Forschungsförderung 2023: Bekanntgabe der geförderten Multiple Sklerose-Projekte
Bizentrische Untersuchung von Schlafstörungen als Ursache und therapeutischer Ansatz für Fatigue und kognitive Beeinträchtigungen bei Multipler Sklerose (Original: Bicentric evaluation of sleep disorders as a cause and therapeutic approach for fatigue and cognitive impairment in Multiple Sclerosis) Antragstellerin: Carolin Balloff (Universität Düsseldorf und Kliniken Maria Hilf, Mönchengladbach), Förderhöhe 187.410,00 Euro, Dauer 24 Monate vom 01.08.2024 bis 31.07.2026).
Fatigue ist ein häufiges Symptom der MS und beschreibt eine extreme körperliche und/oder geistige Erschöpfung, die das Leben der Betroffenen stark beeinträchtigen kann. Die Wirksamkeit aktueller Therapien ist bislang begrenzt. Eine mögliche Ursache sind Schlafstörungen, die bei MS-Erkrankten oft vorkommen und auch bei Menschen ohne MS Fatigue verursachen können. Der Zusammenhang von Schlafstörungen und Fatigue wurde bisher jedoch häufig ausschließlich mithilfe von Selbsteinschätzungen der Schlafqualität durch die Erkrankten untersucht. Dies ist problematisch, da sich die objektive und subjektive Bewertung der Schlafqualität oft erheblich unterscheidet. Die Polysomnographie ist ein Verfahren zur objektiven Messung verschiedener Schlafparameter und gilt als Goldstandard in der Schlafmedizin. Bislang wurde sie jedoch selten zur Untersuchung von Schlafstörungen bei MS eingesetzt. Entsprechend ist unklar, wie häufig und wie stark Schlafstörungen zu Fatigue bei MS beitragen und wie Schlafstörungen unterschiedliche Arten von Fatigue (geistige versus körperliche) beeinflussen.
Es gibt Hinweise darauf, dass Schlafstörungen bei Menschen mit MS mit kognitiven Beeinträchtigungen zusammenhängen. Ob die Schlafstörungen selbst, die daraus resultierende Fatigue oder andere Faktoren die kognitiven Beeinträchtigungen verursachen, ist jedoch nicht bekannt. Ziel dieses Projektes ist es, die Häufigkeit und Art von Schlafstörungen bei Menschen mit MS und Fatigue mittels Polysomnographie zu untersuchen und deren Zusammenhang mit kognitiven Beeinträchtigungen zu erforschen. Außerdem soll die Auswertung der Polysomnographie durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) vereinfacht werden, damit dieses Verfahren zukünftig häufiger in der Versorgung von Menschen mit MS und der Evaluation von Therapieansätzen eingesetzt werden kann. An der Studie können Menschen mit schubförmig-remittierender MS (RRMS) und Fatigue teilnehmen, die sich im Universitätsklinikum Düsseldorf oder den Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach vorstellen. Alle Teilnehmenden werden neurologisch und neuropsychologisch untersucht, inklusive Fragebögen zu Fatigue, subjektiver Schlafqualität, Tagesschläfrigkeit, Depression und Angst. Zudem erhalten sie an zwei aufeinanderfolgenden Nächten im neurologischen Schlaflabor der Kliniken Maria Hilf eine Polysomnographie zur objektiven Bewertung der Schlafqualität. Zunächst wird untersucht, wie häufig verschiedene Schlafstörungen bei Menschen mit RRMS und Fatigue auftreten und ob sich die Schwere der Fatigue zwischen Erkrankten mit und ohne Schlafstörungen unterscheidet. Anschließend wird der Einfluss der Schlafstörungen auf die kognitiven Fähigkeiten von Menschen mit RRMS und Fatigue genauer untersucht. Die Gruppe der teilnehmenden Menschen mit RRMS und Fatigue wird hierfür abhängig vom Vorhandensein einer Schlafstörung in zwei Gruppen unterteilt. Diese beiden Gruppen werden sowohl miteinander als auch mit einer Kontrollgruppe ohne MS hinsichtlich ihrer kognitiven Fähigkeiten verglichen. Diese Studie wird dazu beitragen, das Verständnis der Rolle von Schlafstörungen bei Menschen mit RRMS mit Fatigue zu verbessern. Daraus ergeben sich möglicherweise neue Therapieansätze, die zukünftig mittels Künstlicher Intelligenz einfacher evaluiert werden können.
