Jungen Geflüchteten ein stabilisierendes Umfeld schaffen
Die Projektidee entwickelte sich aus dem Ansatz des IRC-Projekts „Healing Classrooms“, das ebenfalls von der Klaus Tschira Stiftung gefördert wurde. Dort wurden Lehrkräfte an Berufsschulen weitergebildet, damit sie besser auf die Bedürfnisse von Geflüchteten eingehen können. Die Klassen sollten so zu sicheren und stabilisierenden Räumen für sie werden. „Dabei haben wir bemerkt, dass die Jugendlichen auch über den Schulkontext hinaus Unterstützung benötigen“, sagt Hannah Schmidt-Friderichs, Leiterin der Bildungsprogramme bei IRC. Daraus entstand die Idee für „Zwei mit Ziel“, das im Bildungsprogramm von IRC einmalig ist. Zwar richten sich auch andere IRC-Projekte an Jugendliche und junge Erwachsene mit Fluchterfahrung, der Fokus liege aber auf dem schulischen Kontext.
Die Mentoring-Paare zusammenzustellen, ist anspruchsvoll
Das „Matching“ der Mentoring-Paare „ist ein schwer zu standardisierender Prozess, der viel Zeit in Anspruch nimmt“, betont Schmidt-Friderichs. Fragebögen bilden zwar die Grundlage, reichen allein aber nicht aus. Zahlreiche Einzelgespräche sind notwendig, um herauszufinden, welche Mentees und welche Mentorinnen oder Mentoren zusammenpassen könnten. Wichtig bei den Mentees ist beispielsweise, welche Interessen sie haben und welche Ziele sich bereits andeuten. Bei den Mentorinnen und Mentoren ist neben ihren eigenen Interessen relevant, welchen Beruf sie ausüben und mit welcher Motivation sie in das Mentoring gehen. Beim Matching werden dann Gemeinsamkeiten gesucht. „Aber auch auf das Bauchgefühl kommt es an“, wirft Acar ein. Gerade deswegen sei das persönliche Kennenlernen unverzichtbar.
Nachdem die Mentoring-Paare vermittelt sind, werden sie jedoch nicht allein gelassen. „Am Anfang sind die Mentees oft sehr zurückhaltend“, sagt Acar. Hier schafft die Projektleitung deshalb durch eine enge Betreuung den nötigen Rahmen für einen gegenseitigen Vertrauensaufbau. Darüber hinaus organisiert das IRC Events und Workshops, beispielsweise ein gemeinsamer Ausflug in den Kletterpark oder gezielte Weiterbildungen für Mentorinnen und Mentoren. Diese haben außerdem die Möglichkeit, sich bei regelmäßigen Stammtischen auszutauschen.
Mentorinnen und Mentoren sollten geduldig und aufgeschlossen sein
Bei den Mentees handelt es sich um Jugendliche oder junge Erwachsene, die neben den Herausforderungen des Erwachsenwerdens zusätzlich ihre eigenen speziellen Geschichten mitbringen. „Das erfordert sowohl Beharrlichkeit als auch Fingerspitzengefühl. Mentorinnen und Mentoren müssen beim Kennenlernen viel Geduld mitbringen, ihre Fragen mit einer bestimmten Offenheit stellen und immer wieder vorsichtig freundlich Input reingeben. Sie müssen bereit sein, gemeinsam in diese Mentoring-Beziehung reinzuwachsen“, erklärt Schmidt-Friderichs. Der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung sei von zentraler Bedeutung, um den Jugendlichen weiterhelfen zu können, denn „die Ziele der Mentees werden erst in einem Prozess sichtbar, der viel Beziehungsarbeit bedarf“, betont Acar.
Potenzielle Mentorinnen und Mentoren sollten sich fragen: „Was sind meine Erwartungen und wie viel Reflexions- und Lernbereitschaft bringe ich mit?“ Die Projektverantwortlichen erhielten oft die Rückmeldung, dass sich die Erwartungshaltungen der Mentorinnen und Mentoren über den Mentoring-Prozess verändert hat. Während zu Beginn noch ein klassisches Mentoring-Verhältnis vorlag, hatten sie mit der Zeit immer mehr eigene Lernmomente. Das ist so gewollt: „Zwei mit Ziel“ soll ermöglichen, dass ein gemeinsamer Lernprozess entsteht.
Auf die individuelle Unterstützung kommt es an
Im ersten Mentoring-Durchgang, der im Sommer 2022 begann, konnten 14 Mentoring-Paare zusammengebracht werden, im zweiten Durchgang acht. Weil im zweiten Durchgang nicht für alle engagierten Mentorinnen und Mentoren ein Mentee gefunden werden konnte, gehen Acar und ihre Kolleginnen und Kollegen zum Start des neuen Schuljahres erneut auf Schülerinnen und Schüler der kooperierenden Berufsschulen zu. Eine wichtige Erkenntnis aus den bisherigen Durchgängen: Die jungen Menschen schätzen es, dass im Projekt auf ihre individuellen Bedürfnisse eingegangen werden kann.
„Das Mentoring-Format hat sich bewährt“, betont Acar. „Wir würden es gerne weiterführen und ausweiten.“ So wollen sie zusätzlich Sozialarbeitende und pädagogische Fachkräfte für das Projekt gewinnen. Außerdem soll das klassische Eins-zu-eins-Mentoring durch ein Mentoring-Netzwerk erweitert werden, um das Angebot weiter zu diversifizieren. So könnte beispielsweise eine Betriebsbesichtigung oder ein Einblick in das Ehrenamt einer Kontaktperson aus dem Netzwerk ermöglicht werden. „Die Idee kommt daher, dass wir bei der Suche nach Mentorinnen und Mentoren immer wieder Kontakt zu Erwachsenen hatten, denen das Projekt zwar gefallen hat und die gerne mitwirken würden, sich aber das zeitintensive Mentoring nicht vorstellen konnten“, erklärt Schmidt-Friderichs. „Das Mentoringprogramm also an den Rändern auszuweiten, das wäre unsere Idealvorstellung.“
International Rescue Committee (IRC) ist eine internationale Hilfsorganisation, die 1933 auf Anregung von Albert Einstein gegründet wurde. Seitdem unterstützt IRC Menschen, die vor Krisen, Krieg, Verfolgung oder Naturkatastrophen fliehen müssen. Seit 2016 ist IRC in Deutschland präsent. Mehr als 200 Mitarbeitende engagieren sich hier inzwischen mit Unterstützung deutscher und europäischer Geber in Projekten für krisenbetroffene Menschen in mehr als 50 Ländern weltweit. In Deutschland selbst führt IRC Deutschland in allen 16 Bundesländern Programme zur Integration schutzsuchender Menschen in den Bereichen Bildung, wirtschaftliche Integration sowie Schutz und Teilhabe durch.
Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Sie wurde 1995 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940–2015) mit privaten Mitteln ins Leben gerufen. Ihre drei Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein. Weitere Informationen unter: www.klaus-tschira-stiftung.de.
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