Porträt eines Spielmanns, Vater und Sohn im Heer von Dschingis-Chan und ein Auftrag für Tomor – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Um den Komponisten Franz Schubert geht es in der Erzählung „Der Spielmann vom Himmelpfortgrund“ von Kurt David. Der Autor zeichnet darin ein warmherziges Schubert-Bild vor dem Hintergrund seiner Zeit, der Zeit der napoleonischen Kriege, der Zeit Metternichs und des Wiener Kongresses.
Eine abenteuerliche Geschichte erzählt Kurt David in „Der singende Pfeil“, erstmals 1962 erschienen und im selben Jahr beim Preisausschreiben für Kinder- und Jugendliteratur des Ministeriums für Kultur ausgezeichnet. Im Zentrum steht der fünfzehnjährige Tomor, dessen Vater von den Weißgardisten verschleppt wird. Tomor bricht auf, um seinen Vater freizukaufen, schließt sich der Revolutionsarmee an und nimmt an der nationalen und sozialen Befreiung seines mongolischen Volkes teil. Und Tomor soll einen besonderen Auftrag erfüllen.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Diesmal geht es um junge Leute und um Entscheidungen, die ihnen die Zeiten abverlangen.
Erstmals 1974 erschien im Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik Berlin „Der Köder. Die Zauberer von Baracoa“ von Heinz Kruschel: In den zwanziger Jahren, als die Basmatschen im sowjetischen Zentralasien, unterstützt von den Engländern, mit Terror und Mord einen muselmanischen Staat aufbauen wollten, kämpften Sawrija und Ulug nicht nur um ihre Liebe, sondern auch um das Leben des Dichters, das sie aber nicht mehr retten konnten.
Während des zweiten Weltkrieges wollte ein Sechzehnjähriger nicht glauben, dass sein väterlicher Freund nicht wiederkehren sollte. Er sträubte sich gegen den Befehl, ihn im Interesse der Gruppe aufzugeben, ihrer Aufgabe und der Sache wegen, und er musste sich doch gegen den Freund entscheiden.
Und spät entscheidet sich Boris in den ersten Tagen des bulgarischen Aufstandes, zu spät für seine Mutter Rusha, die von seinen ehemaligen Freunden getötet wurde, aber noch nicht zu spät für den Zug der Gefangenen, die auf dem Wege vom Zuchthaus zum Bahnhof überfallen werden sollten. Noch hörte er das Lied, „das die Räder des Wagens singen werden“.
Das Dorf, in dem Orestes mit Caridad und den anderen Klassenkameraden alphabetisieren sollte, lag im unwegsamen Bergland von Baracoa, und die Menschen lebten dort unter bitteren Verhältnissen. Die Kinder starben früh, weil es an Eiweiß mangelte, die Leute glaubten dem Medizinmann, Epidemien brachen aus, die Konterrevolution gab sich noch nicht geschlagen. Der fünfzehnjährige Orestes musste entscheiden und handeln wie ein Mann. Sogar gegen seinen Pflegevater, der Kuba mit ihm verlassen wollte.
In den vier Erzählungen Heinz Kruschels stehen junge Menschen vor Aufgaben, die unlösbar erscheinen. Sie müssen Entscheidungen treffen, die fast zu schwer für sie sind, die Entscheidungen junger Revolutionäre. Sie müssen über sich selbst hinauswachsen. Kruschel gestaltet vier außergewöhnliche Stoffe in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten. Der Reiz des Bandes liegt in der erregenden Darstellung wie auch in der thematischen, weil internationalen Vielfalt. Der kritische Vergleich des jugendlichen Lesers mit den Helden der Erzählung wird geradezu herausgefordert.
Überzeugen Sie sich selbst anhand dieser Leseprobe:
Der kleine Nicolas sah ihn zuerst. Es war Sonntag. Seine Familie lief ins Freie, um den alten Mann zu begrüßen, der auf einem kleinen drahtigen Pferd saß und von mehreren Männern begleitet wurde. Ein Mädchen sei schwer krank, erzählte die Hausfrau, der Don werde sie heilen, das sei eine große Ehre, nur selten zeige sich der alte Don, er verfüge über geheimnisvolle Gaben. Dann setzte sich der Zug langsam in Bewegung wie zu einer Prozession.
