Post-COVID-Schwerpunktkliniken in der Reha
Prof. Dr. med. Mario Siebler beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Post-COVID. Er referierte bereits im Nordrhein-Westfälischen Landtag über die Thematik und war beim Runden Tisch zum Thema Long-/Post-COVID-Versorgung beim Bayerischen Gesundheitsministerium eingeladen.
Post-COVID erfordert neue Therapiekonzepte
Über die Entwicklung des Reha-Konzeptes zur Post-COVID-Behandlung bei der MEDICLIN-Klinikgruppe sagt er: „Ungefähr ein Jahr nach Coronabeginn, im Herbst 2020, wurde deutlich, dass wir für Post-COVID-Patienten völlig neue Konzepte benötigen. Denn die Krankheit war vollkommen unbekannt und erforderte neue Wege in der Therapie. Die Betroffenen leiden unter vielfältigen und individuell unterschiedlichen Beeinträchtigungen ihrer körperlichen, geistigen und psychischen Gesundheit. Ihre Handlungsfähigkeit und Lebensqualität sind zum Teil stark eingeschränkt, in schweren Fällen bis hin zu langdauernder Erwerbsunfähigkeit und Bettlägerigkeit.“ Häufige – aber bei weitem nicht die einzigen – Symptome seien ständige Müdigkeit und Schwäche (Fatigue), Atemnot und Husten, Verminderung der Konzentrations- und Merkfähigkeit (Brain Fog), Wortfindungsstörungen, Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns sowie muskuläre Schwäche und Schmerzen.
Schwere Beeinträchtigungen trotz nicht messbarer Schäden
„Was wir häufig erleben, ist, dass die Patienten keinerlei messbare Schäden der Organe, z.B. des Herz-Kreislauf-Systems oder der Muskulatur haben, aber dennoch diese massiven gesundheitlichen Probleme, wie etwa ein völlig verändertes, gestörtes Atmungsmuster, vegetative Reaktionen oder eine massive Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit, die jedoch – anders als sonst – nicht durch stetig gesteigertes Training wiederhergestellt werden kann“, nennt er einige der besonderen Problematiken des Syndroms. „Ganz im Gegenteil: bei Patienten, zu deren Symptomen ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrom, Anm. d. Red.) gehört, kann schon die geringste körperliche, geistige oder auch kognitive Überlastung zu einer deutlichen und mitunter tage- und wochenlang andauernden Verschlechterung ihres Zustands führen, einem sogenannten `Crash´ (auch: post-exertionelle Malaise, PEM, Anm. d. Red.).“
Großer Fortbildungsbedarf bei Ärzten und Therapeuten
Viele der Post-COVID-Patienten seien verzweifelt auf der Suche nach Hilfe. Doch der Wissensstand über die Erkrankung sei bei den niedergelassenen Kollegen und ambulanten Therapeuten sehr unterschiedlich. Hier bestehe noch sehr großer Fortbildungsbedarf. Nicht selten werde eine rein psychosomatische Ursache unterstellt und der Gang zum Therapeuten nahegelegt. Auch Angehörige und Arbeitgeber hätten oft kein Verständnis. „Insgesamt eine schreckliche, teils stigmatisierende Situation für die Betroffenen“, so Siebler.
Säulen der Post-COVID Reha-Konzeption
„Aufgrund all dessen war es erforderlich, dass wir die Reha-Konzeption für diese Patientengruppe völlig neu denken mussten. Ein standortübergreifender Verbund aus mehreren unserer Fachärzte und Therapeuten aus den Bereichen Pneumologie, Kardiologie, Innere Medizin, Neurologie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Diabetologie, Psychosomatik und Psychiatrie hat innerhalb eines Jahres in intensiver Zusammenarbeit ein integratives Konzept für eine Post-Covid-Reha entwickelt, das spezifisch auf das Krankheitsbild und die besonderen Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten ist. Ein ganz entscheidender Faktor hierbei ist die individuelle Wahrnehmung der Betroffenen.“ Dieses interdisziplinäre Reha-Konzept kommt mittlerweile an neun MEDICLIN-Standorten in ganz Deutschland zur Anwendung. Es basiert auf fünf Säulen: einer umfassenden pneumologisch-internistischen, neurologischen und psychologischen Diagnostik, einem standortbergreifenden fachärztlichen Expertenaustausch mit Televisiten (Post COVID-Expertenboard) und der wissenschaftlichen Auswertung.