Die Rolle des Kleinhirns bei der Entwicklung der Fatigue oder längsschnittliche Charakterisierung der mikrostrukturellen Kleinhirnmerkmale bei durch Multiple Sklerose bedingter Müdigkeit (Original: Bridging the gap: Longitudinal characterization of microstructural cerebellar features in multiple sclerosis fatigue) Antragstellerin: Dr. Dr. Marlene Tahedl, 157.419,00 Euro, Dauer 24 Monate vom 01.08.2024 bis 31.07.2026).
Fatigue ist eines der häufigsten und belastendsten Symptome bei der MS. Bei Fatigue handelt sich um ein heterogen definiertes Konzept, das Erschöpfung sowohl auf körperlicher als auch auf kognitiver Ebene beschreibt. Die individuelle Ausprägung von Fatigue ist sehr unterschiedlich, aber allen betroffenen Patienten ist eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität gemeinsam. Erschwerend kommt hinzu, dass es an standardisierten Diagnoseinstrumenten und Behandlungsstrategien zu Fatigue mangelt. Die Entwicklung von Behandlungsstrategien erfordert in erster Linie ein gründliches Verständnis der Entstehungsmechanismen der Fatigue. Derzeit existieren jedoch zahlreiche theoretische Modelle zu den zugrundeliegenden Mechanismen von Fatigue. Dazu gehören (1) Erschöpfung der motorischen Verarbeitungseinheiten des Gehirns, (2) Dysregulation des Belohnungszyklus sowie (3) kostenintensive funktionelle Reorganisation der durch Läsionen geschädigten Gehirnnetzwerke. Die Arbeitshypothese dieses Projekts ist, dass diese drei konkurrierenden Theorien durch die Berücksichtigung einer diffusen Schädigung des Kleinhirns zusammengeführt werden können. Das Kleinhirn oder Zerebellum“ ist eine anatomisch komplexe Struktur, die sich direkt unter dem „Großhirn“ und über der Nackenregion befindet (Abb. 1). Traditionell sind die Aufgaben des Kleinhirns v.a. mit der Steuerung motorischer Koordination assoziiert. Dank technologischer Verbesserungen in der Magnetresonanztomographie (MRT) kann das Kleinhirn heute aber viel genauer auf strukturelle Veränderungen untersucht werden. So beschreiben jüngere MRT-Forschungsergebnisse eine bedeutende Rolle des Kleinhirns zu allen drei oben beschriebenen theoretischen Modellen zur Entwicklung von Fatigue. In Bezug auf Modell 3 haben wir in unseren eigenen Arbeiten, die in den Jahren zuvor ebenso durch die Unterstützung der DMSG durchgeführt werden konnten, den Nachweis erbracht, dass das Kleinhirn eine entscheidende Rolle bei der Reorganisation funktioneller Gehirnnetzwerke spielt, was in Zusammenhang mit der Erholung nach einem Schub steht. Wir glauben, dass die Berücksichtigung mikrostruktureller Veränderungen des Kleinhirns aufgrund seiner zentralen Rolle bei den konkurrierenden Theorien zur Entstehung von Fatigue das fehlende Glied sein kann, sodass wir mit diesem Projekt zu einer einheitlichen biologischen Theorie zur Entstehung von Fatigue beitragen wollen – eine Voraussetzung zur Entwicklung effektiver Diagnose- und Therapiestrategien. Um diese Frage zu klären, ist eine gründliche Untersuchung verschiedener Gewebseigenschaften und -veränderungen des Kleinhirns über die Zeit erforderlich, die im Zusammenhang mit der Entstehung und Entwicklung von Fatigue untersucht werden. Dafür analysieren wir qualitativ hochwertige MRT-Daten