Nicolas lief ihnen voraus, kam atemlos im Tal an. Die Menschen versammelten sich auf demselben Platz, wo die jungen Rebellen vor Monaten angekommen waren. „Ein Medizinmann ist da!“, rief Nicolas den Freunden zu. „Er will ein krankes Mädchen heilen!“
Renee fragte: „Ein Medizinmann? Das gibt es doch nicht. Leben wir denn im Mittelalter?“ Julian blickte ihn böse an. Alle kamen: Orestes mit seiner Familie, Caridad, der alte Carmelo, Felix, die Männer und Frauen, nur die Kinder hielten sich scheu abseits.
Der alte Don sprach nicht, er hielt die schweren Augenlider halb geschlossen. Um seinen Hals hingen mehrere lange Ketten, an denen Skorpionstachel, getrocknete Vogelzungen, Zangen der Buschspinnen, Haarbüschel, Schneckenhäuser und Knoblauchknollen befestigt waren. Der alte Don war also doch ein Zauberer! Orestes sagte zu Renee, dass dies der Mann sei, von dem sie die Kühe erhalten hatten.
Dann brachte der Vater sein bewusstloses Kind, ein Mädchen, vielleicht zehn Jahre alt. Er trug es vor sich her und legte es auf einen mit Palmblättern bedeckten Platz. Die Menschen waren still, nur der Vater jammerte leise. Das Mädchen rührte sich nicht, doch es hielt die Augen geöffnet. Der Kopf war rot und geschwollen. Fieber! Carmelo rief, der alte Don solle verschwinden, aber zwei Männer hielten ihn fest. Carmelo schrie weiter, der elende Don solle sich davonscheren, seinetwegen könne er ja in einer Yumurri-Höhle hausen, man solle ihn sofort loslassen, er werde den Kerl selbst erwürgen, verdient habe er es schon lange.
Der Don blieb auf seinem Pferd sitzen und schwieg. Der Vater des Mädchens fragte demütig, ob das Kind zu heilen sei, er habe nur noch das eine, die Geschwister seien gestorben. Der Don antwortete nicht, das schien unter seiner Würde zu sein. Er gab vom Pferd herab seine Anweisungen. Die alten Frauen gehorchten ihm sofort. Er reichte ihnen ein mit Wachs verklebtes Ziegenhorn und befahl ihnen, das Wachs zu entfernen und die Kräutermischung darin in einem Topf zum Kochen zu bringen. Andere sollten ein Feuer anzünden, aber es dürfe nur schwelen, nicht brennen. Der Vater trat zurück. Der Don hockte immer noch auf dem Pferd.
Auf Orestes wirkte das alles wie ein Märchen, wie ein Theaterstück auf einer Freilichtbühne. Aber das war keine Exotik für Touristen, es war pure Wirklichkeit, und das in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Caridad fasste sich zuerst und rief: „Tut denn hier keiner was? Renee? Orestes? Felix? Das sind doch Faxen! Denkt hier keiner an das arme Kind?“
Renees Stirn rötete sich. Die alten Frauen murrten. Der Don lächelte Caridad zu. Die Frauen verlangten, Caridad solle den Mund halten. Carmelo tobte wieder, aber er kam gegen die kräftigen Männer, die ihn festhielten, nicht an. Der krumme Alte, den Orestes schon kannte, blies in das Feuer, es qualmte stark und beizte die Augen. Der alte Don begann zu singen, er hatte eine schöne, volle Bassstimme.
Der Vater fragte immer wieder: „Ihr helft mir doch? Nicht wahr, ihr helft mir, Don?“
Caridad sagte zu Orestes: „Ich liebe dich, aber ich mag dich nicht mehr, wenn du nur gaffst. Du bist doch kein Feigling. Muss dich erst der alte Carmelo beschämen?“
Orestes fasste sich ein Herz, ging zu dem Don und unterbrach seinen Gesang. „Buenos dias, Don. Was soll das culto? Meint ihr nicht, das Kind müsse vom Arzt behandelt werden?“
Der Don hielt inne, lächelte und sagte: „Ah, der Agitator. Leben die Kühe noch? Tatsächlich? Das hatte ich nicht erwartet. Sie sollten nämlich am nächsten Tag erschossen werden; sie brachten nur noch tote Kälber zur Welt und steckten die Herde an, und Milch gaben sie kaum noch. Bravo, ihr habt den Weg geschafft. Aber jetzt lasst mich meine Arbeit tun, die Leute erwarten das von mir. Sie mögen mich nicht, aber sie brauchen mich, das siehst du doch.“
Renee stand plötzlich an Orestes’ Seite und schrie den Don an: „Unterlassen Sie hier den Zauber!“ Man riss Renee zurück, er schlug hin. Das Kind wurde mit qualmenden Palmblättern befächelt, die Leute husteten, das Kind regte sich nicht, einige Frauen begannen zu singen. Der krumme Alte half dem Don vom Pferd, nun stand er gebeugt auf seinen dünnen Beinen neben dem Kind und starrte es an.
