Neue Studie des IMK
"Die Ergebnisse zeigen, dass ein Pro-Kopf-Klimageld alleine nicht ausreicht, um soziale Verwerfungen aus einem steigenden CO2-Preis zu vermeiden", sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des IMK. "Um die Dekarbonisierung sozialverträglich hinzubekommen, braucht man neben diesen Instrumenten ganz klar weitere Fördermaßnahmen, etwa für eine beschleunigte Sanierung von Gebäuden und den Ausbau des Personennahverkehrs, gerade auch auf dem Land. Vor diesem Hintergrund ist es sehr problematisch, dass dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nun viele Förderprogramme aus dem Klima- und Transformationsfonds zum Opfer fallen könnten."
2027 startet unter dem Namen EU-ETS2 die nächste Stufe des europäischen CO2-Emissionshandels. Statt politisch gesetzter Preise greift dann ein Marktmechanismus. Das bedeutet höhere Abgaben auf Brennstoffe wie Öl, Gas oder Benzin. Während in den Sektoren Gebäude und Verkehr aktuell nur 30 Euro pro Tonne CO2 fällig sind, rechnen Expert*innen mit bis zu 300 Euro in wenigen Jahren, wenn an die Stelle der heutigen CO2-Steuer ein Preis tritt, der sich an einer Börse für CO2-Zertifikate bildet. Um die Belastung für Privathaushalte zu mildern, plant die Bundesregierung, zumindest einen Teil der jährlichen Einnahmen aus dem Zertifikatehandel in Form einer Pro-Kopf-Pauschale an die Bürger*innen zurückzugeben. Die Idee hinter dieser Konstruktion: Durch hohe CO2-Preise sollen alle einen Anreiz zum Energiesparen haben, aber niemand soll insgesamt finanziell überfordert werden.
Ob die Rechnung in sozialer Hinsicht aufgeht, hat Lukas Endres vom IMK untersucht. Unter der Annahme, dass der Preis auf 275 Euro je emittierter Tonne CO2 steigt und alle daraus erzielten Einnahmen über eine Pauschale pro Kopf zurückgegeben werden, berechnet er die Verteilungswirkungen anhand von Daten aus der repräsentativen Einkommens- und Verbrauchstichprobe des Statistischen Bundesamts (EVS).
Im ersten Schritt kalkuliert der Forscher die Zusatzbelastungen von Haushalten verschiedener Einkommensgruppen, die mit Öl oder Gas heizen – noch ohne Anrechnung möglicher Ausgleichszahlungen. Berücksichtigt wird dabei, dass Vermieter*innen nach dem CO2-Kostenaufteilungsgesetz einen großen Teil der CO2-Kosten tragen müssen, wenn die Energieeffizienz der Wohnung zu wünschen übriglässt. Daher stehen Mieter*innen in der Regel besser da als Eigentümer*innen, die den vollen Preis zahlen müssen. Je nach Einkommen unterscheiden sich die Miet- und Eigentumsquoten stark: Im untersten, dem ersten Zehntel der Einkommensverteilung sind gerade einmal acht Prozent Eigentümer*innen ihrer Wohnräume, in der Mitte, dem fünften Einkommens-Zehntel, 51 Prozent und im obersten Zehntel 79 Prozent.
Ohne Kompensation hätten viele Haushalte mit niedrigen bis mittleren Einkommen drastische Einkommenseinbußen
Dennoch müsste nach der Modellrechnung des IMK ohne Kompensation durch das Klimageld auch im untersten Zehntel der Verteilung mehr als die Hälfte der Haushalte deutlich über zwei Prozent ihres Nettoeinkommens für CO2-Abgaben aufwenden, die für Wärmeenergie anfallen. Bis in den mittleren Einkommensbereich bleibt ohne Ausgleichszahlung "die relative Belastung sehr hoch", so IMK-Forscher Endres. So müsste im fünften Zehntel knapp ein Viertel der Haushalte mehr als drei Prozent des Nettoeinkommens ausgeben. Am oberen Ende nimmt die am Einkommen gemessene Belastung ab: Haushalte im reichsten Zehntel mit mittleren Ausgaben kommen auf ein Prozent des Nettoeinkommens.
