettobetrag gezahlt wird, oder ein Bruttolohnprinzip verfolgt, obliegt seiner Entscheidung.
  7. f) Da die Angemessenheit der Vergütung von Gefangenenarbeit auch davon abhängt, welchen Zwecken das Arbeitsentgelt im Rahmen des Resozialisierungskonzepts dienen soll, ist der Gesetzgeber gehalten, diese gesetzlich festzuschreiben. Dabei kann er vorsehen, einen gewissen Anteil des Arbeitsentgelts für bestimmte Zwecke einzubehalten oder die Gefangenen an den Kosten im Vollzug angemessen zu beteiligen.
  8. g) Hat der Gesetzgeber ein Resozialisierungskonzept festgeschrieben und entschieden, welchen Zwecken die Gefangenenarbeit und deren Vergütung dienen sollen, müssen Ausgestaltung und Höhe der Vergütung – und insbesondere der monetären Vergütungskomponente – so bemessen sein, dass die in dem Konzept festgeschriebenen Zwecke unter den gegebenen Umständen auch tatsächlich erreicht werden können, dies mithin angesichts der geringen Entlohnung von Gefangenenarbeit nicht unrealistisch ist. Die Angemessenheit der Vergütungshöhe ist an den mit dem Resozialisierungskonzept insgesamt verfolgten Zwecken zu messen.

 Ein gesetzliches Konzept der Resozialisierung (auch) durch Gefangenenarbeit, die ausschließlich oder hauptsächlich finanziell entgolten wird, kann zur verfassungsrechtlich gebotenen Resozialisierung nur beitragen, wenn den Gefangenen durch die Höhe des ihnen zukommenden Entgelts in einem Mindestmaß bewusstgemacht werden kann, dass Erwerbsarbeit zur Herstellung der Lebensgrundlage sinnvoll ist. Ausgangspunkt hierfür ist die Bedeutung von Erwerbsarbeit in der Gesellschaft. Bei der Regelung dessen, was angemessen ist, kann und muss der Gesetzgeber zahlreiche objektive wie subjektive Kriterien heranziehen.

  1. aa) So kann der Zweck der konkret ausgeübten Beschäftigung als therapeutische Behandlung, als Erwerbsarbeit (insbesondere in den Eigen- und Unternehmerbetrieben) oder als in der Justizvollzugsanstalt notwendige, selbst ausgeführte Hausarbeit bei der Bestimmung der Entlohnung ebenso Berücksichtigung finden wie das Qualifikations-niveau der Arbeit. Mit der Höhe der Vergütung kann der Gesetzgeber auch Anreize für geeignete Gefangene schaffen, sich therapeutischen Maßnahmen zu unterziehen oder eine schulische oder berufliche Aus- oder Weiterbildung zu absolvieren.
  2. bb) Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Justizvollzugsanstalten ist es ein legitimes Ziel, zu große Einkommensunterschiede der Gefangenen untereinander und deren negative Auswirkungen auf das Anstaltsleben – wie etwa das Entstehen von Subkulturen, Abhängigkeiten oder der Leih- und Tauschhandel von Gefangenen untereinander – zu vermeiden.
  3. cc) Die Bezahlung vergleichbarer Tätigkeiten auf dem freien Arbeitsmarkt kann ebenso in den Blick genommen und einbezogen werden wie die typischen Bedingungen des Strafvollzugs, insbesondere die in der Regel geringere Produktivität von Gefangenenarbeit.
  4. dd) Auch die Kosten der Gefangenenarbeit für die Unternehmerbetriebe, die Konkurrenz durch andere Produktionsmöglichkeiten, etwa im Ausland, und die allgemeine Lage auf dem Arbeitsmarkt können berücksichtigt werden. Der Gesetzgeber kann ferner die nicht monetäre Vergütungskomponente, wie etwa die Gewährung von Freistellungstagen, als Teil der verfassungsrechtlich gebotenen Anerkennung unter Berücksichtigung ihrer Art und Höhe einbeziehen.
  5. ee) Sieht der Gesetzgeber ein System (hauptsächlich) finanzieller Vergütung für Gefangenenarbeit vor, so ist es ihm nicht verwehrt, auch einen Haftkostenbeitrag vorzusehen. Das Resozialisierungsgebot fordert aber in der für Strafgefangene typischen Situation einen Ausgleich zwischen dem staatlichen Interesse an einer Kostendeckung und den wirtschaftlichen Interessen und finanziellen Möglichkeiten der Gefangenen. Dies erfordert eine gesetzliche Regelung, nach der der Haftkostenbeitrag so bemessen wird, dass dem Gefangenen von der Vergütung jedenfalls ein angemessener Betrag verbleibt, der ihm einen greifbaren Vorteil im Vergleich zu nicht arbeitenden Gefangenen bringt.
  6. ff) Ebenso kann der (Teil-)Erlass von Verfahrenskosten bei der Festlegung der Höhe der Vergütung in Rechnung gestellt werden.
  7. gg) Die Ermöglichung von Unterhalts- und Wiedergutmachungszahlungen muss, wenn dies in dem jeweiligen Resozialisierungskonzept vorgesehen ist, bei der Festsetzung der Vergütungshöhe ebenfalls berücksichtigt werden. Gleiches gilt für die Tilgung von Schulden, sei es auch nur in geringem Umfang.
  8. hh) Auch die Wahrnehmung der Gesamtvergütung von Gefangenenarbeit und insbesondere der Bemessung der monetären Vergütungskomponente durch die Gefangenen selbst darf nicht unberücksichtigt bleiben. Der Gesetzgeber hat gesetzliche Rahmenbedingungen anzustreben, die dazu beitragen, dass das (geringe) Entgelt nicht als Teil der zu verbüßenden Strafe erlebt wird.
  9. h) Da der Gesetzgeber bei der Regelung des Resozialisierungskonzepts über einen weiten Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum verfügt, nimmt das Bundesverfassungsgericht die verfassungsrechtliche Überprüfung des Konzepts (lediglich) im Rahmen einer Vertretbarkeitskontrolle vor.
  10. Die gesetzlich festgeschriebenen Resozialisierungskonzepte des Freistaats Bayern und des Landes Nordrhein-Westfalen werden diesen Maßstäben nicht gerecht. Sie verstoßen gegen das Resozialisierungsgebot und verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Resozialisierung.
  11. a) Bayern
  12. aa) Der Freistaat Bayern verfügt nicht über ein den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügendes, in sich schlüssiges Resozialisierungskonzept.