Orestes sah sich um. Nicolas und Felix standen wie gebannt. Jesus und Maria hielten sich abseits, und Julian erklärte: „Der Mann vertraut dem Don, es ist sein Kind, und der Don wird das Mädchen retten, er kann es, er wird helfen können.“
Renee hatte sich aus dem Staub erhoben. Der alte Don sagte zu Orestes: „Du sprichst von Ärzten. Ist hier einer? Soll ich das Kind sterben lassen? Na, siehst du!“
„Aber so stirbt es unbedingt!“, rief Caridad.
„Weißt du das genau?“
Orestes dachte: Jesus könnte etwas tun, auf Jesus haben die Leute schon oft gehört, aber er steht abseits, hat seine Frau umgefasst und sieht zu. Hat er Angst?
Dann hielt Renee seine Pistole in der Hand, die er schon in der Schule gehabt hatte, als er aus der Sierra zurückgekommen war. Er hatte sie nicht abgegeben. Dreimal schoss er in die Luft. Einige Frauen schrien auf, dann wurde es ganz still, nur die grünen Blätter zischten in der Glut. Der alte Don versuchte weiterzusingen, und der krumme Alte legte auf Renee an.
„Lass das“, sagte Renee scharf, „schmeiß die Knarre weg, ich schieße besser und schneller als du.“
Der Don gab seinem Leibwächter ein Zeichen, der warf das Gewehr ins Gras. „Was willst du? Mit welchem Recht bedrohst du mich hier?“
Renee antwortete nicht, sondern sagte zu dem Vater des Kindes, er solle das Pferd des Alten nehmen und sofort nach Baracoa reiten. „Du wirst vielleicht das Kind noch retten können, wenn es so schnell wie möglich in ein Krankenhaus kommt. Es hat das gelbe Fieber, ich kenne die Krankheit.“
Der Vater weinte. „Ich muss über zehn Flüsse bis Baracoa, das Kind stirbt mir unterwegs.“
Der Don sagte laut: „Stimmt. Ich heile das Kind.“ Er winkte Renee zu sich heran. „Stirbt das Kind auf dem Wege nach Baracoa, dann trägst du die Schuld, ist dir das klar? Soll doch der Vater entscheiden.“
Renee steckte den Revolver nicht weg. „Unter deinen Händen stirbt es.“
Der Don sagte leise zu Renee: „Das ist hier die Frage. Du hast kein Recht, mich oder diesen Mann zu zwingen. Ich auch nicht. Das Kind kann hier sterben, das gebe ich zu. Es kann auch unterwegs sterben. Dann hast du es auf dem Gewissen. Ich will dir sagen“, seine Stimme sank zu einem Flüsterton herab, „ich will dir sagen, mein Junge, dass ich nicht an die Heilung glaube, es sind zwar gute Kräuter, aber gegen diese Krankheit ist kein Kraut gewachsen.“
Renee rief laut: „Er glaubt selber nicht daran! Habt ihr gehört, er glaubt selber nicht an seinen Spuk!“
„Das habe ich nicht gesagt!“
„Stirbt das Kind, hilft dir kein Mensch mehr, Alter“, mahnte Renee eindringlich.
Orestes sagte: „Ich habe alles mit angehört, Don.“ Der Alte ging zu seinem Pferd und ließ sich von seinem Wächter hinaufhelfen. Da ließen die Männer den alten Carmelo los, der auf Renee zuging und ihn umarmte.
Der Vater bestieg das andere Pferd und ließ sich das bewusstlose Kind hinaufreichen. Der Vater weinte, die Tränen flossen über sein braunes, faltiges Gesicht. Der Don ritt noch einmal um das Feuer herum und dann in das Tal hinein, ein paar Frauen folgten ihm ein Stück und rangen wehklagend die Hände. Er würde nie wiederkommen, welches Unglück für sie alle!
Die Gruppe der Alphabetisatoren blieb noch zusammen und diskutierte über den Aberglauben. Hatten sie die Leute überzeugt? „Wenn der Vater das Kind lebend nach Baracoa bringt und die Ärzte das Mädchen retten können, haben wir gesiegt“, sagte Caridad.
