IHK-Umfrage: Arbeitskräftemangel mindert Zukunftschancen
„Aus dem Fachkräftemangel ist ein allgemeiner Arbeitskräftemangel geworden – mit entsprechend negativen Folgen für Umsätze, Wachstum und Innovationsfähigkeit. Dieser Mangel gefährdet die Zukunftschancen unseres Wirtschaftsstandortes. Deswegen ist es höchste Zeit für entschlossenes Handeln. In der Wirtschaft besteht die klare Erwartungshaltung, dass die Landesregierung dem Thema Arbeits- und Fachkräftesicherung bei der Verabschiedung der Zukunftsstrategie des Landes eine klare Priorität einräumt“, kommentiert IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Frank Thomé die Umfrageergebnisse.
Allein die befragten Unternehmen haben gegenwärtig über alle Qualifikationsniveaus hinweg 2.472 offene Stellen zu besetzen. Insgesamt sind es im Saarland laut Bundesagentur für Arbeit fast 11.000. Die tatsächliche Arbeitskräftelücke dürfte noch größer sein. Besonders betroffen sind das Verkehrsgewerbe sowie die Hotellerie und Gastronomie. „Die negativen Auswirkungen des Personalmangels belasten mittlerweile verstärkt auch die Industrie. Viele Automobil-Zulieferer, Maschinen- und Anlagenbauer oder selbst namhafte Unternehmen der Elektroindustrie klagen darüber, dass sie keine Maschinenführer, Schweißer, Konstrukteure oder Elektriker finden – von Ingenieuren oder IT-Spezialisten ganz zu schweigen. Hieran zeigt sich, dass vom Arbeitskräftemangel inzwischen auch die Großen betroffen sind und nicht mehr nur kleinere und mittelständische Betriebe“, so Dr. Carsten Meier, Geschäftsführer der IHK Saarland für den Bereich Wirtschaftspolitik & Unternehmensförderung.
Verschärfung zu erwarten
Insgesamt bleibt der Arbeitskräftebedarf auch in den nächsten Jahren hoch. In den Personalabteilungen wächst die Skepsis, ob der Bedarf gedeckt werden kann. „Die Einschätzung der Unternehmen ist nicht überraschend. Denn bis zum Jahr 2040 werden dem Arbeitsmarkt im Saarland 87.000 Menschen weniger zur Verfügung stehen als noch im Jahr 2021; ein Rückgang um 14,6 Prozent. Angesichts dieses sinkenden Erwerbspersonen-Potenzials dürfte sich der Arbeitskräftemangel mittelfristig nochmals deutlich verschärfen. Und dies selbst dann, wenn es gelingen sollte, dass bis dahin jährlich im Schnitt 3.000 Menschen mehr zu- als abwandern“, sagt Meier.
Verstärkte Anstrengungen
84 Prozent der Unternehmen klagen über zu wenige Bewerbungen auf freie Stellen. Das ist aber nicht die einzige Herausforderung der Personalabteilungen. Probleme bereiten darüber hinaus insbesondere fehlende Qualifikationen (80 Prozent) und mangelnde Berufserfahrung (62 Prozent) sowie überhöhte Gehaltsvorstellungen (61 Prozent). Um ihren Personalbedarf zu decken, unternimmt die Saarwirtschaft erhebliche Anstrengungen. Um verstärkt Arbeitskräftepotenziale zu erschließen, die bislang eher unterdurchschnittlich in einigen Branchen oder Berufsgruppen vertreten waren: Ältere, Frauen und Migranten.
Des Weiteren werden auch im saarländischen Mittelstand zunehmend Rekrutierungsinstrumente und -wege genutzt, die wegen des damit verbundenen Aufwands lange Zeit nicht zum festen Bestandteil der Personalgewinnung gehörten, zum Beispiel Rekrutierung im Ausland, Kooperationen mit Schulen und Hochschulen, Einsatz von Headhuntern oder Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Programme. Dabei hat seit der IHK-Fachkräfteumfrage von 2021 insbesondere die Mitarbeitersuche über Internetbörsen und Social Networks deutlich an Bedeutung gewonnen.
Doch trotz aller Kreativität der Unternehmen bei der Personalsuche: An der eigentlichen Ursache des Bewerbermangels und den daraus resultierenden Engpässen in den Betrieben hat sich nichts geändert. In den nächsten 15 Jahren gehen die Babyboomer, die geburtenstarken Jahrgänge 1955 bis 1970, in den Ruhestand. Und es rücken weit weniger junge Menschen nach. Die Wirtschaft kommt daher nicht umhin, auf den Mangel an Arbeitskräften mit einer Reihe von Kompensationsmaßnahmen zu reagieren. An der Spitze stehen dabei die Höherqualifizierung des vorhandenen Personals und mehr Überstunden. Ebenfalls stark angewachsen sind Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer. Als letzter Ausweg aus der Personalnot schränken Unternehmen zunehmend ihr Serviceangebot ein.
