Entwurf zur StVO-Reform bringt mehr Handlungsspielräume für Kommunen, aber noch nicht in allen Bereichen
Für die Einrichtung von Busspuren sowie Flächen für den Rad- und Fußverkehr würde die vorgeschlagene StVO die Handlungsspielräume der Kommunen bereits deutlich vergrößern. Das unterstreicht ein Gutachten der Kanzlei Becker Büttner Held, das im Auftrag von Agora Verkehrswende erstellt wurde. Die Änderungen in diesen Punkten entsprächen der parallel geplanten Reform des StVG, wonach die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung gleichberechtigt neben die bisher allein geltenden Ziele der „Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs“ gestellt werden. Das Gesetz, dessen Novellierung zurzeit im Bundestag verhandelt wird, legt das Fundament für die Novellierung des Straßenverkehrsrechts. Wie weit die Ziele des Gesetzes in der Praxis zur Geltung kommen, entscheidet sich in der StVO und in den nachgeordneten Verwaltungsvorschriften, die allerdings noch nicht vorliegen.
Neues StVG schafft Raum für weitere Fortschritte in StVO
„Mit der vorgeschlagenen StVO-Reform schöpft die Bundesregierung noch nicht die Möglichkeiten aus, die ein im Sinne des Koalitionsvertrags reformiertes StVG böte. Aber sie geht einen Schritt in die richtige Richtung“, sagt Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende. „Städte und Gemeinden könnten mit den neuen Regeln schon einiges bewegen, vor allem für den öffentlichen Verkehr sowie für den Fuß- und Radverkehr. Ähnliches wäre mit dem neuen StVG auch in anderen Bereichen möglich, etwa beim Parken im öffentlichen Raum oder bei örtlichen Fahrgeschwindigkeiten.“
Für Parkraumbewirtschaftung und Verkehrsberuhigung definiert die StVO-Reform zwar auch zusätzliche Handlungsspielräume, aber nicht so weit, dass die im neuen StVG vorgesehenen Ziele gleichberechtigt berücksichtigt werden können. Nach den klaren Vereinbarungen im Koalitionsvertrag und den gleichlautenden Beschlüssen des Koalitionsausschusses von März 2023 sei hier mehr zu erwarten gewesen. Der Gesetzgeber sollte den selbst gesetzten Ansprüchen besser gerecht werden und im weiteren Verfahren für mehr Klarheit sorgen – auch in der noch ausstehenden Begründung der StVO und den damit verbundenen bisher unveröffentlichten Verwaltungsvorschriften. Der vorliegende Verordnungsentwurf enthalte zudem einige inhaltliche Widersprüche, weil manche Regeln etwas erlaubten, was an anderer Stelle wieder infrage gestellt wird.
Zusätzliche Verbesserungsmöglichkeiten sieht Agora Verkehrswende bei der digitalen Parkraumbewirtschaftung und der Erprobung innovativer Mobilitätslösungen. Beide Punkte fehlen bisher im StVO-Entwurf, obwohl die digitale Parkraumbewirtschaftung bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde und mittlerweile auch von der Verkehrsministerkonferenz der Bundesländer parteiübergreifend befürwortet wird.
Neue und alte Ziele gleichberechtigt zur Geltung bringen
Über die Verkehrsministerkonferenz haben die Bundesländer aus Sicht von Agora Verkehrswende die Gelegenheit, im weiteren Verfahren der Rechtssetzung mit dem Bundesverkehrsministerium dafür zu sorgen, dass die bisher allein geltenden Ziele der „Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs“ weiterhin berücksichtigt werden, aber gegenüber den neuen Zielen des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung nicht bevorzugt gelten. Dafür spreche auch, dass die Verkehrsministerkonferenz im März 2023 die parteiübergreifende Städteinitiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ und deren Engagement für mehr Flexibilität und Freiheit bei innerörtlichen Geschwindigkeitsbegrenzungen ausdrücklich begrüßt und das Bundesverkehrsministerium darum gebeten hat, deren Anliegen bei der Reform des Straßenverkehrsrechts zu berücksichtigen.