Renee lachte und klopfte gegen den Schaft seines Trommelrevolvers. „In einem solchen Fall verstehen sie nur diese Sprache.“
„Das glaube ich nicht“, sagte Orestes, „wir müssen überzeugen und nicht drohen.“
„Willst du das immer schaffen?“
Felix sagte: „Ich war wie erstarrt. Wir können doch nicht alles tun, aber hier müssten wir alles tun. Das sind Zustände! Was ist der alte Don für ein Mensch? Ein Feind?“
„Ich denke nicht“, sagte Caridad. Und der kleine Nicolas dachte: Patria o muerte, Vaterland oder Tod, das sagt sich so leicht, aber dazwischen steht so viel, wie soll man richtig entscheiden können? Ich bewundere Renee, aber auch Orestes und Caridad. Ihnen fällt im rechten Augenblick immer das rechte Wort ein. Ich weiß immer erst hinterher, wie ich mich hätte verhalten müssen.
Erstmals erschien 1966 als Band 65 in der Reihe „Spannend erzählt“ des Verlages Neues Leben Berlin „Der Schwarze Wolf“ von Kurt David.
„Sie nennen mich Chara-Tschono, den Schwarzen Wolf. Meine Eltern waren arme Hirten. Dennoch wurde ich der Freund von Temudschin, dem Sohn des großen Jessughei und Herrn unseres Ordu. Wir tauschten unsere Dolche und schworen, einander treu zu sein und uns bei Todesstrafe nie zu verlassen. Temudschin war klug und mutig, die Herzen flogen ihm zu und der ewig blaue Himmel schaute gnädig auf uns herab. So wuchsen unser Reichtum und unsere Macht, Temudschin wurde zum Dschingis-Chan, zum wahren Herrscher erhoben. Ich wachte über seinen Schlaf und kämpfte an seiner Seite, denn es gab viele Neider und immer neue Feinde.
Dennoch kam der Tag, an dem ich aus dem Heer des Dschingis-Chan floh. Am Zaum meines Pferdes bimmelten die Glöckchen der heiligen Pfeilboten. Ich hatte sie gestohlen. Nun wiesen sie mir den Weg nach Hause, wo Goldblume und unser Sohn Tenggeri auf mich warteten. Und ich hoffte, dass es uns gelingen würde, dem Zorn und der Rache des Mannes zu entkommen, der einmal mein Freund gewesen war.“
Erstmals 1968 erschien als Band 83 in der Reihe „Spannend erzählt“ des Verlages Neues Leben Berlin Tenggeri, Sohn des Schwarzen Wolfs“ von Kurt David.
Tenggeri ist ein Krieger im Heer des Dschingis-Chan. Seine Feldzüge führen ihn weit, er nimmt an der Erstürmung der Großen Mauer teil und durchquert das Reich Chin bis an den Rand der Welt, ans Meer. Er sieht viel Interessantes, schließt sogar Freundschaft mit den Einheimischen. Doch alle neuen Eindrücke können die Frage nicht verdrängen, warum der Schwarze Wolf, Tenggeris Ziehvater, einst von seinem Freund, dem Chan, getötet wurde. Auf den Höhen des Tienschan, während des Angriffs auf das Reich der Choresm, erzählt ihm Bat vom Tod seines Vaters; Bat, der jeden Feldzug mitgemacht hat und einer derjenigen war, die den Schwarzen Wolf angegriffen haben. Als der Chan die Eroberung Bucharas feiert, flieht Tenggeri mit seinem Mädchen Saran aus dem Heer.
Hier ein Auszug aus dem spannenden Buch:
„Oh, sie waren wieder sehr freundlich. Schon aus ihren Gesichtern vermochten wir zu sehen“, sagte Gärel, „wie man sich am Hof über deine Figuren gefreut hat. Heut nach Mittag sollst du zu dem Mann kommen, der ein hohes Amt hat und gleich rechts vom Haupttor in einem größeren Zelt sitzt. Er wird dir die Entscheidung des Herrschers mitteilen. Sein Name ist Tschirn.“
„Tschirn“, murmelte Tenggeri.
„Du wirst Schnitzer am Hofe Dschingis-Chans“, rief Oschab fröhlich.
„Und vergessen wirst du uns, wenn du es geworden bist“, meinte Gärel.
„Aber Gärel“, sagte er, „vergessen!“
Oschab hob die Brauen bedenklich und sagte, ob nicht alle, die am Hofe des Chans zu tun hätten, wie stolze Reiher umherstelzten. „Der einfachste Diener, der nicht mehr mit dem Chan zu tun hat, als dass er vor einer Jurte steht, die mit Sätteln des Hofes vollgestopft ist, spreizt sich schon wie ein Pfau und sieht einen an, als wäre man ein bedauernswerter Sperling, dessen höchstes Glück darin besteht, im Staub zu baden.“
„Ich werde euch nicht vergessen“, sagte Tenggeri. „Zudem steht es noch nicht einmal fest, ob er mich nimmt.“
„Das steht noch nicht fest?“ Gärel lachte.
