Kunst & Kultur

Victor Man. Die Linien des Lebens

Der rumänische Künstler Victor Man (*1974) gilt seit Jahren als einer der gefragtesten und gleichzeitig rarsten Künstler der Gegenwartskunst. Seine intimen und der Zeit scheinbar entrückten Gemälde entziehen sich einer unmittelbaren Interpretation. Inmitten der Sammlung Alte Meister präsentiert das Städel Museum vom 14. Oktober 2023 bis 4. Februar 2024 eine Ausstellung mit 20 Werken des Malers aus den vergangenen zehn Jahren. Sie ist seinem künstlerischen Schwerpunkt gewidmet, dem Porträt. In tiefem Dunkelgrün, Blau und Schwarz entfaltet Man ebenso feinfühlige wie rätselhafte Bildnisse, die von einem existenzialistischen, düsteren und introspektiven Ton bestimmt sind. Es sind subtile Einflüsse der Vorrenaissance, aber auch Anklänge an den Symbolismus, die in seiner melancholischen Bildwelt aufscheinen. Stilistisch schwer einzuordnen und doch unverkennbar eröffnet Mans Œuvre zahlreiche kunsthistorische Referenzen und stellt zugleich eine einzigartige Position der zeitgenössischen Malerei dar. Im Städel Museum entsteht ein faszinierender Dialog zwischen Geschichte und Gegenwart.

Der Titel der Ausstellung Die Linien des Lebens ist ein Zitat aus Friedrich Hölderlins Gedicht An Zimmern (1812) und verweist auf die enge Verbindung Victor Mans zur Lyrik und zu Literatur allgemein. Diese Bezüge finden sich immer wieder in seiner Malerei, wie auch Verbindungen zur eigenen Lebensrealität. So stammen etwa die in den Porträts dargestellten Personen im Hauptteil der Ausstellung aus seinem familiären Umfeld und Freundeskreis. In überwiegend dunkle Szenerien getaucht und mit gedankenversunkenem Blick, sind die Porträtierten in eine existenzielle Schwere gehüllt. Die Gemälde zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung mit der menschlichen Existenz und erzählen von der poetischen wie auch tragischen Ambivalenz des Lebens. Im zweiten Teil der Ausstellung wird die Gattung Porträt mit der Werkserie The Chandler (seit 2013) fortgesetzt und zugleich aufgebrochen, womit die Möglichkeit einer neuen Lesart entsteht. Victor Man präsentiert in verschiedenen Gemälden das gleiche Motiv in stets leicht abgewandelter Form – eine sitzende Figur mit einem Kopf auf dem Schoß – und lädt dazu ein, die eigene Wahrnehmung zu erkunden. Das Städel Museum vereint in der Ausstellung vollständig die bisher entstandenen Arbeiten dieser Serie, die selten in ihrer Gesamtheit zu sehen ist – darunter auch das jüngste Werk, welches zuvor noch nie gezeigt wurde.

„Das Städel als Bildermuseum ist der perfekte Ort für die erste institutionelle Einzelausstellung mit Werken Victor Mans in Deutschland nach fast einem Jahrzehnt. Victor Mans Œuvre ist der Malerei verpflichtet. Seine Gemälde eröffnen inmitten der 700 Jahre umfassenden Sammlung einen in der Fülle der Kunstgeschichte verankerten Dialog. Die stillen und zeitlosen Porträts wirken wie ein Gegenentwurf zu unserer hoch technologisierten und komplexen Lebenswelt. Verstehen wir sie als Angebot, auf die Suche zu gehen, nach der Essenz unseres Daseins“, so Philipp Demandt, Direktor des Städel Museums.

