Trotz Booms bei Erneuerbaren Energien: Welt kommt Pariser Klimazielen kaum näher
- Ziele und Ausbau bei Erneuerbaren boomen, aber Klimapolitik in vielen Staaten verschlechtert – kein einziges Land kommt in dieser Kategorie noch auf „gut“
- Dänemark, Estland und Philippinen führen das Ranking an – Ölstaaten inklusive COP-Gastgeber Vereinigte Arabische Emirate am Ende der Rangliste
- Deutschland insgesamt leicht verbessert – Streit in der Ampel verhindert bessere Platzierung
- Brasilien gehört zu den besten Aufsteigern – Italien und Großbritannien stürzen ab
Dubai/Bonn (8. Dez. 2023). Ein zwiespältiges Bild zeichnet der heute bei der Weltklimakonferenz in Dubai veröffentlichte Klimaschutz-Index 2024: Einerseits bietet der globale Boom der Erneuerbaren Energien, Batterien, Wärmepumpen und Elektromobilität Grund zur Hoffnung. Noch nie wurden weltweit so viele Kapazitäten installiert wie 2022. Fast alle großen Volkswirtschaften setzen auf Wind, Sonne und Wasserkraft. Andererseits müsste der Anstieg exponentiell weitergehen, um die nach wie vor dominanten fossilen Energieträger zurückzudrängen. Zudem ist die Klimapolitik der meisten Staaten nicht ambitioniert genug, um dem Erreichen der Pariser Klimaziele entscheidend näher zu kommen.
„Die Regierungen setzten weniger klimapolitische Maßnahmen um und müssen viele Krisen gleichzeitig lösen. Erstmals ist in der Teilbewertung Klimapolitik kein einziges Land „gut“. Selbst Staaten mit eher besserer Klimapolitik wie Dänemark scheinen heute weiter vom Erreichen der Pariser Klimaziele entfernt zu sein als in den vergangenen Jahren“, sagt Niklas Höhne (NewClimate Institute), Co-Autor des Klimaschutz-Index. „Doch wir kommen jetzt in eine ganz entscheidende Phase: Emissionen bis 2030 müssen weltweit nahezu halbiert werden, um eine Eskalation der Klimakrise zu vermeiden. Wir müssen jetzt in den Notfallmodus schalten und den entscheidenden Beitrag dazu müssen die 63 Staaten und die EU leisten, die wir in diesem Index betrachten.“
„Die COP 28 kann eine wichtige Rolle für den notwendigen Schub beim weltweiten Klimaschutz spielen. Wir brauchen bindende Beschlüsse, die Kapazität der Erneuerbaren Energien bis 2030 global zu verdreifachen, die Energieeffizienz zu verdoppeln und zeitgleich die Treibhausgas-Emissionen um die Hälfte zu reduzieren, wobei die Verringerung der fossilen Energien den Hauptteil leisten muss. Diese Beschlüsse müssen dann aber auch von den Staaten umgesetzt werden“, ergänzt Jan Burck von Germanwatch, Co-Autor und Entwickler des Klimaschutz-Index.
