Neues Modell für den Trinkwassermarkt in Jordanien
In mehr als 30 Städten der Welt sind Millionen Menschen darauf angewiesen, ihr Trinkwasser aus Speichertanks zu beziehen, denn oft kommt das Wasser nur stundenweise aus dem Wasserhahn. Wenn die öffentliche Wasserversorgung nicht ausreicht, greifen Haushalte und Unternehmen zumeist auf private Anbieter zurück: Lastwagen bringen Trinkwasser, das oft aus Grundwasserbrunnen gezapft wird, vom Land in die Städte und verkaufen es dort – zum Teil mit staatlicher Lizenz, zu einem Großteil aber illegal. "In Jordanien gleicht dieser Markt für Wasserlieferungen per Tankwagen das Defizit des öffentlichen Wasserleitungsnetzes aus", sagt der UFZ-Ökonom Dr. Christian Klassert, Erstautor der Studie. Doch welche Rolle die größtenteils illegal gehandelten Wasserlieferungen auf dem jordanischen Wassermarkt konkret spielen, war bislang unklar. "Die offiziellen Daten zu den Brunnenentnahmen für die LKW-Wasserlieferungen spiegeln die Realität nicht wider. Sie liegen deutlich drunter, weil der Schwarzmarkt für Tankwasser bisher nicht quantifiziert werden konnte." Solange private Wassermärkte die Schwächen der öffentlichen Wasserversorgung ausgleichen, gibt es zudem für den Staat nur einen geringen Handlungsdruck, diese zu verbessern. Allerdings werden die Grundwasservorräte irgendwann aufgebraucht sein. Deswegen braucht es den Einblick in die Blackbox solcher Schwarzmärkte: Deren Beitrag zur Wassersicherheit, die Auswirkungen auf die Gesellschaft, auf die Umwelt und insbesondere auf die Grundwasservorräte sowie mögliche Folgen einer strengeren staatlichen Regulierung der Märkte sind Fragen, für die es vor dem Hintergrund des Klimawandels dringend Antworten braucht.
Die UFZ-Wissenschaftler entwickelten deswegen mit Hydrologen der Stanford University ein sozio-ökonomisches Computermodell des jordanischen Wassersektors, das den menschengemachten mit dem natürlichen Wasserkreislauf verknüpft. Als Besonderheit erweiterten sie das Modell durch eine Simulation des Schwarzmarktes für Wasser – ein schwieriges Unterfangen, weil dafür bislang kaum verlässliche Daten vorlagen. Um die Menge des dort gehandelten Wassers und die Auswirkungen auf Grundwasserstände, den Energieverbrauch oder den Ausstoß von Treibhausgasen verlässlich modellieren zu können, befragten sie in Jordanien Brunnenbesitzer und Tankwagenfahrer, aus welchen Brunnen sie wie viel Wasser fördern, wie groß die Entfernungen zwischen Brunnen und Absatzmarkt sind und wie häufig sie diese Routen auf sich nehmen. Mit diesem Modellierungsansatz gelang es den UFZ-Ökonomen erstmals, die Ausmaße des Schwarzmarktes beispielhaft für das Jahr 2015 in Zahlen zu fassen. Demnach übertraf die illegal gehandelte Wassermenge jene Menge, die über staatliche Lizenzen offiziell gehandelt werden durfte, um das 10,7-Fache. Das bedeutet, dass im Jahr 2015 91 Prozent der per LKW gelieferten Wassermengen illegal aus Brunnen entnommen wurde. "Die Bedeutung der illegalen Wasserlieferungen per Tankwagen wurde bislang völlig unterschätzt", bilanziert UFZ-Forscher Klassert.
Nach Projektionen der Forscher wird die Bedeutung der Wasserlieferungen per Tankwagen künftig weiter zunehmen: "Die Abhängigkeit der Haushalte von den Wassertanks wird bis zum Jahr 2050 um das 2,6-Fache steigen, also von 4,6 Prozent der Bevölkerung auf 12 Prozent", sagt Co-Autor und UFZ-Ökonom Prof. Dr. Erik Gawel. Wesentliche Gründe dafür sind das hohe Bevölkerungswachstum und die abnehmenden Grundwasservorräte. Gleichzeitig wird ein Teil der Haushalte diese Art der Wasserlieferungen aufgrund steigender Wasserpreise nicht mehr nutzen können: Da die durchschnittlichen Entfernungen zwischen Brunnen und Absatzmarkt von 13 auf 20 Kilometer steigen und die Wasserförderung immer aufwendiger wird, könnte sich der Preis pro Kubikmeter Wasser von drei US-Dollar im Jahr 2016 auf vier US-Dollar im Jahr 2050 erhöhen. Ärmere Haushalte werden so an ihre finanziellen Grenzen stoßen, zumal der Preis dafür schon jetzt um fast das Fünffache über dem für Leitungswasser aus dem Hahn liegt. "Die Preise sind allerdings nicht grundlos überhöht, sondern bilden auch die Produktions-, Personal- und Transportkosten realistisch ab", sagt Erik Gawel. Für finanziell schwächer gestellte Bevölkerungsschichten, die in Gegenden mit schlechter öffentlicher Wasserversorgung leben, werden die hohen Wasserpreise in Zukunft zum Problem. "In diesen Fällen müsste der Staat eingreifen, etwa indem er die staatliche Wasserversorgung verbessert oder den Kauf des Wassers für diese Bevölkerungsgruppen subventioniert", sagt er.
