Hat das Solidaritätsversprechen keine Bedeutung mehr?
Rainer Knoob, Vorstandsvorsitzender der AUB, erklärt dazu: „Mit dem Solidaritätsversprechen, das eigentlich zur DNA von Gewerkschaften gehören sollte, hat eine derartige Denkweise aus meiner Sicht nichts mehr zu tun. Wir bestehen als AUB klar darauf, dass die Ergebnisse von Tarifverhandlungen nicht nur für ausgewählte Personengruppen gelten können. Insbesondere bei Haus-Tarifverträgen, bei denen der Betriebsrat noch nicht mal einen Anspruch hat, bei den Verhandlungen dabei zu sein, ist diese Praxis absolut ungerecht.“
Massive Ungleichbehandlung droht
Die Beispiele für das fragwürdige Vorgehen der Gewerkschaften häufen sich in jüngster Zeit, so Knoobs Einschätzung. Zuletzt hatte etwa die IGBCE Anfang April 2024 zum Start der regionalen Tarifverhandlungen in der Chemieindustrie eine Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern gefordert – ein Vorschlag, den nicht nur die Arbeitgeberseite klar zurückwies. „Wenn man bedenkt, dass laut offiziellen Statistiken gerade einmal jeder sechste Arbeitnehmende überhaupt noch Mitglied einer Gewerkschaft ist, zeigt dies, dass es den Gewerkschaften nicht um die Interessen der Gesamtbelegschaften geht, sondern offenbar um Mitgliederwerbung. Und diese Ungleichbehandlung droht unweigerlich auch zu einer Spaltung in vielen Belegschaften zu führen“, so Rainer Knoob weiter.
Tarifverhandlungen für alle
Zudem steht dieses Vorgehen nach seinen Worten im Widerspruch zum Alleinvertretungsanspruch der Gewerkschaften: „Wenn lediglich Gewerkschaften die Seite der Arbeitnehmenden bei Tarifverhandlungen vertreten dürfen, haben sie die Interessen der Gesamtbelegschaft zu berücksichtigen – nicht nur die ihrer Mitglieder.“
Betriebsfrieden in Gefahr
Neben dieser grundsätzlichen Kritik führt Rainer Knoob weitere fragwürdige Aspekte an: „Die betroffenen Arbeitnehmenden müssten gegenüber ihrem Arbeitgeber offenlegen, dass sie Mitglied einer Gewerkschaft sind, um tatsächlich von bestimmten Vorteilen und Regelungen zu profitieren – aber möchte wirklich jeder, dass der Arbeitgeber diesen Status kennt? Das dürfte auch zu arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen führen und den Betriebsfrieden erheblich beeinträchtigen. Das kann doch niemand wollen!“
Grundlagen des Tarifrechts
Zum Hintergrund: Voraussetzung für einen Anspruch auf tarifliche Leistungen ist die Tarifgebundenheit beider Parteien. Der Arbeitgeber muss Mitglied im entsprechenden Arbeitgeberverband sein, der Arbeitnehmer Mitglied in der entsprechenden Gewerkschaft, die den Tarifvertrag abgeschlossen hat. Weil das gesetzlich so vorgesehen ist, werden häufig in der Praxis auch den nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmenden tarifliche Leistungen gewährt. Rechtsgrundlage ist dann die individuelle arbeitsvertragliche Vereinbarung, in der auf den Tarifvertrag Bezug genommen wird.
Arbeitgeber gewähren in den meisten Fällen zur Sicherung des Betriebsfriedens, für ein Gleichgewicht zwischen Entgelt und Leistung im Betrieb oder Unternehmen sowie angesichts des bestehenden Fachkräftemangels Arbeitnehmenden des Betriebes das gleiche Entgelt für die gleiche Tätigkeit – unabhängig von der Gewerkschaftszugehörigkeit.
Diese Praxis versuchen Gewerkschaften, insbesondere die IGBCE, durch sogenannte Differenzierungs- oder Sperrklauseln in Tarifverträgen auszuhebeln, indem sie bei Tarifabschlüssen bestimmte Leistungen nur für Gewerkschaftsmitglieder ermöglichen wollen und nicht organisierte Arbeitnehmende ausgeschlossen werden sollen – und das, obwohl das Bundesarbeitsgericht (BAG) solche Klauseln für unwirksam erklärt hat.
Unsolidarität trägt die AUB nicht mit
Das Fazit von Rainer Knoob lautet daher: „Mit diesem Ansinnen von Gewerkschaftsseite würde sich in vielen Betrieben massive Unsolidarität breitmachen. Das ist eine Entwicklung, die wir als AUB nicht akzeptieren können und die wir aufs Schärfste ablehnen.“
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