Ähnlich, aber nicht ganz identisch, ist das Bild beim Blick auf den Verkehrssektor: Viele Haushalte mit niedrigen Einkommen können sich kein Auto leisten und sind daher von höheren Benzin- und Dieselpreisen nicht betroffen. Mit dem Einkommen steigen dann die zusätzlichen Ausgaben deutlich. Für Haushalte mit mittlerem Verbrauch wäre die Belastung im Verhältnis zum Einkommen in der Mitte der Verteilung, beim fünften und sechsten Zehntel, am höchsten. Ab dem siebten Zehntel nehmen die absoluten Ausgaben durch den CO2-Preis zwar weiter zu, relativ zum Einkommen gehen sie aber wieder zurück. "Auch im Bereich des Verkehrs ist also die Mitte der Verteilung am stärksten belastet", konstatiert Endres.
Im dritten Schritt seiner Analyse stellt der Forscher den kumulierten Belastungen durch den höheren CO2-Preis für Wärme und Mobilität die Entlastungen durch eine pauschale Ausgleichszahlung gegenüber. Mit den Daten aus der EVS kann er kalkulieren, wie viele Haushalte unter dem Strich durch eine Kompensation wirksam entlastet werden und wie viele nicht. Zudem lassen sich Profile der Haushalte beschreiben, die profitieren oder trotz Klimageld draufzahlen.
Pauschales Klimageld wirkt zum Teil – aber "wenig zielgenau"
Ergebnis: Auch mit Kompensation durch ein pauschales Pro-Kopf Klimageld hätte nach Endres´ Analyse "noch eine Vielzahl der Haushalte in Deutschland hohe Zusatzkosten durch die CO2-Bepreisung in den Sektoren Verkehr und Wärme" zu tragen. Das Konzept der Pauschale verfolgt zwar grundsätzlich einen sozialen Ansatz, und tatsächlich wird ein großer Anteil der Mieter*innenhaushalte mit geringeren bis mittleren Einkommen wirksam entlastet. So wohnen von den 20,7 Millionen Haushalten, die durch die Pauschale mehr Geld erhalten als sie für den CO2-Preis aufwenden müssen, 69 Prozent zur Miete, nur 31 Prozent sind Eigentümer*innen. Wer profitiert, lebt häufiger in kleineren und neueren Wohnungen in der Stadt, was dazu beiträgt, dass sowohl beim Heizen als auch für die Mobilität weniger CO2 ausgestoßen wird.
Doch die Abweichungen von einer sozialen "Ideallinie" bei der Verteilungswirkung sind so groß, dass der IMK-Forscher das Pro-Kopf-Klimageld letztendlich als "wenig zielgenau" bewertet. Einerseits zählen durchaus auch Haushalte aus hohen Einkommensgruppen zu den Profiteuren. Andererseits ist die Gruppe derer, die beträchtliche Einkommenseinbußen haben, schlicht sehr groß. Insgesamt würden rund 18,6 Millionen Haushalte nur ein Klimageld erhalten, das nicht ausreicht, um die zusätzlichen Kosten durch die CO2-Bepreisung zu decken. Davon müssten knapp 4,7 Millionen – das entspricht rund elf Prozent aller Haushalte in Deutschland – trotz Kompensation sogar mehr als zwei Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens für den CO2-Preis aufwenden.
70 Prozent dieser stark belasteten Haushalte sind zwar Eigentümer*innen und mit Blick auf die Einkommen gehören etliche zur oberen Mitte. Allerdings zählen auch mehr als 50 Prozent in die Einkommenszehntel eins bis sechs, sie haben also ein niedriges bis mittleres Einkommen. Nicht selten dürfte es sich um Rentner*innen handeln, die alleine in älteren Häusern auf dem Land leben und denen "oft kaum finanzielle Mittel zur Emissionsreduktion durch Sanierung oder Heizungstausch zur Verfügung stehen dürften", so Endres. Entsprechend ausgeprägt ist das Stadt-Land-Gefälle: In ländlichen Regionen fallen knapp 15 Prozent der Haushalte in die Gruppe der stark belasteten, während es in städtischen Gebieten knapp 8,5 Prozent sind.
*Lukas Endres: Verteilungswirkung der CO2-Bepreisung in den Sektoren Verkehr und Wärme mit Pro-Kopf-Klimageld. IMK Policy-Brief Nr. 161, Dezember 2023. Download: https://www.imk-boeckler.de/…
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