Kunsthaus Zürich zeigt Ausstellung «Stellung beziehen – Käthe Kollwitz. Mit Interventionen von Mona Hatoum»
KÄTHE KOLLWITZ
Rau und ungeschönt, in konservativen Kreisen als «Rinnsteinkunst» verschrien, sind die Zeichnungen, Drucke und Skulpturen der Künstlerin Käthe Kollwitz (1867–1945) so aktuell wie nie. Ihr mahnender Ausruf «Nie wieder Krieg» könnte angesichts zunehmender, bis nach Europa vordringender bewaffneter Konflikte nicht dringlicher sein. Geprägt von zwei Weltkriegen öffnete Kollwitz mit ihren Werken den Blick für das Elend und die Not ihrer Mitmenschen. Mit Empathie nahm sie sich in verschiedenen Medien ihrer Zeitgenossen in all ihren prekären Lebenssituationen an und schuf Werke, «die Wirkung in sich schliessen», wobei diese Wirkung bis heute nicht an Intensität verloren hat: So steht immer der Mensch, befreit von allem Anekdotischen oder Dekorativen im Mittelpunkt ihres Schaffens. Kompromisslos bringt sie ihn in all seiner Bedrängung und Ausgesetztheit zu Papier.
MONA HATOUM
Auch das Schaffen von Mona Hatoum (*1952), Trägerin des Roswitha Haftmann-Preises von 2004, kreist um Fragen gesellschaftlicher Nöte und Konflikte. Die Arbeiten der in Beirut geborenen Künstlerin, die der Ausbruch des Bürgerkriegs im Libanon 1975 daran hinderte, nach einem Kurzbesuch in London in ihre Heimat zurückzukehren, erweitern in Form von Plastiken und Installationen die Ausstellung um eine globale Perspektive. Bereits in der Gruppenausstellung «Kollwitz neu denken» hat Hatoum sich dem Werk ihrer älteren Künstlerkollegin genähert. In der Ausstellung im Kunsthaus Zürich tut sie dies nun im Alleingang.
AUSSTELLUNG AUF 700 M2
Kurator Jonas Beyer bringt rund 120 Arbeiten von Kollwitz in einen Dialog mit fünf grossformatigen Werken Hatoums – darunter vielbeachtete Werke wie «Cellules«, «Remains of the Day» oder «Worry Beads». Verteilt über zwei Räume, eine Fläche von 700 m2 im Chipperfield-Bau des Kunsthauses, werden die Installationen und Plastiken von Hatoum in einzelnen Sektionen den Zeichnungen, Druckgrafiken und Plastiken von Kollwitz gegenübergestellt.
«SCHMERZ IST GANZ DUNKEL»
Es ist auffällig, dass sich Kollwitz im Medium der Skulptur, vor allem aber in jenem der Zeichnung und Druckgrafik ausdrückte, während Werke in Öl nahezu gänzlich fehlen. Das puristische Element der Grafik und die Arbeit in den Kontrasten von Schwarz und Weiss sind es wohl, die aus Sicht der Künstlerin mit der Strenge und dem Ernst ihrer Motive am besten korrespondierten, zumal sie 1922 ebenso knapp wie einprägsam notierte: «Schmerz ist ganz dunkel». Auch Hatoum bedient sich einer reduzierten Formensprache und setzt Farbe allenfalls pointiert ein.