In Art. 2 bis 6 BayStVollzG sind mehrere Vollzugsziele und in Art. 3 Satz 3 BayStVollzG eine Reihe von Behandlungsmaßnahmen aufgeführt, die nebeneinanderstehen, ohne erkennbar aufeinander abgestimmt zu sein. Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung, Ausbildung und Weiterbildung stellen offenbar wichtige, wenn nicht sogar die wichtigsten Behandlungsmaßnahmen dar. Die Regelungen zur Arbeitspflicht (Art. 43 BayStVollzG) und zu Art und Höhe der Vergütung (Art. 46 BayStVollzG) sind, soweit ersichtlich, im Wesentlichen ohne neue Erwägungen, Überprüfungen oder Anpassungen aus den vorher geltenden bundesgesetzlichen Regelungen übernommen worden. Ferner sind einige gesetzlich festgelegte Zwecke hinzugekommen, für die der Lohn verwendet werden soll. Art. 78 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG a. F. sah vor, dass die Gefangenen anzuhalten seien, den durch die Straftat verursachten Schaden zu regeln. Mit der Einführung des Art. 5a BayStVollzG im Juni 2018 sollte ausweislich der Gesetzesbegründung der Opferschutz noch deutlicher hervorgehoben und die bisherige Regelung des Art. 78 Abs. 2 BayStVollzG im Wesentlichen übernommen werden. Außerdem sind die Gefangenen in dem Bemühen zu unterstützen, ihre Rechte und Pflichten wahrzunehmen und für Unterhaltsberechtigte zu sorgen.

 Angesichts der geringen monetären Vergütung erscheint es widersprüchlich und im Regelfall realitätsfern, dass Gefangene gleichwohl im Rahmen des immer weiter ins Zentrum des Resozialisierungskonzepts gerückten Opferschutzes dazu angehalten werden sollen, den durch die Straftat verursachten Schaden wiedergutzumachen. Darüber hinaus sollen die Gefangenen zugleich noch für Unterhaltsberechtigte sorgen. Zusätzlich ist gesetzlich geregelt, dass sie an den Kosten für den Betrieb elektronischer Geräte, für Gesundheitsleistungen oder für Suchtmitteltests beteiligt werden beziehungsweise beteiligt werden können. Insofern erschließt sich nicht, wie diese Anforderungen von den Gefangenen erfüllt werden sollen, ohne dass ihnen mehr Lohn für die von ihnen geleistete Arbeit zur Verfügung stünde.

  1. bb) Für die Verwirklichung des Grundrechts der Gefangenen auf Resozialisierung Wesentliches hat der bayerische Gesetzgeber nicht selbst geregelt.