„Das steht so fest wie der höchste Fels am Fluss!“ Oschab blickte hinüber und hinauf zu dem Fels mit den jungen Birken. Saran lächelte, und Tenggeri dachte, nein, es ist noch nichts zu sehen von dem, was ich begonnen habe.
Sie ritten dann fort, und zu Mittag hatten sie ihre Jurte aufgestellt, nahe am Fluss, dicht bei den Blütenbüschen auf einem sanften Hügel mit noch drei anderen Zelten. Die Tür öffnete sich zum Süden. Den Vorhang für Nacht und Kälte hatten sie hochgeschlagen, so dass der Sonnenschein die Jurte golden schmückte. Senkrechtstab und Dachkranz mit Naben leuchteten rot, und wo Saran und Tenggeri ihr Lager hergerichtet hatten, glänzte blaue Seide, blau wie der mongolische Himmel. Das Gras war abgedeckt mit Fellen von Wölfen und Füchsen.
Die Pferde hatten sie noch nicht, und die acht Schafe waren auch noch nicht da.
„Und nun musst du zu Tschirn“, sagte Saran.
„Ich will nicht zu diesem Tschirn! Ich möchte lieber mit dir hinauf zum Fels, um das Bildnis …“
„Aber du musst zu diesem Tschirn, Schwarzer!“, sagte sie hartnäckig.
„Ja.“
„Siehst du!“
Tenggeri und Saran saßen dicht am Senkrechtstab. Der Sonnenschein lag warm auf ihren Leibern. „Ich glaube“, sagte das Mädchen, „es ist egal, ob er dich nimmt oder ob er dich nicht nimmt, Schwarzer. Für uns ändert sich nichts, so nicht und so auch nicht. Wir werden acht Schafe und fünf Pferde und eine Jurte haben. Du wirst immer bei mir sein, und wenn du in einen Krieg ziehen musst, ziehe ich mit, wie viele Frauen mitziehen, Schwarzer.“
Er sagte kein Wort darauf, sondern legte sich zurück, blickte zum Dachkranz und dachte, ich müsste ihr jetzt sagen, dass ich glücklich bin, so glücklich, wie ich es noch nie war. Und er dachte weiter: Glück macht stark! Wer könnte mich besiegen?
Sie sagte auch nichts, sondern legte sich ebenfalls zurück und sah zum Dachkranz hoch. Vielleicht dachte auch sie: Eigentlich müsste ich ihm jetzt sagen, dass ich glücklich bin, so glücklich, wie ich es noch nie war. Und weiter schien sie zu denken: Glück macht stark! Wer könnte uns besiegen?
Aber die Sonne rollte weiter und rechts am Türpfosten vorbei. Plötzlich sagte Saran: „Ich liege schon zur Hälfte im Schatten, Schwarzer! Du musst zu diesem Tschirn!“
Tenggeri stand auf, und dann ritten sie hinüber zur Ordustraße. „Wo willst du hin?“
„Mutter sagen, dass wir von heute an Mann und Frau sind und in einer Jurte wohnen!“
„Tu das, Gazelle!“ Aber er bog noch immer nicht nach links ab, sondern ritt hinter ihr her und sagte: „Ich will mich noch bei Gärel und Oschab bedanken, dass sie so viel für mich getan haben. Heute Morgen war ich unfreundlich.“
Sie nickte.
Er stieg vom Pferd. Saran verschwand mit dem Kleinen zwischen den Jurten.
„Da ist er“, rief Gärel freudig aus. „Siehst du, Oschab, er hat sich besonnen!“
„So kannten wir dich nämlich gar nicht“, bemerkte Oschab.
„Verzeiht, dass ich heut morgen …“
„… Aber Tenggeri! Hör schon auf!“, sagte Oschab.
Gärel erhob sich und kam gebückt auf ihn zu: „Wir waren die ganzen Jahre gut zu dir, Tenggeri, und da wir keine Söhne mehr hatten und …“
„Sei still, Frau“, schimpfte Oschab.
„… Vergiss uns nicht, Tenggeri, wenn du am Hofe bist“, sagte die Frau. „Und jetzt geh zu diesem Tschirn!“
Sie begleiteten ihn zur Tür. Als er die Straße hochgaloppierte, drehte er sich noch einmal winkend um.