Automatisierung und Digitalisierung mindern Personalmangel
Gegenüber früheren Umfragen hat aber insbesondere die Digitalisierung und Automatisierung betrieblicher Prozesse deutlich zugelegt, bei der fehlendes Personal durch verstärkten Kapitaleinsatz ausgeglichen wird, so etwa im Hotel- und Gaststättengewerbe, wo der Self-Check-In, Online-Tischreservierungen, Zimmerbuchungen und vieles mehr inzwischen oftmals bereits eine Selbstverständlichkeit ist. Der Anteil der Unternehmen, die ihre Prozesse automatisieren und digitalisieren ist im Saarland von 23 Prozent im Jahr 2017 auf über 30 Prozent im Jahr 2021 auf nun 56 Prozent gestiegen. „Für das Jahr 2030 rechnen wir in der IHK damit, dass fast alle Unternehmen mit Digitalisierung und Automatisierung fehlendes Personal zumindest ein Stück weit kompensieren werden“, sagt Thomé.
Potenziale heben, Vollzeit fördern
Alles in allem sind die Ergebnisse der IHK-Umfrage ein Alarmsignal, das aufrütteln muss. Sie bestätigen, dass es noch größerer Anstrengungen bedarf, um den Arbeits- und Fachkräftemangel im Saarland zu entschärfen. Dies gilt aus Sicht der IHK auch für die Unterstützung junger Menschen bei ihrer Ausbildungs-, Studien- und Berufsorientierung ebenso wie die Verringerung von Ausbildungs- und Studienabbrüchen. Potenzial sieht die IHK in der Steigerung der Erwerbsquoten sowie des Arbeitsvolumens in jenen Segmenten, in denen dieses noch unterdurchschnittlich ist, also bei Frauen, Älteren und Migranten, sei es auf Grund von Teilzeit oder der Tatsache, dass diese Gruppen dem Arbeitsmarkt nur eingeschränkt zur Verfügung stehen können oder wollen. Mehr Vollzeit oder vollzeitnahe Teilzeit wären hier das Mittel der Wahl. Doch das alles wird nicht ausreichen.
„Angesichts des Mangels an Arbeitskräften sind jegliche Bestrebungen, die Wochenarbeitszeit zu verkürzen oder einen früheren Renteneintritt zu ermöglichen, kontraproduktiv. Erforderlich ist stattdessen ein allgemeiner gesellschaftlicher Grundkonsens, dass das Arbeitsvolumen angesichts stockender Produktivitätszuwächse insgesamt steigen muss. Andernfalls wird es nicht gelingen, das Wohlstandsniveau zu halten“, sagt Thomé.
Auch die Unternehmen selbst sind gefordert, noch stärker als bisher innovative Rekrutierungsinstrumente und -wege in den Blick zu nehmen, ihre Arbeitgebermarke weiter zu schärfen und ihre Personalentwicklung strategischer auszurichten. Die sogenannte Generation Z, also jene, die nach 1995 geboren wurden, wissen um ihre Verhandlungsmacht auf dem Arbeitsmarkt. Unternehmen müssen heute um sie werben – nicht umgekehrt.
Ganzheitliche Anwerbestrategie erforderlich
„Letztlich bleibt auch die Landespolitik weiterhin gefordert. Sie muss die Attraktivität und Bindekraft des Saarlandes erhöhen. Zugleich braucht es frische Ideen, eine langfristige Strategie und mehr Umsetzungsstärke, um Nachwuchskräfte aus anderen Bundesländern für den Lebens- und Arbeitsstandort Saarland zu begeistern“, erklärt Thomé. Mindestens ebenso wichtig sei, das Saarland-Marketing zielgerichteter im Wettbewerb der Regionen um Arbeitskräfte zu positionieren und entschlossen mit einer ganzheitlichen Anwerbestrategie des Landes mehr qualifizierte Zuwanderung zu erzielen. „Dies ist umso wichtiger, weil auch andere Regionen in Deutschland um Arbeitskräfte werben. Die Landesregierung muss daher mit einer landeseigenen Kampagne deutlich machen, warum es sich für diese Menschen lohnt, ins Saarland zu kommen und hier zu bleiben“, sagt Thomé.
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