Svenja Grosser, Kuratorin der Ausstellung, führt weiter aus: „Victor Mans Kunst ist zeitlos, und so verweigern sich seine Gemälde einer kunsthistorischen Einordnung nach Kriterien wie Stil und Entstehungszeit, selbst der Epochenzugehörigkeit. Vielschichtige Referenzen aus der Kunstgeschichte und Literatur eröffnen dabei eine Fülle an Deutungsmöglichkeiten. Eines steht jedoch immer im Mittelpunkt: Victor Mans gesamtes Œuvre kreist um die Malerei und die ihr innewohnenden Möglichkeiten, uns als Betrachter auf die Probe zu stellen.“

„Victor Man. Die Linien des Lebens“ wird gefördert durch die Deutsche Bank.

Porträts
Der Hauptteil der Ausstellung umfasst zwölf Gemälde, darunter vornehmlich Porträts. Den Auftakt bildet das Doppelporträt Self with Father (2017) im Saal altdeutscher Meister. Es verschränkt Vergangenheit und Gegenwart: Das Motiv des Vaters verweist sowohl auf die Biografie des Künstlers als auch, umgeben von den Werken der Städel Sammlung, auf die kunsthistorische Traditionslinie. Das schemenhafte Halbprofil zeigt den Künstler selbst.

Wie bei nahezu allen von Man dargestellten Menschen ist der Ausdruck des Vaters nicht zu deuten. Die Augen sind geschlossen. Eine unheimliche Leere liegt in den Augen der abgebildeten Person in Untitled (From Wounds and Starry Dreams) (2022). Sanfte und gedankenschwere Blicke wie in Untitled (2013), Portrait of A. with My Left Ear (2021) oder Girl with Laughing Cat (2021) gehen am Betrachter vorbei oder durch ihn hindurch. Es ist eine introspektive Malerei.

Zudem ist Victor Mans Malerei verbunden mit Literatur. Prägend für den Künstler sind Dichter, die eine Sensibilität für die geheimnisvolle Erfahrung des Lebens und der menschlichen Existenz haben: Georg Trakl, Gottfried Benn, Rainer Maria Rilke oder Friedrich Hölderlin sowie der rumänische Philosoph und Dichter Lucian Blaga. Besonders deutlich wird der Stellenwert der Literatur in Mans Œuvre anhand der Frage im Titel der Arbeit Untitled (Connaissez-vous des Esseintes?) (2015; dt.: Kennen Sie Des Esseintes?). Sie bezieht sich auf Joris-Karl Huysmans՚ Roman Gegen den Strich von 1884, der als ein herausragendes Beispiel des Ästhetizismus und Symbolismus gilt und von der Flucht des jungen, extravaganten Pariser Aristokraten Jean Floressas Des Esseintes vor der Banalität des modernen Großstadtlebens in eine Welt der Dekadenz und Künstlichkeit erzählt. Der Übergang zwischen Realität und innerer Gefühlswelt ist auch in Girl in Love with a Wound (2020/21) auszumachen: Vor das Gesicht der Porträtierten schiebt sich eine abstrakte, organische Form, die aus einer anderen Welt zu stammen scheint. Die christliche Ikonografie und Darstellungen von Märtyrertum, Ikonen und spirituellen Objekten verwandeln sich in weiteren Werken Victor Mans zu bedeutsamen Symbolen. Beginn und Endlichkeit des Lebens werden beispielsweise in Girl with Goya’s Skull (Memorable Equinox) (2021) durch die Abbildung des entblößten weiblichen Geschlechts und das altmeisterliche Vanitasmotiv des Totenschädels versinnbildlicht. Im Selbstporträt Self as the Man of Sorrows (2021) verschmelzen der im Titel angeführte christliche Darstellungstypus des „Schmerzensmanns“ und eine expressionistische Form- und Farbgebung zu einer Komposition mit Verweisen sowohl auf eigene Werke Mans als auch auf die Kunstgeschichte im Allgemeinen.

