Muhammads Reise
73-jährige Mann aus Aleppo in Syrien lässt die Schultern sinken. „Eine Fassbombe hat unser Haus getroffen. Majd, Tawfiq, Rasha und die Zwillinge – sie alle starben an diesem Tag.“
Die Trauer habe ihn wahnsinnig gemacht, erzählt Muhammad weiter. „Ich konnte in Aleppo einfach nicht mehr bleiben – alles war hart und kalt, es gab dort kein Leben mehr.“ Ganz alleine machte er sich auf zur irakischen Grenze, in der Hoffnung auf Zuflucht und Hilfe. Doch das verheerende Erdbeben im Februar 2023 in der Türkei und im Nordwesten Syriens erschütterte zeitgleich die gesamte Region. Muhammad strandete in Idlib, umgeben von weiteren Hunderttausenden Schutzsuchenden.
Hoffnung inmitten der Trümmer
Zum Glück hörte Muhammad in Idlib von Dar Alrafah und suchte das Erholungszentrum auf. Es ist eines unserer Hilfsangebote für ältere Betroffene des Erdbebens, das wir mit unserem lokalen Partner der Syrian Expatriate Medical Association (SEMA) betreiben. Das SEMA-Team nahm Muhammad sofort auf. „Die Betreuung hier ist hervorragend. Ich bekomme meine Medikamente, Physiotherapie und meine Blutzuckerwerte werden regelmäßig überwacht“, sagt er erleichtert.
Im Zentrum kümmern sich Sozialarbeiter*innen, Krankenpfleger*innen und Psycholog*innen um ältere Männer wie Muhammad, die ihr Zuhause und ihre Familie verloren haben. Sie erhalten ganzheitliche Betreuung, medizinische Hilfe und psychosoziale Unterstützung. Aktuell leben im Zentrum 30 ältere Männer, die stationär betreut werden. Darüber hinaus kümmert sich das Team um weitere 500 ältere Frauen und Männer in der Region. Bei Tür-zu-Tür-Besuchen leisten sie Schutzdienste und psychosoziale Hilfe.
Der Wunsch nach Frieden
Über ein Jahr ist seit Muhammads Ankunft im Erholungszentrum vergangen. In der Zeit konnte er bereits ein Stück Normalität zurückgewinnen und nimmt an den zahlreichen Gruppenangeboten teil. Doch trotz des Trosts in der Gemeinschaft lassen ihn die Erinnerungen an seine Familie nicht los. Auf die Frage nach seinem Wunsch für die Zukunft antwortet er ohne zu zögern: „Ich hoffe endlich auf Frieden – und ein Ende dieser Ungerechtigkeit.“
Bereits 13 Jahre dauert der Krieg in Syrien an. Das Erdbeben im Februar 2023 hat die Lage vieler Familien weiter verschlimmert. Fast 90 Prozent der älteren Menschen im Norden Syriens sind heute auf überlebenswichtige Hilfe angewiesen. Bitte unterstützen Sie die Betroffenen mit Ihrer FriedensSpende. Wir danken Ihnen von Herzen.
„Jeder hat eine Leidenschaft – meine sind ältere Menschen“
Seit Jahren engagiert sich Gunnar Sander als Botschafter für HelpAge Deutschland. Im Interview spricht der Unternehmer darüber, was ihn dabei antreibt, und wie er mit Projekten wie dem jährlichen Charity Dinner auf die Lebensbedingungen älterer Menschen in anderen Ländern aufmerksam machen will.
Herr Sander, mögen Sie sich und Ihre Tätigkeit bei HelpAge Deutschland den Leser*innen der FriedensPost kurz vorstellen?
Gerne, ich heiße Gunnar Sander und bin als Geschäftsführer in der Sander Pflege GmbH tätig. Wir kümmern uns um ältere Menschen in der Region Osnabrück und im Münsterland. Bei HelpAge Deutschland bin ich schon seit über zehn Jahren als Botschafter aktiv – besonders für die Unternehmenswelt und das Sponsoring, was mir viel Freude bereitet.
Außerdem gebe ich fachlichen Input, wenn es um den Austausch mit Partnern von HelpAge geht. So wie jüngst beim Besuch einer Delegation aus Vietnam, die sich über die Pflegeversicherung, demografische Entwicklungen und Vergütungsmodelle informieren wollte. Dabei konnten mein Team und ich nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch an drei Standorten von uns zeigen, wie der operative Betrieb in einer Pflegeeinrichtung in Deutschland funktioniert und aussieht.