Deutschland auf Platz 14: Streit in der Ampel verhindert bessere Platzierung
Deutschland hat sich mit Rang 14 im Vergleich zum vergangenen Jahr um zwei Plätze verbessert. Eine deutliche Verbesserung gelang nur beim 2030-Ziel für Erneuerbare Energien – dennoch reicht es in der Gesamtkategorie „Erneuerbare Energien“ nur für einen mittelmäßigen Platz 29. Deutschland schneidet unterm Strich in allen Kategorien mit der Bewertung „mittelmäßig“ ab und ist unter den EU-Staaten damit Sechster. Selbst bei der Bewertung der Klimapolitik, bei der Deutschland immerhin im oberen Viertel landet (15.), reicht es nur bei der internationalen Klimapolitik für ein „gut“. „Mittelmäßig“ urteilen die Expert:innen bei der nationalen Politik. Jan Burck: „Die Gründe für die eher mäßige Bewertung der nationalen Klimapolitik Deutschlands liegen vor allem in einer klimapolitisch zu schwachen Verkehrspolitik, der Abschwächung des Klimaschutzgesetzes sowie einem am Ende verwässerten Gebäudeenergiegesetz. Dies sind alles Ergebnisse der oft gegensätzlichen klimapolitischen Ambitionen innerhalb der Ampelkoalition. Positiv schlagen hingegen die neuen politischen Maßnahmen der Bundesregierung zur Beschleunigung des Erneuerbaren-Ausbaus zu Buche.“
Niederlande lösen Dänemark als Spitzenreiter in der Kategorie Klimapolitik ab
Ein Blick auf die Spitzenregion des Rankings: Aufsteiger wie Estland (5.), die Philippinen (6.) oder die Niederlande (8.) haben es geschafft, nah an den Dauer-Spitzenreiter Dänemark (4.) heran zu rücken. Die ersten drei Plätze bleiben erneut leer, weil immer noch keiner der untersuchten Staaten auf einem 1,5 Grad-Pfad liegt. Bei den Philippinen waren für den Aufstieg vor allem sehr gute Platzierungen bei Emissionen und Energieverbrauch ausschlaggebend (jeweils an der Spitze), bei Estland und den Niederlanden insbesondere das gute Abschneiden bei Erneuerbaren Energien und Klimapolitik. In letztgenannter Kategorie lösten die Niederlande sogar Dänemark als neuer Spitzenreiter ab – dennoch reichte es auch für sie in der Wertung der Klimapolitik nur für „mittelmäßig“.
Aufsteiger: Lula führt Brasilien in die obere Hälfte des Rankings
Zu den größten Aufsteigern des Jahres zählt Brasilien (von Rang 38 auf 23). Der Schwenk des neuen Präsidenten Lula zu ambitionierter Klimapolitik und insbesondere zur Eindämmung der Regenwald-Abholzung hat Brasilien bei der Klimapolitik aus dem Keller in die oberste Gruppe geführt – der größte Beitrag zum Aufstieg in der Gesamtwertung. Allerdings geben Expert:innen aus dem Land zu bedenken, dass Brasilien trotz der Fortschritte weiterhin die Produktion von Kohle, Öl und Gas ausbaut und seine Klimaziele verfehlen könnte.
Absteiger: Ehemaliger Vorreiter Großbritannien nur noch Mittelmaß nach Klima-Kehrtwende
Bei den größten Absteigern fällt neben Italien (44., minus 15) vor allem Großbritannien auf. Großbritannien gehörte bis zum vorletzten Index über Jahre immer zu den Bestplatzierten im Klimaschutz-Index, stürzt nun von Platz 11 auf 20 ab. „Das ist vor allem Folge der Klima-Wende des neuen Premiers Sunak“, kommentiert Thea Uhlich von Germanwatch. „Nachdem Sunak mehrere zentrale Teile der zuvor ambitionierteren Klimapolitik abgeschwächt hat, ist das Land bei der Bewertung der nationalen Klimapolitik um 28 Plätze ins untere Viertel abgestürzt. Zudem will Sunak die Kohle- und Ölförderung sogar ausbauen. Auch bei den Erneuerbaren Energien rangiert Großbritannien nur noch im Bereich „schwach“. Setzt sich diese Entwicklung so fort, ist mit einem weiteren Abstieg Großbritanniens zu rechnen.“
EU uneinheitlich – G20 überwiegend schwach bis sehr schwach
Sieben EU-Staaten liegen beim Index im Bereich „gut“, sieben weitere im mittelmäßigen Bereich. Dänemark (4.), Estland (5.) und die Niederlande (8., in drei von vier Kategorien verbessert) können eine Vorreiter-Rolle für sich reklamieren. Auch die EU als Ganzes hat sich etwas verbessert und rangiert knapp in „gut“. Hier macht sich vor allem das „Fit for 55“-Paket positiv bemerkbar, auch wenn die Klimapolitik-Expert:innen des Index bemängeln, dass das Klimaziel für 2030 zu niedrig gesetzt sei. Zudem habe die EU deutliche Defizite bei der Verringerung des Energieverbrauchs. EU-Schlusslicht ist erneut Polen (55.), als einziges EU-Land in der Gesamtwertung in der Gruppe „sehr schwach“. Hier sehen die Expert:innen allerdings unter einer voraussichtlich neuen Regierung Chancen auf Besserung. Nur wenige Plätze über Polen liegen Tschechien (52.), Ungarn (49.) und – stark abgerutscht – Bulgarien (46.), Italien (44., in Kategorie Klimapolitik um 30 Plätze abgestürzt) sowie Irland (43.).
