Mehr Leben strömt in die Stadt
Mehr Wasser und viel Grün für klimaresiliente Orte
Der menschengemachte Klimawandel lässt Hitzewellen häufiger werden. Gerade in Städten und urbanen Gebieten mit viel Beton und Asphalt werden die steigenden Temperaturen spürbar und eine echte Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung. „Für eine lebenswerte Zukunft in Städten brauchen wir widerstandsfähige, klimaresiliente Orte mit mehr Wasser und viel Grün“, sagt DBU-Generalsekretär Alexander Bonde. Auch kleinere Fließgewässer spielen eine wichtige Rolle, gehören sie doch zum Wassereinzugsgebiet der großen Flüsse. „Die Revitalisierung der Lutter ist eine lokale Erfolgsstory, die Nachahmung finden sollte“, so Bonde. Besonders herausfordernd war nach seinen Worten, aus einem urban geprägten Gewässer mit stark eingeschränktem ökologischen Entwicklungspotenzial eine Lebensader für Natur und Bevölkerung zu machen, die bei Hitze wie eine natürliche Klimaanlage wirkt. „Das ist aktive Gesundheitsvorsorge, nützt der Biodiversität und bringt Leben in die Stadt“, so Bonde. Ein weiterer Mehrwert der Lutter-Revitalisierung steckt nach seinen Worten in der regen Beteiligung der Bevölkerung.
Verrohrte Gewässer mit guter Wasserqualität wieder offenlegen
Die Lutter hat schon einiges mitgemacht. Ursprünglich speiste ihr Wasser die Ems. Doch seit einer künstlichen Umlegung im 15. Jahrhundert fließt ein Teil davon in den zweitlängsten Fluss Deutschlands, die Weser. Deshalb heißt Bielefelds historisch wichtigstes Stadtgewässer wasserwirtschaftlich korrekt „Weser-Lutter“. Ende des 19. Jahrhunderts verlegte die Stadt den Oberlauf zudem auf mehr als zweieinhalb Kilometern unter die Erde. Der Grund: „Durch das ungefilterte Einleiten von Abwässern aus Haushalten, Bleichen und Färbereien war der Bach hochgradig belastet und muss fürchterlich gestunken haben“, sagt Martin Enderle, Leiter von zwei DBU-geförderten Projekten und seit mehr als 20 Jahren Mitinitiator der Lutter-Revitalisierung. Doch wie bei den meisten Fließgewässern in Deutschland hat sich die Gewässerqualität im Zuge der Einrichtung von Kanalisation, Klärwerken und wasserwirtschaftlichen Anforderungen deutlich verbessert. Enderle: „Die Lutter hat heute mit Gewässergüteklasse II für ein Innenstadtgebiet eine wirklich gute Wasserqualität.“ Grund genug für den Landschaftsplaner, 2002 auf breiter bürgerschaftlicher Basis gemeinsam mit fünf Bielefelder Verbänden den Verein Pro Lutter zur Freilegung des Fließgewässers zu gründen. Besonderes Anliegen: viele Interessensgruppen mit ins Boot zu holen.
Einbeziehen der Schulen war echter Coup
Entscheidende Unterstützung für die Bach-Revitalisierung leisteten ab 2007 Schülerinnen und Schüler von fünf Bielefelder Schulen. „Dem Projektträger ist mit dem Einbeziehen der Schulen ein echter Coup gelungen: Ideenwettbewerb, Umweltbildung und Öffentlichkeitsbeteiligung auf einen Streich“, sagt DBU-Generalsekretär Alexander Bonde über das von der Stiftung geförderte Projekt. Enderle: „Das umweltpädagogische Planungslabor hat sich als hervorragendes Instrument erwiesen, um Jugendliche an ökologische Themen und demokratische Prozesse heranzuführen.“ Unter Anleitung engagierter Lehrkräfte wurden Ideen zur Revitalisierung entwickelt und öffentlich in einer von den Schülerinnen und Schülern organisierten Veranstaltung der Bevölkerung präsentiert. Enderle: „Einige Ideen konnten wir umsetzen wie etwa den Bezug zum historischen Kontext und eine nutzerfreundliche Planung.“
Sommertemperaturen locken Anwohnende und Kinder ans Wasser
Nachdem ein kurzer Gewässerabschnitt freigelegt und Entwürfe für weitere Abschnitte fertiggestellt worden waren, erfolgte zwischen 2020 und 2022 mit einer weiteren DBU-Förderung die Offenlegung auf 600 Metern Länge. Enderle: „Die Eröffnungsphase wurde begleitet von sehr warmen Sommerwochen.“ Etwa dreißig im Projekt gepflanzte, Schatten spendende Bäume senkten im Nahbereich des Wasserlaufs nach seinen Worten die Temperaturen und erhöhten die Luftfeuchte. „Verblüffend war dabei ein in der Form nicht absehbarer Aspekt“, so Enderle: „Die hohen Sommertemperaturen führten dazu, dass zahlreiche Anwohnende die Häuser verließen und die Möglichkeit nutzten, die Füße im Wasser zu kühlen und ihre Kinder dort spielen zu lassen.“ Gerade dieser Aspekt habe auch die Akzeptanz stark erhöht. Enderles Fazit: „Bürgerinnen und Bürger sind vor allem dann bereit, Vorbehalte und Bedenken zurückzustellen, wenn sie sich frühzeitig, im Prozess dauerhaft und umfangreich informiert fühlen.“
Vergleichsvorhaben, bei denen ein Stadtgewässer aus der Verrohrung befreit und wieder ans Licht geholt wurde, gibt es laut dem Verein Pro Lutter etwa beim Stadtkanal in Potsdam, beim Soestbach in Soest und beim Pleißemühlgraben in Leipzig. Auch das Projekt „Die lebendige Hase“ in Osnabrück ist ein gutes Beispiel, so Enderle.
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