Müller Radack Schultz: Hinweisgeberschutzgesetz – Freibrief für den Beschäftigten1 und Bürde für den Arbeitgeber?
Der europäische Gesetzgeber hat im Herbst 2019 mit der so genannten Hinweisgeberschutz-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1937) den Schutz von „Hinweisgebern“ europaweit vereinheitlichen wollen. Deutschland hat seine Umsetzungspflicht, die bereits 2021 bestand, etwas verzögert und erst am 31.05.2023 (BGBl. 2023 I Nr. 140) das Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen (Hinweisgeberschutzgesetz – HinSchG) erlassen. Das Gesetz ist am 02.07.2023 in Kraft getreten, allerdings müssen private „Beschäftigungsgeber“ mit in der Regel mindestens 50 Beschäftigten interne Meldestellen erst ab dem 17.12.2023 einrichten. Und es gilt eine Bußgeldpflicht für das Nichteinrichten einer internen Meldestelle erst ab dem 01.12.2023.
Häberer: “Viel Zeit bleibt nun nicht mehr. Nach dem HinSchG werden Personen, ´die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die nach diesem Gesetz vorgesehenen Meldestellen melden oder offenlegen (hinweisgebende Personen)´ geschützt. Hiervon erfasst sind nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Selbständige, Anteilseigener, Personen, die dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan angehören, Leiharbeiter, Freiwillige und Praktikanten und sogar Mitarbeiter von Lieferanten oder Geschäftspartner.”
Allerdings definiert das Gesetz unter § 3 zunächst nur den Begriff des „Beschäftigten“. Gegenstand des Hinweisgeberschutzes sind – über den von der europäischen HinSch-RiLi vorgesehenen Schutzzweck hinaus – alle strafbewehrten und bußgeldbewehrten Verstöße, soweit es sich um bußgeldbewehrte Vorschriften handelt, die den Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit bzw. den Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane betreffen, § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HinSchG. Der Umfang der geschützten Informationen ist damit sehr groß und weit gefächert.
Das HinSchG gilt für alle Beschäftigungsgeber, sofern mindestens eine Person bei ihnen beschäftigt ist. Die Einrichtung einer internen Meldestelle wird jedoch erst ab einer Anzahl von 50 Beschäftigten verpflichtend, § 12 Abs. 1 HinSchG. Mehrere private Beschäftigungsgeber mit in der Regel 50 bis 249 Beschäftigten können eine gemeinsame interne Meldestelle bestimmen und nutzen.
“Die internen und die – vom Gesetz festgelegten – externen Meldestellen müssen Einrichtungen schaffen, mittels derer Hinweisgeber mündlich oder in Textform ihre Hinweise einbringen können. Dem Hinweisgeber ist innerhalb von sieben Tagen von der Meldestelle eine Eingangsbestätigung zu erteilen oder nach drei Monaten und sieben Tagen eine Nachricht über den Bearbeitungsstand zu geben”, erläutert Häberer. “Die Meldestelle prüft innerhalb dieser Zeit, ob der gemeldete Verstoß dem Anwendungsbereich des Gesetzes unterfällt, die Stichhaltigkeit der eingegangenen Meldung, hält Kontakt mit dem Hinweisgeber, den sie auch um weitere Informationen ersuchen kann und ergreift angemessene Folgemaßnahmen. Sie kann nach § 18 HinSchG interne Untersuchungen bei den betroffenen Personen oder Arbeitseinheiten durchführen oder auch die zuständigen Behörden informieren. Hier steht ein breiter Strauß an Maßnahmen zur Verfügung.”
Der Hinweisgeber, und das unterscheidet ihn von dem vormals „ungeschützten“ Whistleblower, genießt durch das HinSchG gleich einen zweifachen Schutz. Zum einen wird ihm gesetzlich erlaubt, Informationen nach den HinSchG an die Öffentlichkeit zu bringen, wenn die Meldestellen nicht oder nicht fristgemäß reagieren, oder wenn er hinreichenden Grund zur Annahme hat, dass der von ihm erkannte Verstoß z.B. wegen eines Notfalls, der Gefahr irreversibler Schäden oder einer offenkundigen Gefährdung des öffentlichen Interesses so bedeutsam ist, dass die Öffentlichkeit sofort unterrichtet werden muss. Er muss hier natürlich beachten, dass das Offenlegen unrichtiger Informationen über Verstöße verboten ist, § 32 HinSchG.
Zum anderen wird nach den §§ 35 und 36 HinSchG seine Verantwortung für das „berechtigte Melden“ von Verstößen ausgeschlossen und muss der Arbeitgeber, wenn er dennoch Repressalien gegenüber dem Hinweisgeber verhängt auf dessen Klage hin beweisen (Beweislastumkehr), dass der Hinweisgeber zu Unrecht auf Verstöße hingewiesen hat. Die Rechtsprechung hat hier dem Whistleblower bislang selbst die Beweislast dafür aufgebürdet, den Verstoß zu beweisen. Häberer dazu: “Ein Unterfangen, das häufig an der Unmöglichkeit der Beschaffung von Beweismitteln (auch Zeugen, die als Beschäftigte Pönalen ihrer Beschäftigungsgeber fürchten) gescheitert ist.”
Zur Durchsetzung der Regelungen des HinSchG sind dort Bußgeldtatbestände aufgenommen, die – je nach Bedeutung des Verstoßes – Bußgelder zwischen 10.000 und 50.000 Euro als Pönale vorsehen.
“Für Hinweisgeber, die berechtigt Verstöße von Beschäftigungsgebern aufdecken wollen, dürfte das Hinweisgeberschutzgesetz eine deutliche Erleichterung darstellen. Insbesondere für kleine Unternehmen stellt das Hinweisgeberschutzgesetz jedoch eine weitere Belastung dar, weil zumindest der Verwaltungsaufwand erneut steigen dürfte. Es bleibt zu hoffen, dass die Behörden insbesondere in der Anfangszeit der Geltung dieses Gesetzes Augenmaß bei der Verhängung von Bußgeldern wegen der Nicht- oder nicht rechtzeitigen Einrichtung von internen Meldestellen walten lassen”, so Häberer abschließend in seinem Fazit.
1 Die Wahl der männlichen Bezeichnung von Personen oder Institutionen erfolgt einheitlich und ausschließlich aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung für alle Geschlechter gleich. Gemeint ist stets m/w/d.
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