„Du siehst, er ist wie früher“, flüsterte Oschab.
„Und ich dachte, das Mädchen …“
„… Wink! Er dreht sich schon wieder um!“
Sie winkten und winkten, und die Frau, die immer so müde und welk aussah, sagte leise: „Du siehst, er dankt uns! Es war wohl das Beste, was wir in unserem Leben getan haben, Oschab: ihn wie einen Sohn zu behandeln und dafür zu sorgen, dass er an den Hof kommt, wo er so gut schnitzen kann wie die Chinesen und Uiguren und Perser und wie sie alle heißen, die beim Chan sind.“
„Du hast recht, Gärel!“ Sie gingen wieder in die Jurte. Sie waren froh, dass alles so gekommen war. Einige Zeit später fiel beiden auf, dass sie nett und zärtlich zueinander waren. Oschab war es, der sagte: „Du bist seit heute Mittag ganz anders. Gärel!“
„Du auch, Oschab!“
Er brummelte etwas, lächelte, sagte nichts.
„Vielleicht kommt es daher, Oschab, dass wir beide so froh sind wie lange nicht!“
„Das wird es sein“, antwortete er und lachte.
Tenggeri hingegen hatte inzwischen das große Haupttor erreicht. Rechts von ihm stand das Zelt mit dem Mann namens Tschirn. An der Tür leuchtete ein rotes Vorzelt als Windschutz. Zwei Wächter standen da mit Schwert, Bogen und Lanze. Abseits von ihnen war eine Stange mit Pferden. Wo die Pferde festgemacht waren, wuchs kein Gras mehr. Die Steine hatten sie herausgescharrt, und so klirrten immerfort die Steine, wenn die Pferde einen kleinen Schritt gingen oder wenn sie erneut scharrten. An diese Stange band auch Tenggeri seinen Braunen.
„Ich will zu Tschirn“, sagte Tenggeri zu den Wächtern, „er wartet auf mich!“
Der rechts gestanden hatte, schlüpfte lautlos durch den roten Windschutz, kam aber gleich wieder und bedeutete Tenggeri mit einer Kopfbewegung hineinzugehen.
Tschirn saß genau unterm Dachkranz im Sonnenschein und auf untergeschlagenen Beinen. Das hohe Seidenkissen glänzte schwarz, sein Gewand gelb, die Samtkappe blau. Auf ihrer Spitze zitterte eine prächtige Pfauenfeder, obgleich Tschirn ganz still saß und nur lächelte.
Zähne hat er so große wie ein Grunzochse, dachte Tenggeri, Augen wie eine Zieselmaus, Ohren wie ein räudiger Fuchs; bei allen Göttern auf und über der Erde: So habe ich mir Tschirn nicht vorgestellt.
„Tritt drei Schritt näher“, sagte Tschirn.
Die Stimme! Wie ein Steppenhund, der sich heiser gebellt hat!
Erst jetzt sah Tenggeri, dass außerhalb des Sonnenkreises im Zeltdunkel Diener und Wächter umherliefen.
„Du bist also Tenggeri?“
„Ja.“ Jetzt wird er gleich fragen, wer mein Vater und meine Mutter waren. „Und du schnitzt?“
„Ja.“ Dann wird er jetzt fragen, wer Vater und Mutter waren. Sage ich „Chara-Tschono“, oder sage ich es nicht?
„Du schnitzt gern, nicht wahr?“
„Sehr gern!“ Ich sage „Chara-Tschono“, jawohl, ich reize ihn. Ihn muss man reizen.
„Man sieht es deinen Figuren an, dass du sehr gern schnitzt!“
Sieh mal, er sieht es meinen Figuren an! Vielleicht ist er besser, als er aussieht? Und er fragt nicht nach Vater und Mutter?
„Ich habe jetzt auch angefangen, einen Kopf in den Fels zu schlagen.“
„Ach!“
Nach diesem „Ach“ bereute es Tenggeri, dass er das gesagt hatte.
„Wer hat dich diese schöne Kunst gelehrt?“, fragte Tschirn.
Tenggeri erzählte es ihm. Als Tschirn erwiderte, Tenggeri beherrsche sie vorzüglich, diese Kunst, war er ein wenig stolz und dachte: Was kann er schon für seine Zähne und Ohren? Er ist gerecht und ehrlich zu mir.
Freundlich sagte Tschirn: „Wer befahl dir, Figuren zu schnitzen, Tenggeri?“
Tenggeri schwieg erschrocken.
