Der weite Weg zum Medikament
Die gute Nachricht: Der Apothekenumsatz wächst und das trotz vieler Schließungen: „Das Apothekensterben führt damit paradoxerweise zu einem steigenden Umsatz pro Apotheke“, erklärt Thomas Heil mit Verweis darauf, dass der Apothekenmarkt insgesamt im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs von rund 6% erreichte. Dabei wuchsen verschreibungspflichtige Arzneimittel und die rezeptfreien Produkte („Consumer Health“) im gleichen Maße. Die rezeptfreien OTC-Arzneimittel profitierten dabei von einem starken Wachstum der Erkältungsmittel. Diese erreichten zwar nicht ihr vorjährliches, historisches Hoch von über 100 Mio. Euro Umsatz in einer Kalenderwoche, sie lagen aber in der Spitze mit rund 80 Mio. Euro deutlich über ihrem langjährigen Mittelwert von 50 Mio. Euro Umsatz/ Woche. Allein die Präparate gegen Schnupfen wuchsen im Gesamtjahr 2023 mit rund 20%, Produkte gegen Bronchitis-Symptomatiken um 18% gegenüber Vorjahr. Und wenngleich ein Teil dieses Wachstums auch auf Preiserhöhungen zurückzuführen ist, so sind die Produkte beliebt bei Einkauf in der Offizin-Apotheke vor Ort. Denn hier wird der Großteil dieser Medikamente eingekauft.
Doch diese Option scheint für die Patienten derzeit in Gefahr. Die Vor-Ort-Apotheken sind schon seit Jahren von einem Apothekensterben betroffen, das in den europäischen Nachbarstaaten nicht zu beobachten ist. Nur in Deutschland wird schon heute mehr als jedes fünfte rezeptfreie Medikament in einer Online-Apotheke gekauft. Grund ist unter anderem, dass die deutsche Bevölkerung besonders preissensibel ist. Folglich ist die Historie im Versandhandel lang und die zugehörige Logistik ist in der Lage, Arzneimittel relativ schnell auszuliefern. Längere Wege zur nächsten Vor-Ort-Apotheke verstärken diesen Trend zusätzlich.
Interessanterweise bedeutet eine Schließung aber nicht automatisch, dass der Weg zur nächsten Apotheke auch deutlich länger wird. Denn: „In größeren Städten gibt es meist ausreichend viele nahe gelegene Alternativen. In den letzten fünf Jahren, so betont Thomas Heil, hat sich für 97% der Bevölkerung die Distanz zur Vor-Ort-Apotheke nicht verändert. Für knapp 0,4 % der Bevölkerung hat sich die Distanz zur nächsten Apotheke durch Neueröffnungen sogar verringert.
„Weitere Wege treten speziell in weniger besiedelten Gebieten auf“, so Thomas Heil weiter. Am Beispiel des schwäbischen Esslingens, wo in den letzten 5 Jahren fast die Hälfte aller Apotheken geschlossen wurden, kann beobachtet werden, dass dies für die Anwohner lediglich zu einer Erhöhung des Weges um maximal einen Kilometer geführt hat. Im Schnitt laufen die Kunden nur 70 Meter weiter als früher. Dennoch: Auch wenige Hundert Meter, oder im schlimmsten Fall ein Kilometer, sind für Personen mit eingeschränkter Mobilität oftmals eine Hürde.
Insgesamt sind deutschlandweit rund 2,4% der Bevölkerung im Vergleich zum Jahr 2018 nun von längeren Wegen betroffen. Sie leben zumeist in den weniger urbanen Regionen. Von diesen knapp 2 Mio. Personen hatte der Großteil weniger als einen Kilometer zur nächsten Vor-Ort-Apotheke zurücklegen müssen und hat jetzt teilweise deutlich längere Entfernungen. Für 4.500 Personen hat sich die Situation besonders dramatisch verändert, da sie jetzt mehr als 10 Kilometer Luftlinie von der nächsten Apotheke entfernt wohnen.
Für insgesamt knapp 500.000 Personen ist die Entfernung zur nächsten Apotheke im Vergleich zum Jahr 2018 erheblich angestiegen. Apothekenschließungen führen also dazu, dass jetzt schon rund 19,5 Millionen Menschen in Deutschland mehr als 2 Kilometer Luftlinie von der nächsten Apotheke entfernt wohnen, und rund 3,9 Millionen mehr als 5 Kilometer, was gerade für ältere Patientinnen und Patienten ohne fahrbaren Untersatz eine erhebliche Herausforderung darstellt.
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