Die unkontrollierte Entnahme von Trinkwasser hat jedoch nicht nur gesellschaftliche Folgen, sondern wirkt sich auch auf die Grundwasservorräte aus. In Regionen, in denen der Anteil illegaler Brunnen besonders hoch ist, wie etwa in der Umgebung der Hauptstadt Amman und der Stadt Zarqa, sinkt der Grundwasserstand rapide, mancherorts um 3,5 Meter pro Jahr. Schon jetzt müssen Brunnen bis in eine Tiefe von 220 Metern gebohrt werden, um dort noch Wasser zu fördern. Im Norden des Landes geht das verfügbare Grundwasser in einigen Regionen den Modellierungen der UFZ-Ökonomen zufolge bis zum Jahr 2100 um bis zu 60 Prozent zurück. Die Entnahme von Brunnenwasser für Tankwagen trägt signifikant zu dieser Entwicklung bei und macht in manchen Landesteilen ein Drittel des zu viel entnommen Wassers aus.
Untersucht haben die UFZ-Wissenschaftler auch, wie der Staat eingreifen kann, um die negativen Auswirkungen des Schwarzmarkts einzudämmen. Möglichkeiten gibt es einige, derzeit lässt die jordanische Regierung beispielsweise illegale Brunnen schließen. "Das stabilisiert zwar den Rückgang des Grundwasserspiegels, hat aber negative Folgen für finanziell schwächere Bevölkerungsschichten, die abhängig sind von der Trinkwasserzufuhr über die Tankwagen und sich dann das Wasser nicht mehr leisten können", sagt Co-Autor Prof. Dr. Bernd Klauer, der am UFZ als Wasserökonom zu Wasserknappheits- und Wasserqualitätsproblemen forscht. Die Lastwagen müssen zunehmend entlegenere Brunnen anfahren, so dass die Transportkosten steigen und für die Behörden die Kontrolle der Wassertransporte erschwert wird. Infrage kommen auch noch andere Maßnahmen wie der Bau großer Entsalzungsanlagen von Meerwasser oder eine stärkere Regulierung der Lieferung von Wasser für gewerbliche Nutzungen. Sehr effizient wäre aus Sicht der UFZ-Wissenschaftler die Reparatur der Wasserleitungen, aus denen wegen Leckagen viel Wasser verloren geht. "Würde der Staat in die maroden Wasserleitungen investieren, könnte das die Zunahme der unkontrollierten Grundwasserentnahme bis zum Jahr 2050 auf 19 Prozent drosseln, da nicht nur weniger Wasser verloren ginge, sondern das gelieferte Wasser auch gerechter verteilt würde", sagt Bernd Klauer. Koppele man dies mit dem großflächigen Ausbau von Entsalzungsanlagen, könnte das die Nachfragen nach den Wasserlieferungen per Tankwagen entscheidend eindämmen. Dass der Staat in jedem Fall handeln sollte, steht für die UFZ-Ökonomen außer Frage. "Das Ausmaß der Wasserlieferungen zeigt, wie unsicher der Zugang zu Trinkwasser in Jordanien jetzt schon ist. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung rasant, zumal das Land viele Geflüchtete aus dem Irak und aus Syrien aufgenommen hat. Die Probleme der Trinkwasserversorgung werden also nicht verschwinden, sondern immer drängender", sagt Christian Klassert.
Publikation:
Christian Klassert, Jim Yoon, Katja Sigel, Bernd Klauer, Samer Talozi, Thibaut Lachaut, Philip Selby, Stephen Knox, Nicolas Avisse, Amaury Tilmant, Julien J. Harou, Daanish Mustafa, Josué Medellín-Azuara, Bushra Bataineh, Hua Zhang, Erik Gawel and Steven M. Gorelick. Unexpected growth of an illegal water market. Nature Sustainability. doi: 10.1038/s41893-023-01177-7
https://www.nature.com/articles/s41893-023-01177-7
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