Die Initiative, der sich seit Juli 2021 über 800 Städte, Gemeinden und Landkreise aus ganz Deutschland angeschlossen haben, fordert von der Bundesregierung die rechtlichen Voraussetzungen, damit Kommunen innerorts von Tempo 50 als Höchstgeschwindigkeit abweichen können, wo sie es auf Basis klarer Kriterien für notwendig halten. Bisher ist dies nur bei konkreten Gefährdungen oder vor Schulen und Kitas möglich. Die vorgeschlagene StVO-Reform sieht bisher lediglich vor, dass darüber hinaus Lücken zwischen bestehenden Tempo-30-Strecken geschlossen werden können und dass neben Schulen und Kitas auch im Umfeld von Spielplätzen, hochfrequentierten Schulwegen und Fußgängerüberwegen Tempo 30 leichter angeordnet werden kann.
Dr. Roman Ringwald, Rechtsanwalt der Kanzlei Becker Büttner Held: „Bei der StVO-Reform liegt die Kunst darin, die im neuen StVG vorgesehenen Ziele wirklich gleichberechtigt zur Geltung zu bringen. Es bringt nichts, ein Ziel gegen das andere auszuspielen. Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs sind weiterhin wichtige Ziele – für alle, die am Verkehr teilnehmen, egal ob mit dem Auto oder zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem Bus. Sie stehen weder über noch unter den neuen Zielen, sondern sollen gleich wie diese berücksichtigt werden. Wenn das rechtlich gewährleistet ist, können Kommunen selbst entscheiden, wie sie die verschiedenen Ziele bei der Planung des Verkehrs und des öffentlichen Raums miteinander abwägen und Entscheidungen im Sinne des Gemeinwohls treffen. Die vorgeschlagene StVG-Reform wird diesem Anspruch gerecht, die vorgeschlagene StVO-Reform nur zum Teil.“
Kompetenzen der Kommunen stärker einbeziehen
Die Städteinitiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ zeigt aus Sicht von Agora Verkehrswende, wie vehement sich Kommunen inzwischen dafür einsetzen, mehr Handlungsspielraum zu bekommen und damit den städtischen Verkehr nachhaltiger zu gestalten. Dass es dieser Initiative überhaupt bedürfe, sei aber auch ein Zeichen dafür, dass die Kommunen in der Vergangenheit zu wenig bei der Ausgestaltung des Straßenverkehrsrechts eingebunden waren. Dabei habe das Straßenverkehrsrecht weitreichende Auswirkungen für das Hoheitsgebiet der Kommunen.
Christian Hochfeld plädiert deshalb für eine stärkere Einbindung der Kommunen: „Bei zukünftigen Reformen des Straßenverkehrsrechts sollten die kommunalen Kompetenzen viel stärker genutzt werden, denn am Ende definiert das Straßenverkehrsrecht die Möglichkeiten und Grenzen des Handelns auf kommunaler Ebene. Das neue StVG kann dafür als gutes Fundament dienen. Deshalb ist es das Wichtigste, dass das StVG am Ende im Sinne des vorliegenden Entwurfs reformiert wird. Dann wäre es bei zukünftigen Reformen der StVO möglich, wirksam nachzusteuern und die Handlungsspielräume der Kommunen an den erweiterten Zielen des StVG auszurichten. Der vorliegende StVO-Entwurf enthält bereits einige Verbesserungen; durch die laufenden Verhandlungen sollten weitere hinzukommen. Dann wird die Auslegung des neuen Rechtsrahmens zeigen, wie weitreichend die Verbesserungen für die Kommunen in der Praxis sind.“
Das juristische Gutachten „Vorläufige rechtliche Einordnung zur Reform des Straßenverkehrsrechts“ von Becker Büttner Held (BBH) im Auftrag von Agora Verkehrswende steht unter https://www.agora-verkehrswende.de/veroeffentlichungen/vorlaeufige-rechtliche-einordnung-zur-reform-des-strassenverkehrsrechts/ kostenlos zum Download zur Verfügung. Die Stellungnahme von Agora Verkehrswende und das Gutachten von BBH sind vorläufig, weil die schriftliche Begründung der StVO-Reform bisher noch nicht vorliegt.
Agora Verkehrswende ist ein Thinktank für klimaneutrale Mobilität mit Sitz in Berlin. Im Dialog mit Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft setzt sich die überparteiliche und gemeinnützige Organisation dafür ein, die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor auf null zu senken. Dafür entwickelt das Team wissenschaftlich fundierte Analysen, Strategien und Lösungsvorschläge. Initiiert wurde Agora Verkehrswende Anfang 2016 von der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation. Gesellschafter sind die beiden Stiftungen. www.agora-verkehrswende.de
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