Evaluation der Umsatzsteuer-Kampagne: Denkfabrik sieht deutlichen Verbesserungsbedarf bei Strategie, Mobilisierung und Tonalität
Vor dem Hintergrund, dass der Steuersatz auf Speisen Anfang 2024 wieder auf 19 Prozent anstieg, hat die Denkfabrik die Umsatzsteuerkampagne des vergangenen Jahres umfassend evaluiert und eine Reihe von Handlungsempfehlungen und Verbesserungsvorschlägen ausgearbeitet. „Wenn der Hospitality schmerzhaft einige Milliarden Euro verloren gehen, sollten wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern müssen – wie in jedem Unternehmen – die eigenen Aktivitäten kritisch reflektieren und aus Fehlern lernen. Denn eines steht fest: Landwirte und Lufthansa haben in den vergangenen Wochen bewiesen, dass sie (mit unterschiedlichen Strategien) kurzfristig finanzrelevante Lobbyerfolge erzielen konnten, während die Gastronomie mal wieder mit leeren Händen dasteht“, so Klinge.
Ungünstige Ausgangsbedingungen für „Dauerentfristung“
In einem ersten Analyseschritt haben sich die DZG-Experten die Ausgangslage der Kampagne genauer angeschaut und kommen mit Blick auf den politischen und haushälterischen Gesamtrahmen zu dem Schluss, dass das Ziel, die Umsatzsteuer auf Speisen von einer temporären Krisenhilfe in eine dauerhafte Unterstützung der Gastronomie zu überführen, von Beginn an schwer zu erreichen war. „Aus heutiger Sicht beziffern wir die Chancen, dieses Anliegen erfolgreich umzusetzen, auf unter zehn Prozent. Das heißt, dass es im vergangenen Jahr de facto kein realistisches Szenario gab, eine dauerhafte Reduzierung umzusetzen, solange die Ampel-Parteien das Thema intern nicht höher priorisieren. Warum haben wir in dann aber alles auf diese eine Karte gesetzt“, fragt der Denkfabrik-Sprecher.
Der immer wieder „leise“ diskutierte Alternativvorschlag, zehn Prozent auf alle Speisen, hätte aus DZG-Sicht ab Sommer 2023 eine neue positive Dynamik entfachen und der Ampel branchenseitig ein konstruktives Entgegenkommen signalisieren können. „‚Alles-oder-Nichts-Strategien sind in der Politik selten eine gute Idee. Außerdem liegt der – gerne angeführte – Umsatzsteuersatz auf Speisen in der EU bei über elf Prozent im Schnitt. Da auch Politiker rechnen können und diese Daten bekannt waren, hat uns die Maximalforderung von dauerhaft sieben Prozent argumentativ immer wieder in die Defensive gebracht“.
Zu schwache Mobilisierung auf Bundesebene
Laut Analyse kränkelte die Umsatzsteuer-Kampagne auch an einer schlechten Mobilisierung auf Bundesebene. „Positiv war, dass insbesondere die DEHOGA-Landesverbände kontinuierlichen Druck auf die Abgeordneten in den jeweiligen Wahlkreisen ausgeübt und damit ein grundsätzliches Verständnis und weitgehende Zustimmung für eine mögliche Verlängerung der Umsatzsteuer-Reduzierung erreicht haben. Auch gelang es, viele Städte und Kommunen sowie einige Landesregierungen für unser Thema zu aktivieren. Im politischen Berlin und in den sozialen Medien gelang das hingegen nur unzureichend. Wenn zu wichtigen Demonstrationen gerade einmal 150 Menschen kommen, sollte uns das alle zum Nachdenken bringen“, bilanziert Klinge. Erschwerend war es offenbar nicht möglich, frühzeitig ein breites Bündnis der im Lobbyregister registrierten 82 Gastwelt-Organisationen und 29 Gastwelt-Unternehmen zu schmieden. Eine solche „Koalition“ sei aber zwingend notwendig, um ausreichend politischen Handlungsdruck im Bund zu erzeugen, betonen die Autoren des Papiers.
Nächste Chance auf Umsetzung in 2026
Wie geht es nun weiter? Klinge formuliert es so: „Der nächste realistische Anlauf, Mehrheiten für eine (dauerhafte) Umsatzsteuersenkung auf Speisen zu erhalten, ist aus unserer Sicht Januar 2026, also nach der nächsten regulären Bundestagswahl. Dazu ist es notwendig, nun ausreichend finanzielle wie organisatorische Ressourcen in einer eigenständigen Kampagnenorganisation zu bündeln und dieses Projekt im zweiten Quartal 2024 zu starten. In einem ersten Schritt müssen wir gezielt daran arbeiten, das Umsatzsteuer-Thema endlich in die Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD und FDP zu bringen“.
Der Politikexperte plädiert außerdem für einen anderen Umgangston: „Mit der jüngsten Krawall-Kommunikation erreichen wir nichts, auch wenn es manchmal schwierig fällt, ruhig zu bleiben. Die Regierung ist nicht unser Gegner, sondern ein Verbündeter, den wir überzeugen und von unseren Anliegen begeistern müssen. Die Gastronomie braucht für 2026 daher jetzt einen neuen Plan, den Schulterschluss aller relevanten Akteure auf Augenhöhe und modernere Kampagnenstrukturen“, betont Klinge.
Die Evaluierung der Umsatzsteuerkampagne 2023 (PDF-Datei) erhalten Sie kostenfrei über folgenden Link: https://bit.ly/umsatzsteuer23
Die Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG) ist der erste Thinktank der Tourismus-, Hospitality- und Foodservice-Industrie (Gastwelt) in Deutschland. Die Organisation setzt sich für eine bessere politische Wahrnehmung und Sichtbarkeit in Berlin ein, kämpft für ein eigenes Bundesministerium und zeigt mit Studien, Umfragen und Kampagnen die Systemrelevanz von über 240 000 Gastwelt-Betrieben auf. Die 2021 gegründete DZG vernetzt dafür Politik, Verbände und hochkarätige Vertreter*innen aller Gastwelt-Wertschöpfungssektoren (wie z.B. Radeberger Gruppe, Deutsche Bahn, Unilever Food, Motel One, Transgourmet, Metro, Center Parcs, Dorint, Bioland, Dussmann, Gerolsteiner, Centro Hotels, Unilever Food, Best Reisen, Rational, Ecolab, Bayern Tourismus). Der interdisziplinäre Thinktank kümmert sich inhaltlich um strategische Zukunftsthemen – wie Mitarbeitergewinnung, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Ernährungswende – und entwickelt praxisnahe Maßnahmen zur effektiveren Krisen-Bewältigung. Die DZG-Mitgliedsunternehmen beschäftigen zusammen über 650 000 Mitarbeitende in allen Regionen Deutschlands. Finanziert und getragen wird die Denkfabrik vom Verein Union der Wirtschaft e.V. +++ www.zukunft-gastwelt.de
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