Altbundespräsident Joachim Gauck: „Wir müssen jene unterstützen, die bereit sind, ihre Freiheit zu erkämpfen“
Während westdeutsche Entspannungspolitiker, so Gauck weiter, in der Vergangenheit nur die kommunistischen Führungen als Träger von Veränderungen angesehen hätten und diese stabilisieren wollten, hätten sich viele Oppositionelle von der Illusion verabschiedet, Veränderungen würden von oben kommen. Nach deren Ansicht müsse eine Veränderung nämlich von unten, aus der unterdrückten Bevölkerung kommen. Doch die westdeutsche Entspannungspolitik „blieb strategisch auf die Übereinkunft mit den Regierungen und die Sicherung des Status quo ausgerichtet.“ Für Joachim Gauck zeigten insbesondere die Ereignisse von 1989 deutlich, dass Freiheit und Demokratie nicht durch die Wahrung des Status quo, sondern durch Druck von unten erreicht worden seien: Damals sei „der schönste Satz der deutschen Politikgeschichte“ ertönt: „Wir sind das Volk!“.
Heute wisse man, dass sich nach 1989/90 weder der Siegeszug von Freiheit, Menschenrechten, Demokratie und sozialer Marktwirtschaft eingestellt habe noch ein dauerhaftes Ende der Ost-West-Konfrontation. Fast alle hätten sich geirrt, als sie glaubten, Stabilität und Frieden hätten endgültig Vorrang gewonnen gegenüber imperialem Machtstreben. Stattdessen habe man sich leichtgläubig und auch nicht uneigennützig dem Glauben hingegeben, dass wirtschaftliche Verflechtung automatisch zu Liberalisierung und Annährung mit Putins Russland oder auch anderen autokratischen Staaten führen würde. „Diese Vorstellung hat sich als Wunschdenken erwiesen.“
Der Altbundespräsident weiter: „Warum wollten wir nicht wahrhaben, nicht sehen, mit welchen imperialen Interessen Putin agiert?“ Die Warnungen der Balten und Polen, fußend auf den historischen traumatischen Erfahrungen mit Russland und der Sowjetunion, hätten hierzulande nicht als hilfreich gegolten, sondern als störend in den Beziehungen zu Russland. „Zu negativ, zu unversöhnlich, zu misstrauisch, zu sehr geprägt von antirussischem Ressentiment. Wie sich inzwischen aber zeigt, vermochten Polen, Litauer, Letten, Esten und Ukrainer ihren russischen Nachbarn besser einzuschätzen als wir.“
Für die Zukunft appellierte der Altbundespräsident, dass das westliche Europa gut daran täte, den Blick des östlichen Europas stärker wahrzunehmen: „Das westliche Europa braucht etwas von dem Geist der Zuversicht und der Freiheitsliebe, der etwa im Baltikum, in Polen, aber auch in Moldau vorherrscht.“
Die Solidaritätsaktion Renovabis beging mit der Festveranstaltung ihr 30-jähriges Jubiläum in der Katholischen Akademie in München; im Anschluss lud die bayerische Staatsregierung zu einem Staatsempfang ein.Mehr als 300 Teilnehmende aus 26 Ländern waren gekommen – darunter Bischöfe, Diplomaten und politische Mandatsträger wie etwa Ilse Aigner, die Bayerische Landtagspräsidentin oder der Bayerische Staatsminister Florian Herrmann.
Die Rede von Joachim Gauck bildete die Grundlage für ein Podiumsgespräch zum Thema „Zwischen Aufbruch und Ernüchterung: Das Streben nach Freiheit und Demokratie in Europa“. Es diskutierten die Bundesministerin a.D. Annegret Kramp-Karrenbauer, Erzbischof Reinhard Kardinal Marx, die Professorin für Pastoraltheologie Klara-Antonia Csiszar aus Rumänien und die russische Menschenrechtsaktivistin Irina Scherbakowa, die Mitbegründerin der 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisation Memorial.
Auftakt der Feierlichkeiten war eine Vesper in der Münchner Stadtpfarrkirche Sankt Sylvester mit Erzbischof Reinhard Kardinal Marx. Der Festakt fand am Vorabend des 27. Internationalen Kongress Renovabis statt. Sein Titel im Jubiläumsjahr: „Freiheit, die ich meine… Europa zwischen Aufbruch, Ernüchterung und Bedrohung“.
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