vieler Tausender MS-Patienten mit mehreren Nachuntersuchungen von bis zu drei Jahren. Wir verwenden modernste MRT-Verarbeitungsmethoden, die wir in früheren Arbeiten eingesetzt und auch selbst optimiert haben. So können wir sowohl Veränderungen der Kleinhirnrinde – dem Sitz der Neuronen-Zellkörper – und Veränderungen des Kleinhirnmarklagers – dem Sitz der Nervenbahnen – erkennen und Zusammenhänge mit der Entstehung und Entwicklung von Fatigue untersuchen. Das Projekt wird in einem sehr unterstützenden Umfeld mit einem starken Fokus auf MS-Forschung an der Technischen Universität (TU) München durchgeführt, in Kooperation der dortigen Neuroradiologie und Neurologie. Kurz zusammengefasst verfolgt unsere Forschung die gründliche Untersuchung eines spannenden – bis dato wenig berücksichtigten, aber möglicherweise entscheidenden – Merkmals in der Entwicklung von Fatigue, nämlich strukturellen Veränderungen des Kleinhirns. Mit unseren Ergebnissen können wir dazu beitragen, einen weiteren Konsens über die zugrundeliegenden Mechanismen der Fatigue zu erreichen und so den Weg für die Entwicklung neuer Diagnose- und Behandlungsstrategien zu ebnen.
Der DMSG-Bundesverband wünscht beiden Wissenschaftlerinnen einen guten Projektstart. Die DMSG-Forschungsförderung für Einzelprojekte 2023 wurde von zahlreichen privaten Spendern und jeweils zu gleichen Teilen (35.000 Euro) unterstützt von Bristol Myer Squibb GmbH & Co. KGaA, Merck Serono GmbH, Novartis Pharma GmbH, Roche Pharma AG, Sanofi Aventis GmbH, Viatris Healthcare GmbH.
Der DMSG-Bundesverband e.V., 1952/1953 als Zusammenschluss medizinischer Fachleute gegründet, vertritt die Belange Multiple Sklerose Erkrankter und organisiert deren sozialmedizinische Nachsorge.
Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft mit Bundesverband, 16 Landesverbänden und derzeit mehr als 750 örtlichen Kontaktgruppen ist eine starke Gemeinschaft von MS-Erkrankten, ihren Angehörigen, 4.186 engagierten ehrenamtlichen Helfern und 251 hauptberuflichen Mitarbeitern. Insgesamt hat die DMSG rund 42.000 Mitglieder.
Mit ihren umfangreichen Dienstleistungen und Angeboten ist sie heute Selbsthilfe- und Fachverband zugleich, aber auch die Interessenvertretung MS-Erkrankter in Deutschland. Schirmherr des DMSG-Bundesverbandes ist Christian Wulff, Bundespräsident a.D.
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems (Gehirn und Rückenmark), die zu Störungen der Bewegungen, der Sinnesempfindungen und auch zur Beeinträchtigung von Sinnesorganen führt. In Deutschland leiden nach Zahlen des Bundesversicherungsamtes mehr als 240.000 Menschen an MS. Trotz intensiver Forschungen ist die Ursache der Krankheit nicht genau bekannt.
MS ist keine Erbkrankheit, allerdings spielt offenbar eine genetische Veranlagung eine Rolle. Zudem wird angenommen, dass Infekte in Kindheit und früher Jugend für die spätere Krankheitsentwicklung bedeutsam sind. Welche anderen Faktoren zum Auftreten der MS beitragen, ist ungewiss. Die Krankheit kann jedoch heute im Frühstadium günstig beeinflusst werden. Deutschlandweit sind schätzungsweise 280.000 Menschen an Multipler Sklerose erkrankt, weltweit etwa 2,8 Mio. Menschen.
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