„Nun, ich meine es so: Jeder hat in unserem Volk den Platz, den ihm ein Vertrauter des Herrschers zuwies. Ist es so?“
„Ja, aber …“
„Nein, sei still, ich erkläre es dir: Hirten sind jene, die man dazu bestimmt hat, Wächter sind jene, die man damit beauftragte, Krieger sind alle, die man für tapfer befunden hat! Ist es nicht so? Oder ist der Schmied Schmied, ohne dass es ihm befohlen worden wäre? Nähen die Frauen Gewänder, ohne dass es ihnen einer gesagt hat, steht einer irgendwo Wache, ohne dass ihn einer hingestellt hat? Also: Tun nicht alle, was ihnen von den Vertrauten des Chans befohlen ist?“
Erstmals 1964 erschien in Der Kinderbuchverlag Berlin die Erzählung „Der Spielmann vom Himmelpfortgrund“ von Kurt David für Leser von 12 Jahren an.
Seine ersten musikalischen Erfahrungen machte er bei einem Spielmann, Spielmann wollte er auch werden. Der Vater hingegen wollte etwas Solides aus ihm machen, er sollte Schulmeister werden wie er selbst und seine Brüder. Ein schwerer Konflikt im Leben des jungen Franz Schubert, der immer wieder aufbrach. Aber es ist auch nicht leicht für einen braven und etwas despotischen Lehrer, ein Genie zum Sohn zu haben. Kurt David zeichnet in seiner meisterhaften Erzählung ein warmherziges Schubert-Bild vor dem Hintergrund seiner Zeit, der Zeit der napoleonischen Kriege, der Zeit Metternichs und des Wiener Kongresses.
Und hier ein Auszug aus dem Buch:
„Was soll das Gebrüll?“, fragte sich Schober. Auch die anderen Freunde blieben an der Tür stehen und schüttelten die Köpfe. Mayrhofer lachte.
„Freunde, ich zitierte nur den Herrn Polizeichef von Wien“, sagte Senn, „den allergnädigsten Herrn Sedlnitzky. Und wenn ihr euch gesetzt habt, spiel ich den Kaiser.“
„Du bist noch genauso rebellisch wie damals im Konvikt, wo sie dich rausgeworfen haben wegen der Karzergeschichte mit den Stiefeln“, meinte Schubert.
Schober, der um sein Institut bangte, sagte vorsichtig: „Michl, wenn du jetzt gar den Kaiser nachahmst, bitt ich dich, mach’s leis, ganz leis, möcht keine Scherereien, verstehst. Du magst ja mit deiner Sach recht haben und den Metternich ehr ich erst, wenn man ihn wird begraben, aber ich sag mir halt, lieber ein bißl feig dahinleben als gar nicht, verstehst, also sprich leis, Michl!“
„Ganz leis“, hauchte Senn und trat vor die Freunde, die auf einer hölzernen Eckbank saßen und lauschten, schmunzelten und die Köpfe einzogen. „Verlasst’s euch drauf, ich werd leis sein, so leis wie Seine Majestät, wenn er durch die Wirtshäuser schleicht, in seinem alten Kaputrock. Und nun präpariert euch, ihr seid’s jetzt des Kaisers Dozenten am Laibacher Lyzeum. Also bleibt brav sitzen, schaut’s ein bissl blöd, ich geh und komm als Kaiser Franz wieder.“ Er verschwand.
Auf dem Flur klirrte ein Eimer.
Unter den Fenstern ratterte eine Kutsche vorbei.
Plötzlich trat Senn wieder ein. Als Kaiser. In eine große braune Decke gewickelt und einen blauen Kochtopf auf dem Kopf, mit einem Besen herumfuchtelnd, sagte er: „Dozenten von Laibach, hört’s zu. Ich brauche kane Gelehrten, sondern brave Bürger. Die Jugend zu solchen zu bilden, liegt Ihnen ob. Wer mir dient, muss lehren, was ich befehle.“
„Das machen’s ja zur Genüge“, unterbrach Schober.
„Wer das nicht kann“, brummte Senn mit tiefer kaiserlicher Stimme, „wer mir mit neuen Ideen kommt – wo ich selber schon keine hab – der kann gehen, oder ich werde ihn entfernen. Am liebsten sein mir die Dichter, welche nicht dichten, und die Maler, welche nicht malen.“
„Und die Musiker, Majestät?“, rief Schubert lachend dazwischen.