 Regelungen darüber, welche Inhalte die Vollzugspläne der einzelnen Gefangenen aufzuweisen haben, trifft das Bayerische Strafvollzugsgesetz nicht. Ausführungen dazu, was die Pläne beinhalten sollen, finden sich lediglich in Verwaltungsvorschriften. Da es sich bei den Angaben im Vollzugsplan um für die Resozialisierung bedeutsame Gesichtspunkte für die Durchführung des Strafvollzugs handelt, darf der Landesgesetzgeber deren Regelung nicht der Verwaltung überlassen. Gleiches gilt für das Verfahren zur Aufstellung und Fortschreibung der Vollzugspläne.

 Näheres zur Kostenbeteiligung der Gefangenen an Gesundheitsleistungen im Sinne des Art. 63 BayStVollzG ist ebenfalls nur in Verwaltungsvorschriften geregelt. Solche Regelungen, die das Resozialisierungskonzept des Landesgesetzgebers ausgestalten sowie für die monetäre Vergütung der Gefangenenarbeit und deren Verwendung von erheblicher Bedeutung und damit grundrechtsrelevant sind, muss der Gesetzgeber im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens, das auch der (Fach-)Öffentlichkeit Gelegenheit bieten soll, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, jedoch selbst treffen.

  1. cc) Im Zuge des Erlasses des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes fand – soweit ersichtlich – keine Evaluation beziehungsweise wissenschaftliche Begleitung hinsichtlich der Wirkungen von Arbeit und Ausbildung als Behandlungsmaßnahmen und ihrer Vergütung statt. Die mündliche Verhandlung hat ergeben, dass auch weiterhin eine regelmäßige, wissenschaftlich begleitete Evaluation fehlt.

 Zwar ist nach Art. 189 BayStVollzG ein kriminologischer Dienst eingerichtet worden, dessen Aufgabe darin besteht, in Zusammenarbeit mit den Einrichtungen der Forschung den Vollzug, insbesondere die Behandlungsmethoden, wissenschaftlich fortzuentwickeln und seine Ergebnisse für Zwecke der Strafrechtspflege nutzbar zu machen. Mit den hier relevanten Fragen hat er sich jedoch bislang im Schwerpunkt nicht beschäftigt. Auch eine Vergabe entsprechender Forschungsaufträge an die freie Wissenschaft ist, soweit ersichtlich, zumindest in diesem Bereich nicht erfolgt.

 Dies wird der Komplexität der Materie und der Gestaltungsbedürftigkeit des an den Gesetzgeber gerichteten Resozialisierungsgebots in Bezug auf die grundrechtsrelevante Frage der Bedeutung von Arbeit und ihrer Vergütung als Behandlungsmaßnahme nicht gerecht. Hat der Gesetzgeber ein Resozialisierungskonzept geregelt, verpflichtet ihn das Resozialisierungsgebot, die vielfältigen tatsächlichen Bedingungen und veränderte wissenschaftliche Erkenntnisse zur Kenntnis zu nehmen und die Vorschriften zur Umsetzung seines Konzepts gegebenenfalls nachzubessern, um sie mit der Verfassung im Einklang zu halten. Das erfordert eine realitätsgerechte Bewertung der beabsichtigten Resozialisierungsziele mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Behandlungsmaßnahmen. Dies gilt insbesondere auch in Bezug auf die für Gefangenenarbeit festgesetzte Vergütung in ihren monetären und nicht monetären Teilen. Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot verlangt hinsichtlich der Gefangenenarbeit und ihrer Vergütung zumindest eine wissenschaftlich begleitete Evaluation der einzubeziehenden Faktoren – unabhängig und gegebenenfalls parallel zu einer Erforschung und Bewertung der tatsächlichen Wirksamkeit dieser Behandlungsmaßnahme.

  1. b) Nordrhein-Westfalen

 Das Konzept zur Umsetzung und Erreichung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen ist ebenfalls nicht in sich schlüssig und widerspruchsfrei.

  1. aa) Die Regelungen zur Beschäftigungspflicht nach § 29 Abs. 1 und Abs. 3 StVollzG NRW sowie zur Art und Höhe der Vergütung nach den §§ 32 und 34 StVollzG NRW sind ohne wesentliche neue Erwägungen aus dem vorher geltenden Strafvollzugsgesetz des Bundes übernommen worden. In Bezug auf die nicht monetäre Komponente ist allerdings eine Änderung zugunsten der Gefangenen vorgenommen worden. In § 34 Abs. 1 Satz 1 StVollzG NRW ist die Anzahl der durch Arbeit zu erzielenden Freistellungstage von einem Tag für zwei Monate zusammenhängender Arbeit auf zwei Tage für drei Monate zusammenhängender Arbeit und damit um insgesamt zwei Tage pro Jahr erhöht worden.