Bei den G20-Staaten – verantwortlich für rund 80 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen – liegen nur Indien (7.), Deutschland und die EU im oberen Bereich. Sieben G20-Staaten rangieren hingegen unter „sehr schwach“, weitere acht unter „schwach“. In diesen Bereichen liegen auch die beiden größten Emittenten China (51., unverändert) und USA (57., leicht verschlechtert).
USA und China schwach – aber ermutigende Trends
Die USA, schneiden weiterhin bei Emissionen, Energieverbrauch und Erneuerbaren schlecht ab. Die Klimapolitik-Expert:innen loben aber die klimapolitische Wirkung von Bidens „Inflation Reduction Act“, der zu deutlich größeren Investitionen in Erneuerbare Energien und Energieeffizienz geführt habe.
China schneidet weiterhin vor allem bei Emissionen (62.) und Energieverbrauch (61.) sehr schwach ab. Spannend ist jedoch der Trend bei den Erneuerbaren Energien – hier gehört China zur Spitzengruppe (9.). Das Land übertrifft seine selbst gesetzten Ziele bei Wind und Solar sowie beim Verkauf von E-Autos auf dem heimischen Markt. Dennoch ist der Kohleverbrauch noch immer hoch. Der Trend bei den Erneuerbaren zusammen mit ebenfalls langsam sichtbaren Verbesserungen bei der Energieeffizienz vermitteln jedoch die Hoffnung, dass China im kommenden Jahr den Höhepunkt bei der Kohlenutzung erreichen und danach ein Zurückfahren einsetzen könnte.
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Gastgeber der diesjährigen Klimakonferenz, belegt den drittletzten Platz (65). Verantwortlich dafür sind die hohen Pro-Kopf-Emissionen (rund 26 Tonnen) und ein Anteil von weniger als einem Prozent erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch. Auf dem vorletzten und letzten Platz des Rankings befinden sich mit Iran (Platz 66) und Saudi-Arabien (Platz 67) zwei weitere Ölstaaten.
Die wichtigsten Ergebnisse des Klimaschutz-Index 2024: https://ccpi.org/download/climate-change-performance-index-2024-die-wichtigsten-ergebnisse
Hintergrund zum Klimaschutz-Index:
Der von Germanwatch und NewClimate Institute veröffentlichte Klimaschutz-Index (Climate Change Performance Index, CCPI) ist eine Rangliste von 63 Ländern plus EU gesamt, die zusammen für mehr als 90 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Neu dabei sind Nigeria, Pakistan, Usbekistan und COP-Gastgeber Vereinigte Arabische Emirate. Die vier bewerteten Kategorien sind: Treibhausgasemissionen (40%), Erneuerbare Energien (20%), Energieverbrauch (20%) und Klimapolitik (20%). Letztere basiert auf Expert:inneneinschätzungen von Organisationen und Think Tanks aus den jeweiligen Ländern. In diesem Jahr haben den Index ca. 450 Expert:innen unterstützt. Innerhalb der Kategorien Emissionen, Erneuerbare Energien und Energieverbrauch bewertet der Index auch, inwieweit die Länder angemessene Maßnahmen ergreifen, um auf einen Pfad zu gelangen, der mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar ist. Damit ist der Klimaschutz-Index ein wichtiges wissenschaftliches Instrument, das die Transparenz in der internationalen Klimapolitik erhöht und einen Vergleich der Klimaschutzbemühungen der einzelnen Länder ermöglicht. Er wird seit 2005 jährlich veröffentlicht.
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