„Ja, die Musiker, Dozenten, die Musiker, jaja, hinter deren Bübereien ist schwer zu kommen. Was heißt das schon: Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Der Erlkönig? Dozenten! Ich kenne keinen Erlkönig, aber ich kenn die Jakobiner, und die können reiten! Wenn’s den Rossini nicht gäb, möcht ich die ganze Musik verbieten.“
Die Freunde klatschten in die Hände, bogen sich vor Lachen, stießen sich an und fuhren erschreckt zusammen, als es plötzlich klopfte.
Senn riss die Decke vom Leib, warf sie in einen Winkel, den Kochtopf dazu und begann mit dem Besen die Stube zu fegen.
Fünf Polizisten stürmten herein.
„Sie sind der Senn, Michael, Tiroler?“
„Ja, der bin ich! Und Sie sind’s gnädige Kommando von Herrn Sedlnitzky?“
Sie ließen ihn unbeachtet stehen, durchwühlten einen Schrank, einen Tischkasten, einen Koffer. Danach rissen sie Bücher vom Regal, durchblätterten sie, schüttelten die Bücher, aber nichts, auch kein Zettel, fiel heraus.
„Verhaftet im Namen Seiner Majestät!“, sagte ein Polizist zu Senn.
„Da hört sich aber alles auf!“, schrie Schober, gerade er, der vor Minuten noch geglaubt hatte, feige sein zu dürfen.
„Schmeißt’s doch die Kerle hinaus!“, schrie ein anderer.
Und Schubert brüllte wütend: „Ja, sein mir denn in einem Gefängnis? Was seid’s ihr Polizisten nur für nichtsnutzige Kerle!“
„Im Wiener Gefängnis, Franzl“, schrie Senn. „Aber ich hab keine Angst und scher mich einen Teufel um die Metternichschen. Mich kriegt ihr nicht, dazu seid’s viel zu dumm, zu dumm, hört’s ihr’s! Und gefunden habt ihr auch nichts, gar nichts, also lasst mich aus von der Verhafterei!“
Es dauerte geraume Zeit, bis die Polizeileute über den Tumult Herr wurden. Sie schleppten Senn zu ihrem Fiaker, während zwei Beamte zurückblieben und die Namen der anderen notierten.
Michael Senn wurde zu vierzehn Monaten Gefängnis verurteilt, weil er einer illegalen Studentenvereinigung angehört und die Polizei im Tagebuch eines anderen Freundes den Satz gefunden hatte: „Senn ist der einzige Mensch, den ich fähig halte, für eine Idee zu sterben.“ Auch Franz Schubert, dem es nicht gegeben war, wie Senn zu kämpfen, der lieber duldete als sich auflehnte, hatte sich an diesem Abend offen und mutig auf Michaels Seite gestellt. So geschah es, dass ihm wegen „Beleidigung von Amtspersonen“ eine schwere Rüge erteilt und ihm gleichzeitig von der Metternichschen Polizei bescheinigt wurde, er wäre ein „grobes Subjekt“.
Schubert sah Michael Senn nie wieder, doch vergaß er ihn nicht. Außer zwei Liedern, die er für ihn vertont hatte, kannte er eins, das ihm Senn im Konvikt geschenkt hatte:
Inzwischen ist es Sommer geworden – auch Lese-Sommer. Und da es im Sommer auch draußen länger hell ist, kann man sogar draußen länger lesen. Vielleicht sogar irgendwo am Strand oder an einem schönen Urlaubsort, wo man sich in fremde Welten und ferne Zeiten begeben kann, wie zum Beispiel in verschiedene Epochen der Geschichte der Mongolei, wie sie uns die spannenden Bücher von Kurt David näherbringen.
Und wer weiß, dass der Schriftsteller wegen einer während des Zweiten Weltkrieges erlittenen Verletzung seinen Wunsch, Musiker zu werden, nicht verwirklichen konnte, der wird besser verstehen, weshalb David einen gewissen Ausgleich im Schreiben von Musikerbiografien suchte. Das gilt auch für den in diesem Newsletter präsentierte Erzählung „Der Spielmann vom Himmelpfortgrund“ über Franz Schubert.
Viel Vergnügen beim Lesen und beim Reisen durch fremde Welten und ferne Zeiten, einen schönen Sommer, bleiben auch Sie weiter vor allem schön gesund und munter und bis demnächst – im Sommermonat Juli.
EDITION digital war vor 28 Jahren ursprünglich als Verlag für elektronische Publikationen gegründet worden. Inzwischen gibt der Verlag Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) sowie Kinderbücher gedruckt und als E-Book heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Bücher ehemaliger DDR-Autoren werden als E-Book neu aufgelegt. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, mehr als 1.300 Titel. E-Books sind barrierefrei und Bücher werden klimaneutral gedruckt.
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