Erstmalig die richtige Diagnose
„Viele der Patienten erleben bei uns zum ersten Mal, dass man ihre Erkrankung kennt, ernst nimmt und ihnen Hilfe anbietet. Durch unsere multidisziplinäre Untersuchung wird zunächst die Diagnose Post-COVID noch einmal abgeklärt, da in rund 30 Prozent der Fälle andere Ursachen die Beschwerden begründen. Die richtige Diagnose ist für die Betroffenen immens wichtig. Damit lebt es sich schon besser, denn damit findet man Akzeptanz.“
Anpassung der Reha-Ziele nötig
Auch die Reha-Ziele mussten für Post-COVID-Patienten verändert werden. „Normalerweise dient eine Reha ja dazu, die Arbeitsfähigkeit schnell wieder herzustellen. Bei Post-COVID ist dies häufig kein realistisches Ziel. Die Patienten verlassen die Reha aber in aller Regel in einem deutlich besseren Zustand. Sie verstehen ihre Erkrankung endlich besser und haben Mittel an die Hand bekommen, dank derer sie körperlich und psychisch besser mit den gegebenen Einschränkungen umgehen können, etwa durch bestimmte Atemtechniken. Bei den ME/CFS-Patienten ist das Pacing ein wichtiger Therapiebaustein. Dabei geht es darum, die individuellen Belastungsgrenzen schneller zu erkennen, diese zu akzeptieren und entsprechend zu handeln, um einem Crash vorzubeugen. Das ist schwer, gerade wenn man vorher auf Leistung getrimmt war. Aber es erhöht die Lebensqualität deutlich.“
Reha-Forschung im Bereich Post-COVID fördern
Prof. Siebler betont die gesamtgesellschaftliche Relevanz des Themas: „Die Post-COVID-Ambulanzen an den Unikliniken sind völlig überlastet. Die Ambulanz der Uniklinik Essen, mit der wir kooperieren, hatte in den ersten beiden Quartalen 2024 rund 4.000 Anmeldungen.“ Der Deutsche Bundestag geht von etwa 2,5 Millionen Betroffenen deutschlandweit aus. „Wir als spezialisierte Reha sind gut geeignet, um uns dieser Patientinnen und Patienten anzunehmen. Wir haben einen Informationsvorsprung und würden unser Knowhow gerne an Haus- und Fachärzte, an Kliniken und Therapeuten weitergeben.“ An Politik und Leistungsträger appelliert er: „Es ist dringend geboten, die Reha-Forschung im Bereich Post-COVID durch Forschungsgelder weiter zu unterstützen. Nur so können wir den Schlüssel zu der Erkrankung finden, um den Betroffenen zu helfen.“
Der Verband der Privatkrankenanstalten in Bayern e. V. (VPKA) setzt sich als dynamischer und praxisnaher Verband seit mehr als 75 Jahren bayernweit für die inhaltlichen Belange der privaten Akut- und Rehakliniken ein. Er vertritt als größter Landesverband rund 170 Einrichtungen mit knapp 25.000 Betten. Sein Ziel ist eine qualitativ hochwertige, innovative und wirtschaftliche Patientenversorgung in Krankenhäusern und Rehabilitationskliniken. Neben der Beratung seiner Mitglieder vertritt er die Belange der Privatkrankenanstalten in gesellschaftlichen, sozialpolitischen und tariflichen Angelegenheiten.
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