The Chandler
Die derzeit acht Werke umfassende Serie The Chandler nahm ihren Anfang 2013 und wurde von Victor Man in den Jahren 2014, 2018 und 2023 um je ein Gemälde erweitert. In unterschiedlichen Größen und Techniken ausgeführt, zeigen alle Bilder das gleiche Motiv wie zu einer Ikone erhoben, aber in leicht veränderter Form: eine sitzende Figur, deren Gesicht vom oberen Bildrand abgeschnitten ist. Auf ihrem Schoß ruht ein Kopf, der nichts über Herkunft, Geschlecht oder seine Geschichte verrät. Von Werk zu Werk scheinbar um die eigene Achse rotierend, wird der Kopf von nahezu allen Seiten sichtbar, wobei der Eindruck entsteht, dass es sich stets um denselben Kopf handelt.
Mit dem Thema der Enthauptung verwebt der Künstler auch hier mehrere Referenzen aus der christlichen Ikonografie, aus der Literatur und Kunstgeschichte und lässt dies bereits im Titel der Werkserie anklingen: der „Chandler“ (dt. Kerzenmacher) war im Mittelalter für die Instandhaltung von Kerzen in wohlhabenden Häusern verantwortlich, wozu auch das Abschneiden der Dochte gehörte. Der abgetrennte Kopf lässt u. a. an bedeutende, in der Kunstgeschichte vielfach dargestellte Mythen und Erzählungen denken: den heiligen Dionysius von Paris, der sein Haupt in den Händen vor sich trägt, an Judith und Holofernes oder Medusa. Darüber hinaus nimmt Victor Man Bezug auf Virginia Woolfs Roman Orlando. Eine Biografie von 1928, in dem der Protagonist mit den abgetrennten Köpfen von Gegnern seiner Vorväter spielt. Der Künstler platziert in einem Werk der Serie mit der Darstellung von springenden Hirschen auf einem wappenähnlichen Emblem zudem ein bildliches Zitat vom Einband der Erstausgabe von Orlando. In einem anderen Gemälde findet sich entsprechend dem Titel The Chandler with Gauguin’s Evil Spirit (2014) mit der Grimasse eines Kopfes, der Hörner trägt und aus einem hinter der Figur angebrachten Spiegel blickt, eine direkte Referenz auf mehrere Werke Paul Gauguins.

Anhand kleinster Veränderungen im Motiv der sitzenden Figur wird deutlich, wie Victor Man das Sehen auf die Probe stellt. So ist beispielsweise in zwei Bildern das Bein des Stuhls unterbrochen, auf dem die Figur sitzt, in dem einzigen Aquarell fehlt er gänzlich. Diese Diskrepanz fällt erst auf den zweiten Blick auf.

Mit der Serie The Chandler hinterfragt Victor Man die Gattung des Porträts, indem er das Gesicht durch den Rand der Leinwand beschneidet. Eine Annäherung an die dargestellte Person wird unmöglich. Wie bei einem abstrakten Bild setzt Man so den Fokus vorrangig auf die Form und die Malerei anstatt auf ein vollständiges Abbild der Person. Das gemalte Porträt entspricht keinem realen Gegenüber, wird autonom und kann als eigenständiges Bild betrachtet werden.

Victor Man (*1974) lebt und arbeitet in Rom sowie in seiner Geburtsstadt Cluj (Rumänien). Er repräsentierte Rumänien 2007 auf der 52. Biennale von Venedig. 2014 erhielt er den „Artist of the Year“-Award der Deutschen Bank. Seine Werke wurden in institutionellen Einzelausstellungen gezeigt, u. a. in der KunstHalle in Berlin, in der Zachęta National Gallery of Art in Warschau, im Münchner Haus der Kunst sowie zuletzt im Museo Tamayo, Mexiko-Stadt. Er ist in zahlreichen internationalen Sammlungen vertreten, darunter im Centre Pompidou in Paris, im San Francisco Museum of Modern Art (SFMOMA), im Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam, in der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland, in der Londoner Tate Gallery of Modern Art sowie im Städel Museum, Frankfurt am Main. Seine Arbeiten befinden sich zudem in bedeutenden internationalen Privatsammlungen.

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