Medizintechnik

Wie Bioelektronik die Humanmedizin der Zukunft revolutionieren kann

Handprothesen, die Amputierten das Fingerspitzengefühl zurückgeben. Sensoren, die Krankheiten erkennen, bevor sie ausbrechen. Dank in den Körper implantierter Mikrochips könnten solche Anwendungen bald zu den herkömmlichen Therapiemethoden gehören. Am Fraunhofer IZM arbeitet die Arbeitsgruppe Technologies for Bioelectronics an biokompatiblen Gehäusen für miniaturisierte Bio-Elektronik, die zukünftig jahrzehntelang und ohne zusätzliche Eingriffe im Körper arbeiten können sollen.

Im Vergleich zu bisherigen Therapie- und Diagnoseformen mit traditionellen Pharmazeutika, ermöglichen neuartige neuronale Schnittstellen eine zielgenaue Stimulation einzelner Nervenstränge und haben nicht nur das Potenzial viele Nebenwirkungen zu reduzieren, sondern auch völlig neue Behandlungsmethoden zu realisieren, beispielsweise bei Menschen mit Erblindung. Durch die Nutzung neuartiger Verkapselungs-Materialien mit hoher Biokompatibilität kann sichergestellt werden, dass elektronische Bauteile auch unter den komplexen Umgebungsbedingungen arbeiten können, die im Inneren des Menschen herrschen. „Auch wenn die meisten Patienten, die eine tiefe Hirnstimulation zur Behandlung der Parkinson-Krankheit erhalten, älter sind, könnten neuronale Implantate Menschen jedes Alters helfen. Deshalb ist es wichtig, dass diese Implantate in einem sich ständig verändernden Körper Jahrzehnte lang halten“, sagt Joshua Wilson, wissenschaftlicher Mitarbeiter aus der Arbeitsgruppe Technologies for Bioelectronics am Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM.

Voraussetzungen für Mikrochips im menschlichen Körper
Das Innere des Körpers ist aufgrund von Feuchtigkeit, Elektrolytschwankungen und mechanischen Belastungen eine ungünstige Umgebung für elektronische Bauteile. Die im Körper vorhandenen Salze und das Wasser können eine Korrosion der leitenden Materialien verursachen, was zum Versagen des Implantats führt. Auch kann es zu Immunreaktionen kommen, die das Implantat beschädigen oder es mit Narbengewebe verkapseln, was zu einer verminderten Wirksamkeit führt. Um die elektrischen Schaltkreise vor Umwelteinflüssen zu schützen, befinden sie sich in hermetisch abgeschlossenen Gehäusen. Diese Gehäuse sind vergleichsweise groß und unflexibel, was ihren Einsatz im feinen und weichen Nervengewebe zu einer großen Herausforderung macht. Die derzeitige Lösung besteht hauptsächlich darin, das Gehäuse distal zu platzieren und die Kabel bis zum Behandlungsort zu führen; doch auch diese Lösung kann fehleranfällig sein. Wissenschaftler*innen am Fraunhofer IZM haben deswegen verschiedene biokompatible Polymer- und Keramikbeschichtungen entwickelt, die dünner als ein menschliches Haar sind. Eine solche dünne Verkapselung trägt dazu bei, das Volumen des Implantats zu verringern, wodurch es sich besser für die Verwendung an einer Vielzahl von Stellen im menschlichen Körper eignet. Das Material, die Topologie und der Funktionsumfang des Implantats können jedoch je nach Ort der Implantation und Anwendungsfall unterschiedlich sein. Die Wissenschaftler*innen des Fraunhofer IZM arbeiten daher an einer Reihe von Materialien und Techniken, die zuverlässige, maßgeschneiderte Lösungen für ein breites Spektrum von miniaturisierten implantierbaren medizinischen Geräten ermöglichen.

Intelligente Prothesen dank neuronaler Schnittstellen
Ein Projekt zeigt besonders deutlich, welchen Weg die Forschung vom Labor in die Praxis nimmt und mit welchen Fragestellungen sich die Berliner Bioelektronik-Expert*innen in naher Zukunft beschäftigen werden. Ziel des 2023 gestarteten Projekts „Nerve Repack“ ist die Entwicklung intelligenter Prothesen, die über neuronale Schnittstellen verfügen. Das Projekt wird zu drei Hauptergebnissen führen: eine Prothese für Patienten mit einer Unterarmamputation und zwei Exoskelette für Patienten mit jeweils ein- und beidseitiger Lähmung der unteren Gliedmaßen. Die Kombination aus Prothese und neuronalem Implantat ermöglicht nicht nur die einseitige Übertragung des Bewegungsimpulses in Richtung Prothese, sondern auch die Rückübertragung von Informationen an das Gehirn, also eine bidirektionale Kommunikation. Im Fall der Unterarmprothese wird die bidirektionale Kommunikation ein taktiles Feedback liefern und dem Patienten ein intuitiveres Benutzererlebnis vermitteln, so dass sich die Prothese mehr wie die eigene Hand anfühlt. Die Exoskelette werden in der Lage sein, motorische Befehle von Spinalnerven zu lesen und Rückmeldungen von Sensoren an den Füßen zu integrieren, um den Gang zu verbessern und eine reibungslose Gehbewegung zu ermöglichen. Langfristig dürfte dies die Lebensqualität von Millionen von Menschen mit amputierten oder gelähmten Gliedmaßen verbessern und eine größere soziale und finanzielle Unabhängigkeit ermöglichen. Im Projekt Nerve Repack arbeiten 27 Projektpartner unter der Koordination des rumänischen Nationalen Instituts für Forschung und Entwicklung in Mikrotechnologien daran, die am Fraunhofer IZM erforschten Plattformtechnologien in die medizintechnische Praxis zu übertragen.

NerveRepack wird von der Europäischen Union im Rahmen der Finanzhilfevereinbarung Nr. 101112347 kofinanziert. Die geäußerten Ansichten und Meinungen sind jedoch ausschließlich die des Autors/der Autoren und spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Union oder die des CHIPS Joint Undertaking wider. Weder die Europäische Union noch die Bewilligungsbehörde können für sie verantwortlich gemacht werden. Das Projekt wird vom CHIPS Joint Undertaking und seinen Mitgliedern unterstützt, einschließlich zusätzlicher Mittel aus Rumänien, Deutschland, Norwegen, Italien, den Niederlanden, Griechenland, Portugal, Polen, Spanien und der Schweiz. 

Über Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM

Das Fraunhofer IZM ist weltweit führend bei der Entwicklung und Zuverlässigkeitsbewertung von Technologien für die Aufbau- und Verbindungstechnik von zukünftiger Elektronik. Hierdurch entstehen Eigenschaften, die bislang eher untypisch für Mikroelektronik sind: zum Beispiel wird sie dehn- oder waschbar, hochtemperaturbeständig oder extrem formangepasst. Die Forschenden des Fraunhofer IZM setzen dabei ebenso Maßstäbe für die Umweltverträglichkeit von Elektronik.

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