Gesundheit & Medizin

Vitamin-B12-Mangel: Kein Nachweis für Vorteile einer Früherkennung im Rahmen des Neugeborenenscreenings

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) damit beauftragt, den Nutzen oder Schaden der Früherkennung eines Vitamin-B12-Mangels und weiterer Zielerkrankungen (Homocystinurie, Propionazidämie und Methylmalonazidurie) im erweiterten Neugeborenenscreening zu bewerten. Vorläufiges Ergebnis: Das Wissen aus den vorliegenden Studien reicht nicht aus, um diese Frage zu beantworten.

Stellungnahmen zum Vorbericht sind möglich bis zum 05.10.2023.

Stoffwechselerkrankungen, auf die bislang hierzulande bei Neugeborenen nicht gescreent wird

Der menschliche Körper braucht Vitamin B12 und bestimmte Enzyme, um Eiweißstoffe abbauen zu können. Wenn eine Schwangere keinerlei Vitamin B12 aufnimmt oder aufnehmen kann, ist dies für das Neugeborene gefährlich. Der Abbau von Eiweiß kann beim Neugeborenen aber auch dadurch blockiert sein, dass spezielle Enzyme fehlen. Dies ist der Fall bei den angeborenen Stoffwechsel­erkrankungen Homocystinurie, Propionazidämie und Methylmalonazidurie. Alle vier Erkrankungen (Vitamin-B12-Mangel, Homocystinurie, Propionazidämie und Methylmalonazidurie) sind jeweils selten bzw. sehr selten, können aber die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern gefährden. So kann es unter anderem zu Hirnschäden, Krampfanfällen und Koma sowie zu Schäden an Augen, Nieren und Blutgefäßen kommen. In nicht wenigen Fällen ist das Leben des Neugeborenen in Gefahr.

Zur Diagnose von Vitamin-B12-Mangel und den weiteren mit Vitamin-B12-Mangel zusammenhängenden Zielerkrankungen kann auf Filterpapier aufgetropftes Blut verwendet werden. Beim in Deutschland gemäß der Kinder-Richtlinie des G-BA durchgeführten erweiterten Neugeborenenscreening wird in der 36. bis 72. Lebensstunde Venen- oder Fersenblut gewonnen, auf Filterpapierkarten aufgetropft und hinsichtlich bestimmter Erkrankungen untersucht. Die im Fokus dieses IQWiG-Vorberichts stehenden Zielerkrankungen zählen bislang nicht dazu. Es läuft jedoch ein großes Pilotprojekt: die von der Universität Heidelberg geleitete Studie „NGS 2020/NGS 2025“.

Ziel eines Neugeborenenscreenings auf Vitamin-B12-Mangel und die weiteren Zielerkrankungen ist die frühere Identifikation und Behandlung von betroffenen Kindern, bevor der Stoffwechsel entgleist und irreversible Schäden insbesondere am Gehirn verursacht. Derzeit haben nur acht der 47 europäischen Staaten ein Screening auf mindestens eine der hier maßgeblichen Zielerkrankungen etabliert; und dies dann zum Teil auch deshalb, weil es in ihrer Bevölkerung eine Häufung einer spezifischen Zielerkrankung gibt.

Nutzen der Früherkennung bleibt mangels Evidenz unklar

Für die Beantwortung der Frage, ob die Früherkennung eines Vitamin-B12-Mangels und weiterer Zielerkrankungen in das erweiterte Neugeborenenscreening aufgenommen werden sollte, recherchierte das IQWiG-Projektteam drei Studien, die Screening mit keinem Screening verglichen, sowie 13 Studien, die frühe mit später Behandlung betroffener Kinder verglichen.

Die Studien, die die Effekte von Screening prüften, lieferten keine aussagekräftigen Daten für eine Beantwortung der Fragestellung. Denn obwohl diese drei Studien insgesamt mehrere Hunderttausend Kinder untersuchten, waren nur knapp 20 Kinder von einer der Zielerkrankungen betroffen.

Die 13 Studien, die eine frühe gegenüber einer späten Behandlung untersuchten, waren ebenfalls nicht verwertbar. Hauptproblem dieser Beobachtungsstudien ist, dass sich früh und spät behandelte Kinder in vielerlei Hinsicht unterscheiden (Alter, Nachbeobachtungsdauer, Patientenauswahl, Erkrankungsschwere etc.). Etwaige Unterschiede lassen sich daher gerade nicht auf den Behandlungszeitpunkt zurückführen, sondern sind möglicherweise allein durch Unterschiede in Alter, Erkrankungsschwere oder anderen Merkmalen bedingt. Ein weiteres Problem liegt darin, dass einige der Studien sich auf Stoffwechseldefekte bezogen, die zwar in anderen Ländern vorkommen, die aber in Deutschland bislang so gut wie noch nie beobachtet worden sind.

Mangels aussagekräftiger Evidenz aus den vorliegenden Studien bleiben Nutzen oder Schaden der Früherkennung eines Vitamin-B12-Mangels und weiterer Zielerkrankungen somit unklar. Aus Sicht des IQWiG könnte eine multinationale Forschungskooperation hilfreich sein, um Vor- und Nachteile der Früherkennung zu untersuchen – beispielsweise durch Vergleiche zwischen Ländern mit und ohne Screening.

Zum Ablauf der Berichterstellung

Den Berichtsplan für dieses Projekt hatte das IQWiG am 21.03.2023 veröffentlicht. Stellungnahmen zum Vorbericht werden nach Ablauf der Frist ab dem 05.10.2023 gesichtet. Sofern sie Fragen offenlassen, werden die Stellungnehmenden zu einer mündlichen Erörterung eingeladen.

Über Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

Das IQWiG ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut, das Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen für Patienten untersucht. Wir informieren laufend darüber, welche Vor- und Nachteile verschiedene Therapien und Diagnoseverfahren haben können

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