Leben und Sterben um jeden Preis? Tagung der ALfA gibt Antworten – Kaminski: Legalisierung von Euthanasie und Leihmutterschaft führen zur Dehumanisierung der Gesellschaft
„Es ist Tradition bei der Aktion Lebensrecht für Alle, ALfA e.V., die jährliche Bundesdelegiertenversammlung zur Regelung der Vereinsinterna mit einer Gelegenheit zur Weiterbildung zu verbinden. Doch noch nie war die vorgeschaltete Fachtagung derart international besetzt wie in diesem Jahr. Die Zusammenschau der verschiedenen Perspektiven, die die hochkarätigen Referenten dabei jeweils entfalteten, war für viele der mehr als hundert Teilnehmer ein einmaliges Erlebnis und insofern auch etwas sehr Besonderes“, lobte die Bundesvorsitzende der ALfA, Cornelia Kaminski.
Das Lebensende nahm am Samstagvormittag Alex Schadenberg, Geschäftsführender Direktor der kanadischen Lebensschutzorganisation „Euthanasia Prevention Coalition“ in den Blick. Anhand zahlreicher Fallbeispiele verdeutlichte Schadenberg die Situation in Kanada. In dem Land, das 2015 die „MAiD“ (Medical Aid in Dying) genannte Euthanasie legalisiert und seitdem mehrfach liberalisiert hatte, stürben heute mehr Menschen durch die tödlichen Spritzen von Ärzten als in den Niederlanden, die die Euthanasie bereits 2001 eingeführt hatten. Hauptmotiv für das Nachsuchen um Euthanasie sei in Kanada keineswegs eine unheilbare Erkrankung der Betroffenen, sondern vor allem Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit.
Im Anschluss schilderte Henk Reitsema von der Lebensrechtsorganisation „End of Life Care Europe“ die Entwicklung die Euthanasie, die diese seit ihrer Liberalisierung im Jahr 2001 dort genommen hat. In den Niederlanden, das als erstes Land in Westeuropa mit der 2500 Jahre alten hippokratischen Tradition gebrochen habe, seien sowohl die Tötung auf Verlangen als auch der assistierte Suizid legal. Zudem machten immer mehr Ärzte von der Möglichkeit der „Terminalen Sedierung“ Gebrauch, bei der der Patient in einen Tiefschlaf versetzt wird, aus dem er nicht mehr aufwacht. In den Niederlanden sind daher mittlerweile 30 % aller Todesfälle auf die Verabreichung von todbringenden Medikamenten zurückzuführen. Reitsema verlor seinen Großvater durch Euthanasie.
Der Schweizer Psychiater Dr. med. Raimund Klesse zeigte am Beispiel der Schweiz, welche Folgen es hat, wenn Euthanasie gesellschaftsfähig wird. So lasse sich in Pflegeheimen, die den assistierten Suizid in ihren Häusern erlaubten, nicht nur ein „Werther-Effekt“ beobachten. Auch die Pflege-, Betreuungs- und Behandlungsqualität verschlechterten sich. Beides führe zu einer Zerstörung des Vertrauens in die Institution und ihre Mitarbeiter.
Den Schlusspunkt setzte Dr. phil. Elisabeth Jentschke, Leiterin der Abteilung Neuropsychologie am Universitätsklinikum Würzburg und Vorsitzende des dortigen klinischen Ethikkomitees. Sterbewünschen entstünden, wenn Würde für die Betroffenen nicht erfahrbar würde. In ihren Ausführungen zeigte Jentschke anhand zahlreicher Beispiele auf, wie eine „würdezentrierte“ Therapie und Pflege am Lebensende gelingen kann und Patienten durch Einbindung und Teilhabe, Achtung der Privatsphäre, individuelle Ansprache und wertschätzende Kommunikation das Gefühl von Würde vermittelt werden kann.
Am Abend zuvor hatte die Publizistin und Bestseller-Autorin Birgit Kelle mit den Teilnehmern Ergebnisse ihrer Recherchen für ihr aktuelles Buch („Ich kauf mir ein Kind – das unwürdige Geschäft mit der Leihmutterschaft“) geteilt. Seriösen Schätzungen zufolge werde der völlig ungeregelte und unkontrollierte, privatwirtschaftlich organisierte Markt binnen zehn Jahren von derzeit rund 16 Milliarden Euro auf rund 130 Milliarden Euro wachsen. Eine weltweite Ächtung sogenannter Leihmutterschafts-Arrangements, bei denen Frauen zu „Brutkästen“ und Kinder zu „Waren“ degradiert würden, sei der einzige Weg, diese „neue Form der Sklaverei“ zu stoppen.
Bei der anschließenden Diskussion nahm neben Kelle als Überraschungsgast auch die österreichische Bloggerin und Roman-Schriftstellerin Maria Schober („Leonie – Bis die Morgenröte kommt“) auf dem Podium Platz. Im Gespräch mit der ALfA-Bundesvorsitzenden Kaminski lobten die beiden Publizistinnen unter anderem die jüngste Resolution des Europäischen Parlaments, in welcher die Leihmutterschaft als Menschenhandel verurteilt wird sowie die „Casablanca-Deklaration“ zur weltweiten Ächtung von Leihmutterschaft.
Kaminski zeigte sich im Anschluss mit dem Verlauf der Fachtagung, für deren Teilnahme die Landesärztekammer Hessen fünf Fortbildungspunkte vergab, sehr zufrieden: „Informationen aus erster Hand von gleich drei Staaten zu bekommen, die mit der Legalisierung der Euthanasie früh begonnen haben und weit vorangeschritten sind, ist schon etwas sehr Besonderes. Vor allem aber macht es eines ganz deutlich: die hierzulande weit verbreitete Annahme, Ausnahmen vom Tötungsverbot ließen sich trennscharf und restriktiv regeln, ist eine Illusion. Die schiefe Ebene ist kein Hirngespinst, es gibt sie wirklich. Und sie kennt nur eine Richtung: Sie führt ebenso wie die Leihmutterschaft unweigerlich zur Dehumanisierung ganzer Gesellschaften. Das ist der Preis, den wir für beides zahlen.“
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