Klimaschutzprogramm: verringerte Ziellücke, aber unzureichende Datengrundlage und fehlendes Gesamtkonzept
Deutliche Emissionsminderungen möglich, weiterhin große Lücke zu KSG-Zielen
Mit dem Klimaschutzprogramm hat die Bundesregierung ein umfangreiches Programm von rund 130 Maßnahmen vorgeschlagen. Bei konsequenter Umsetzung des Programms soll sich die kumulierte Lücke zum KSG-Zielpfad für die Jahre 2021 bis 2030 bis auf rund 200 Mt CO2-Äq. verringern. Damit hat das Klimaschutzprogramm einen zwar hohen, aber gemäß Klimaschutzgesetz unzureichenden Minderungs-anspruch. Die Bundesregierung legt dabei nicht dar, wie die verbleibende Differenz zu den KSG-Zielen geschlossen werden soll.
Der Expertenrat hat von der Bundesregierung eine umfängliche, insgesamt aber unzureichende Datengrundlage erhalten. Daher kann er die von der Bundesregierung genannte Minderungswirkung des Programms nicht bestätigen. Dennoch geht der Expertenrat von einem substanziellen Beitrag aus. „Die Maßnahmen im Klimaschutzprogramm können signifikante Treibhausgasminderungen ermöglichen, gerade in den Sektoren Energie und Industrie, aber auch im Gebäudesektor – je nach Umsetzung der GEG-Novelle“, sagt Hans-Martin Henning, der Vorsitzende des Expertenrats.
Eine Plausibilisierung auf Basis des Entwurfs des neuen Projektionsberichts sowie weiterer Unterlagen zeigt erhebliche Unschärfen und Unsicherheiten. Der Expertenrat geht davon aus, dass selbst nach vollständiger Umsetzung des Klimaschutzprogramms eine größere Lücke als die von der Bundesregierung ausgewiesene verbleibt. Hans-Martin Henning führt aus: „Bei etlichen Maßnahmen sehen wir die Realisierungs-wahrscheinlichkeit und die Abweichung zwischen der Realität und den Annahmen der Bundesregierung in den Unterlagen kritisch. Die erwartete Gesamtminderung wird daher vermutlich überschätzt.“ Zudem bleibt das Klimaschutzprogramm auch wegen der fehlenden Abschätzung von ökonomischen, sozialen und weiteren ökologischen Folgewirkungen hinter dem gesetzlichen Anspruch zurück.
Verkehr und Gebäude: unzureichend als Sofortprogramme
Die gesonderte Prüfung der Maßnahmen für Gebäude und Verkehr zeigt, dass die von der Bundesregierung ausgewiesenen Treibhausgasminderungen für die beiden Sektoren nicht ausreichen würden, um die sektoralen Zielverfehlungen auszugleichen. So bleibt laut den vom Expertenrat geprüften Gutachten für den Gebäudesektor eine kumulierte Lücke bis zum Jahr 2030 von 35 Mt CO2-Äq. Im Verkehrssektor beträgt die Lücke bis 2030 zwischen 117 und 191 Mt CO2-Äq. Die Spannbreite ergibt sich aus den unterschiedlichen Abschätzungen von BMDV und BMWK. Der Expertenrat stellt damit fest, dass laut der Zahlen der Bundesregierung die vorgelegten Maßnahmen zwar eine emissionsmindernde Wirkung haben, aber die Anforderung an ein Sofortprogramm gemäß Klimaschutzgesetz nicht erfüllen.
Zudem fallen die vom Expertenrat identifizierten Mängel der Datengrundlage auch in diesen beiden Sektoren ins Gewicht. Hans-Martin Henning führt aus: „Wir vermuten, dass die angenommene Treibhausgasminderung im Gebäudesektor geringer ausfallen dürfte als im Gutachten errechnet. Dafür ist vor allem die erwartbare, wesentlich geänderte Ausgestaltung des GEG verantwortlich. Im Verkehrssektor sehen wir optimistische Annahmen beispielsweise bezüglich der Umsetzungs-geschwindigkeit und Finanzierung der Maßnahmen sowie bei der Bewältigung von Umsetzungshemmnissen.“
Große Anstrengungen und schlüssiges Gesamtkonzept notwendig
Das Klimaschutzprogramm enthält wichtige Neuerungen, insbesondere in den Sektoren Industrie, Gebäude und Verkehr. Die Maßnahmen zielen allerdings vorrangig auf diejenigen Handlungsfelder zur Treibhausgasminderung ab, die bereits in der Vergangenheit bearbeitet wurden. Brigitte Knopf, die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats, bemerkt dazu: „Erforderlich wäre eine Adressierung der Minderungspotenziale aller verfügbaren Handlungsfelder, beispielsweise auch der Abbau klimaschädlicher Subventionen, der bisher nur vage formuliert wird.“
Aus Sicht des Expertenrats fehlt ein zusammenhängendes, in sich schlüssiges und konsistentes Gesamtkonzept und ein übergreifender Maßnahmenrahmen. Eine konsequente, möglichst frühzeitige Durchsetzung der festen Obergrenze im nationalen Emissionshandel, inklusive flankierender Maßnahmen zur sozialen und wirtschaftlichen Absicherung, wäre hierfür eine naheliegende Option. Brigitte Knopf: „Wir sehen Handlungsbedarf für die Bundesregierung sowohl hinsichtlich der Verbesserung der Datengrundlage der Klimapolitik, bezüglich des Schließens der verbleibenden Ziellücke als auch bei der Entwicklung eines Gesamtkonzepts. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die von der europäischen Lastenteilung betroffenen Sektoren gerichtet werden, die bisher im Kontext der Novelle des Klimaschutzgesetzes keine gesonderte Betrachtung finden.“
Der Expertenrat ist sich bewusst, dass es großer Anstrengungen bedarf, die Zielvorgaben des Klimaschutzgesetzes zu erreichen und betont abschließend, dass ein solches Gesamtkonzept die genannten Herausforderungen offen und transparent ansprechen und eventuelle Zielkonflikte gegeneinander abwägen muss. Er stellt fest, dass es dafür eine aktive Gestaltung der Aushandlungsprozesse zwischen konfligierenden politischen Zielen und bei möglichen gesellschaftlichen Konflikten benötigt. Die im Zusammenhang mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes besonders herausgehobene Gesamtverantwortung der Bundesregierung für die Erreichung der Klimaziele bildet aus Sicht des Expertenrates hierfür eine gute Grundlage.
Der Expertenrat für Klimafragen ist ein unabhängiges Gremium von fünf sachverständigen Personen verschiedener Disziplinen. Er wurde im September 2020 benannt und sein Auftrag ergibt sich aus §§ 11 und § 12 KSG. Das Gremium besteht aus den fünf Mitgliedern Prof. Dr. Hans-Martin Henning (Vorsitzender), Dr. Brigitte Knopf (stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Prof. Dr. Thomas Heimer und Dr. Barbara Schlomann. Neben weiteren gesetzlichen Aufgaben prüft der Expertenrat gemäß § 12 Abs. 2 KSG die bei Zielverfehlung zu beschließenden Maßnahmen im Hinblick auf die diesen zugrunde liegenden Annahmen zur Treibhausgasreduktion und gibt gemäß § 12 Abs. 3 KSG vor dem Beschluss eines Klimaschutzprogramms eine Stellungnahme ab.
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