 Soweit mehrere sachkundige Dritte im Rahmen der mündlichen Verhandlung angegeben haben, Arbeit sei eine selbstverständliche Maßnahme im Strafvollzug, die weniger durch die Aussicht auf ein Entgelt als vielmehr durch persönliche Erfahrungen, wie etwa das Erlebnis, an einem Arbeitstag gute Arbeit geleistet und mit Bezugspersonen entsprechend interagiert zu haben, geprägt sei, spricht zwar viel dafür, dass ein positives Arbeitsverhalten die Persönlichkeitsentwicklung und die Vollzugsgestaltung insgesamt bis hin zur Entlassungsprognose des Gefangenen günstig beeinflussen kann. Hierbei handelt es sich aber nicht um Vergünstigungen, die in einem direkten Bezug zu der konkreten Arbeitsleistung eines Gefangenen stehen und als deren Anerkennung im Sinne einer angemessenen Gegenleistung für die geleistete Arbeit bewertet werden können.

 Die Gefangenen sollen zugleich dabei unterstützt werden, für ihre Unterhaltsberechtigten zu sorgen (§ 4 Abs. 3 StVollzG NRW) und den durch ihre Tat verursachten – materiellen und immateriellen – Schaden auszugleichen (§ 7 Abs. 2 Satz 3 StVollzG NRW). Ausweislich der Gesetzesbegründung soll sich eine derartige Wiedergutmachung auch auf Entschädigungsleistungen in Geld erstrecken.

 Auch mit Blick auf den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Gesamteindruck zum finanziellen Handlungsspielraum der Gefangenen ist es angesichts des in der Haft erreichbaren Entgelts für ihre Arbeit widersprüchlich und realitätsfern, dass diese einen so formulierten – für sich genommen wünschenswerten – Behandlungserfolg erzielen und entsprechenden Verpflichtungen nachkommen können.

 Zusätzlich ist auch im Strafvollzugsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen festgelegt worden, dass die Gefangenen an den Kosten für den Betrieb elektronischer Geräte, für Gesundheitsleistungen oder für Suchtmitteltests beteiligt werden beziehungsweise beteiligt werden können. Erläuterungen dazu, wie die genannten Vollzugsziele angesichts der niedrigen Vergütung für Gefangenenarbeit und der vermehrten Beteiligung der Gefangenen an den Kosten des Vollzugs erreicht werden können, sind der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Insofern ist es nicht nachvollziehbar, wie diese unterschiedlichen finanziellen Leistungen von den Gefangenen tatsächlich erbracht werden sollen.

  1. bb) Für die Verwirklichung des Grundrechts der Gefangenen auf Resozialisierung Wesentliches hat auch der nordrhein-westfälische Gesetzgeber nicht geregelt. Dies betrifft allerdings nur die Regelung zur Kostenbeteiligung der Gefangenen an Gesundheitsleistungen.
  2. cc) In Nordrhein-Westfalen hat der nach § 110 StVollzG NRW für die wissenschaftliche Begleitung, insbesondere der Behandlungsmethoden des Vollzugs, eingerichtete Kriminologische Dienst das Projekt „Evaluation im Strafvollzug (EVALiS)“ ins Werk gesetzt. Zudem ist es ausweislich der Gesetzesbegründung die Aufgabe des Kriminologischen Dienstes, „die rasche Entwicklung des Vollzuges und seiner Schwerpunkte auch unter Berücksichtigung technischer Neuerungen in einem angemessenen Zeitrahmen“ zu berücksichtigen sowie „die dauernde Fortentwicklung eines modernen, dem normierten Vollzugsziel gerecht werdenden Vollzuges“ zu ermöglichen. Ihm obliegt es, „die Behandlungsmethoden auch unter Beachtung einer Kosten-Nutzen-Relation zu analysieren, auszuwerten und wissenschaftlich zu begleiten“.

 Die vom Land Nordrhein-Westfalen unternommenen Evaluierungsmaßnahmen im Rahmen des Projekts EVALiS und die Einsetzung eines Kriminologischen Dienstes, der Maßnahmen im Vollzug insbesondere in Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen kontinuierlich wissenschaftlich begleitet und evaluiert, sind grundsätzlich geeignet, der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Erfassung eines etwaigen Anpassungsbedarfs des gewählten Resozialisierungskonzepts an veränderte tatsächliche Bedingungen oder eine neue wissenschaftliche Erkenntnislage gerecht zu werden und das gesetzgeberische Konzept mit der Verfassung im Einklang zu halten.

 Im Rahmen der Evaluierungs- und Beobachtungsmaßnahmen ist aber bisher keine nähergehende wissenschaftliche Untersuchung oder Begleitung der Auswirkungen von Arbeit im Vollzug und deren Vergütung vorgenommen worden. Dies wird den Anforderungen des Resozialisierungsgebots nicht gerecht.

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