KÖRPER UND ZELLEN: MASSSTAB IST DER MENSCH
Kollwitz bleibt auf figürlicher Ebene stets dem äusseren Erscheinungsbild des Menschen verpflichtet. Doch auch in Hatoums Installationen ist der Mensch zumindest als Massstab durchweg präsent. Und das in einem ganz konkreten Sinn: Hatoums Arbeit «Cellules» nämlich besteht aus mehreren stählernen Käfigen, wobei jedes Objekt eine unterschiedliche Grösse aufweist, alle aber auf eine menschliche Durchschnittsgrösse zugeschnitten sind. Senkrecht aufgestellt, neigen sich die Käfige leicht zur Seite, was einen Eindruck von Unsicherheit und Instabilität erweckt. Im Inneren jedes Käfigs befinden sich ein oder zwei amorphe rote Glasobjekte, ganz so, als wäre eine unspezifische Kreatur oder ein nicht näher benennbares Körperteil in seinem anthropomorphen Käfig gefangen. Dazu passt, dass «Cellule» im Französischen sowohl die körperliche Zelle als auch die Arrestzelle meinen kann.
PRIVATES WIRD ÖFFENTLICH, ÖFFENTLICHES PRIVAT
Beide Künstlerinnen zeigen, wie das Private immer auch als Teil eines grösseren gesellschaftlichen Ganzen zu verstehen ist. Hatoums Werk «Remains of the Day» etwa, das sie als Teil einer Serie im Kontext ihrer Hiroshima Art Prize-Ausstellung von 2017 entwickelte, erweckt den Eindruck, als sei gerade eine Katastrophe über das Haus einer Familie hereingebrochen. Kollwitz wiederum hat immer auch die Schicksale ihres eigenen Lebens, etwa den Verlust ihres Sohnes Peter während des Ersten Weltkriegs, in ihre Werke einfliessen lassen. Die Werke beider Künstlerinnen ergehen sich allerdings nicht in Resignation, sondern sind aktive Mahnungen gegen Leid und Unterdrückung.
PARTNER
Eine Ausstellung in Kooperation mit der Kunsthalle Bielefeld und in Zusammenarbeit mit dem Käthe Kollwitz Museum Köln. Die Werke von Kollwitz kommen aus Museen und Privatsammlungen aus Deutschland und der Schweiz, die Werke von Hatoum sind Leihgaben der Mona Hatoum Foundation, von White Cube und der Galerie Chantal Crousel.
Ermöglicht wurde das Projekt nicht zuletzt dank finanzieller Unterstützung der UNIQA Fine Art Insurance, der Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung, der Roswitha Haftmann-Stiftung und einer Stiftung, die nicht genannt werden möchte.
VERMITTLUNG: FÜHRUNGEN, PUBLIKATION
Öffentliche Führungen finden in den Monaten August und September jeweils mittwochs von 18.30–19.30 Uhr statt. Im Zeitraum Oktober/November jeweils samstags von 11–12 Uhr. Am Sonntag, 3. September organisiert das Kunsthaus eine öffentliche Führung in englischer Sprache (14–15 Uhr).
Private Führungen nach Wunsch organisiert das Kunsthaus – auch in anderen Sprachen und zu individuell vereinbarten Terminen – gerne auf Anfrage. Weitere Informationen auf kunsthaus.ch oder unter kunstvermittlung@kunsthaus.ch.
Ein umfassender Katalog mit Beiträgen von Jonas Beyer, Jacqueline Burckhardt, Hannelore Fischer, Francoise Forster-Hahn, Natascha Kirchner und Henrike Mund erscheint auf Deutsch und Englisch (Hirmer Verlag) und ist im Buchhandel sowie im Kunsthaus-Shop für CHF 54.– erhältlich.
VERANSTALTUNG
Gesprächskonzert des Zürcher Kammerorchesters (ZKO) mit Werken von Arnold Schönberg, Alexander Zemlinsky, Anton Webern u.a. Das begleitende Gespräch wird von Lena-Catharina Schneider, Künstlerische Leitung ZKO, und Jonas Beyer, Kurator Kunsthaus Zürich, geführt.
8. November, 19.30–21 Uhr, im Kunsthaus Zürich. Tickets unter www.zko.ch.
Kunsthaus Zürich/Zürcher Kunstgesellschaft
Winkelwiese 4
CH8001 Zürich
Telefon: +41 (44) 2538413
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