Globale Inflation: Wie geht es weiter?
Weltweit schwächeres Wachstum und kurzfristig nachlassende Inflation
Wer einen Blick auf die Bloomberg Konsensschätzungen der Jahre 2023-2025 werfe, könne einen signifikanten Rückgang der Wachstumsprognosen feststellen, so Temple. Zwar hätten sich die Wachstumsaussichten einzelner Märkte wie der USA zuletzt verbessert, dies könne den globalen Trend der Stagnation jedoch nicht bremsen. „Ich habe die Befürchtung, dass die Märkte ein wenig zu optimistisch auf die USA blicken. Zusammen mit der Eurozone und Großbritannien erwarte ich auch dort eine relative Stagnation gegenüber dem Post-Corona-Boom. Lediglich Japan könnte den Trend nächstes Jahr übertreffen“, sagt der Experte. Gleichzeitig sei ein Rückgang der zyklischen Inflation zu vermerken. Die pandemie- und energiepreisbedingte Inflation von 2021-2023 nehme bald ihr Ende, sollten die Energiepreise weiterhin auf konstantem Niveau bleiben. „Der Gipfel ist bereits überschritten. Wir befinden uns mitten in einer Disinflationsphase, die voraussichtlich bis Mitte 2024 anhalten wird“, so Ron Temple.
US-Inflation steuert bis Mitte 2024 in Richtung zwei Prozent
Auch in den USA mache sich die Disinflation bemerkbar. Die Preissteigerung für Kernkonsumgüter, die zwischen 2020 und 2023 immer positiv und Mitte 2022 zeitweilig sogar 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr betrug, sei im September 2023 das erste Mal seit drei Jahren unverändert. Zwar sei die Preissteigerung für Unterkünfte (Hauspreise und Mieten) sowie sonstige Dienstleistungen mit sieben bzw. vier Prozent weiterhin sehr hoch, doch dürfte sich der noch positive Preisauftrieb sowohl bei Unterkünften als auch bei Gebrauchtwagen zukünftig verlangsamen, so Temple. Er verweist dabei auf die bessere Verfügbarkeit sowie Preisnachlässe bei Neuwagen als auch auf einen voraussichtlich stark zurückgehenden Preisauftrieb bei Neuvermietungen in den kommenden 12 Monaten. Besonders wichtig sei in diesem Zusammenhang der amerikanische Arbeitsmarkt: Nachdem in den ersten zehn Monaten des Jahres durchschnittlich 239.000 Arbeitsplätze pro Monat geschaffen worden seien, befinde sich die Arbeitslosenquote aktuell auf einem Tiefstand von gerade einmal 3,9 Prozent. Die Zahl unbesetzter Stellen gehe allerdings von den Hochs zurück, ebenso die Zahl der Kündigungen, was auf eine Entspannung in Hinblick auf den Inflationsdruck von Seiten des Arbeitsmarkts hindeute. „All diese Aspekte zusammen erlauben den Schluss, dass die US-Inflationsrate im nächsten Jahr weiter sinken wird. Ich prognostiziere eine Inflationsrate in den USA von 2 bis 2,5 Prozent Mitte 2024“, erklärt Ron Temple.
Das mögliche Ende von Chinas wirtschaftlicher Vorreiterrolle
Die Hoffnungen, dass der Post-Covid-Boom die chinesische Wirtschaft und damit auch das globale Wachstum ankurbeln werde, sind aus Sicht Temples deplatziert. Das zentrale Hindernis sei der chinesische Immobilienmarkt. Den offiziellen Zahlen zufolge würden die Immobilienpreise in China um zwei bis fünf Prozent pro Jahr sinken, was an sich eine neutrale Entwicklung wäre. Der reale Wertverlust sei in diesen Zahlen jedoch nicht abgebildet. In der Realität sei ein Immobilienentwickler häufig gezwungen, dem Käufer für den gleichen Preis zusätzliche Vergünstigungen zu bieten, wie einen kostenfreien Parkplatz oder einem Gutschein für den Kauf von Geräten. „Der reale Wertverlust wird von den offiziellen Zahlen nicht erfasst. Tatsächlich liegt er bei gebrauchten Immobilien zwischen 15 und 40 Prozent. Wenn man bedenkt, dass im Durchschnitt 60 bis 70 Prozent der Vermögenswerte chinesischer Haushalte in der eigenen Immobilie stecken, bedeutet das einen immensen Vermögensverlust, der sich auch unmittelbar auf die Kaufkraft auswirkt“, so Ron Temple.
Hinzu komme die Abhängigkeit der chinesischen Wirtschaft von ökonomischen Stimuli. Chinesische Unternehmen seien bereits so stark verschuldet, dass eine weitere Finanzierung durch Kredite nicht in Frage käme. Staatliche Subventionen würden ebenfalls nicht ausreichen, um diese strukturellen Defizite auszugleichen. 50 Prozent der privaten chinesischen Immobilienentwickler seien bereits bankrott oder mit ihren Rückzahlungen im Verzug. „Kurzfristig können Stimuli zwar einen Wachstumsschub erzeugen. Auf lange Sicht werden die strukturellen Probleme die chinesische Wirtschaft jedoch einholen. Daher sollten Investoren ihre bisherige Sicht auf China in Bezug auf dessen zukünftiges Wachstumspotenzial überdenken und sich ernsthaft um den Risikoabbau im Handel kümmern“, sagt Temple. Zudem stelle sich die Frage, welche Teile der Lieferketten weiterhin in China verortet werden könnten.
Langfristig: strukturell steigende Inflation
Trotz der gegenwärtigen Disinflationstendenz sei im kommenden Jahrzehnt eine Inflation, die 100 Basispunkte über dem Wert von 2009 bis 2019 liege, wahrscheinlich. Dies bedeute in den USA langfristig eine Inflation von 2,5 bis 3 Prozent sowie in der Eurozone eine Inflation von 2 bis 2,5 Prozent. Dafür gebe es zwei Gründe: „Zum einen handelt es sich um ein Phänomen, dass ich als ‚Globalisierung 3.0‘ bezeichnen würde. China ist nicht mehr wie in den vergangenen 30 Jahren in der Lage, Deflation zu exportieren. Es ist ein Opfer seines eigenen Erfolgs geworden, da sich der Lebensstandard und damit die Lohnkosten chinesischer Arbeitskräfte erheblich gesteigert haben. Einfache Arbeitskräfte in chinesischen Küstenmetropolen verdienen umgerechnet bis zu 30.000 Euro pro Jahr. Es ist somit nicht mehr so attraktiv wie zuvor, die Produktion nach China auszulagern bzw. Produkte aus China zu importieren“, so Ron Temple. Füge man noch die Kosten der Energiewende sowie den Mangel an strategischen Bewältigungsstrategien hinzu, könne man von einem globalen Inflationsanstieg ausgehen. „Der Ölpreis könnte in drei bis fünf Jahren sogar auf bis zu 200 US-Dollar pro Barrel ansteigen, denn die Volkswirtschaften werden bis dahin nicht vollständig auf erneuerbare Energien umsteigen können und für zwei Energieinfrastrukturen gleichzeitig bezahlen. All das wirkt inflationär auf die Preisentwicklung und begründet unsere Prognose“, fasst Ron Temple zusammen.
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