Was treibt Sie an, sich über Ihre Rolle hier in Deutschland hinaus für ältere Menschen in anderen Ländern zu engagieren?
Ich denke, jeder Mensch hat eine Leidenschaft. Bei mir sind es die älteren Menschen. (lacht)
Es ist einfach unglaublich befriedigend, helfen zu können, und damit die Welt ein Stückchen besser zu machen. Wir in Deutschland leben teilweise in sehr privilegierten Verhältnissen. Menschen zu unterstützten, die Not leiden, empfinde ich als äußerst sinnstiftend und es gibt mir ein gutes Gefühl.
Außerdem finde ich es spannend, von anderen zu lernen. Ich bin immer neugierig zu sehen, wie andere Länder Probleme lösen. Mein Engagement bei HelpAge bringt in der Hinsicht tolle Einblicke in andere Kulturen und Gesellschaften. Ein Beispiel, das mich beeindruckt hat, ist das System der Rentenauszahlungen in Tansania. Während der Corona-Pandemie wurden dort die Zahlungen für ältere Menschen innerhalb weniger Wochen problemlos auf Handys umgestellt. In Deutschland wäre so etwas undenkbar gewesen.
Mit dem jährlichen Charity Dinner haben Sie ein Event bei HelpAge mit ins Leben gerufen, das seit 2014 bis heute sehr erfolgreich ist. Was wollten Sie damit bewirken?
Mir liegt das Charity Dinner besonders am Herzen, weil es eben nicht eine Veranstaltung ist, bei der es allein darum geht, Spenden zu sammeln. Der Abend bietet eine Plattform für Austausch und Begegnungen. Wir geben den Teilnehmer*innen Einblicke in die weltweiten Hilfsprojekte, laden nach Möglichkeit Gäste aus dem Ausland ein und zeigen, wie viel Gutes durch die Arbeit vor Ort geleistet wird. Dabei können sich die Gäste des Abends selbst überlegen, ob und wie sie sich engagieren möchten. Und mit das wohl größte Highlight des Charity Dinners dieses Jahr ist natürlich, dass wir es immer wieder schaffen, drei Sterne-Köche an einem Abend zusammenzubringen, die fantastische Menüs zubereiten.
Sie sagen, dass es die persönlichen Geschichten sind, die bei solchen Abenden viel bewegen. Können Sie uns ein Beispiel geben?
Wir versuchen so oft wie möglich, Menschen aus den Ländern, in denen HelpAge tätig ist, einzuladen, damit sie aus ihrem Alltag erzählen und den Hilfsprojekten ein Gesicht geben. Es sind immer tiefe Einblicke, die die Teilnehmer*innen dann bekommen. Eine meiner Lieblingsgeschichten ist die von der Schweinezucht einer Gruppe älterer Menschen in Tansania. Mit drei durch Spenden finanzierten Schweinen haben sie angefangen. Mittlerweile sind es mehr als sechzehn. Alle aus der Gruppe können jetzt ihren Lebensunterhalt damit bestreiten. Einfach toll, mit wie wenig man etwas dauerhaft verändern kann.
Sie waren bereits mit HelpAge auf Projektreise, so auch in Tansania. Wie haben Sie das Leben der älteren Menschen wahrgenommen? Vor allem auch im Vergleich zu Deutschland, wo Sie durch Ihren Beruf einen guten Überblick haben.
Ich denke, der wohl augenfälligste Unterschied ist, dass die meisten älteren Menschen, zum Beispiel in Tansania, in familiären Strukturen leben. Kinder und Enkelkinder kümmern sich um die Großeltern. Doch vor allem kümmern Großeltern sich wie selbstverständlich um die Enkel, wenn die eigenen Kinder nicht mehr da sind.
Anders als in Deutschland ist ein Leben älterer Menschen in einem Pflegeheim abseits der Familie eine große Ausnahme – vor allem im ländlichen Raum. Das meine ich jetzt nicht wertend. Entgegen der landläufigen Meinung, dass niemand in Deutschland in einem Pflegeheim leben möchte, treffe ich bei uns in den Einrichtungen sehr oft glückliche und zufriedene ältere Menschen, die regelmäßig Besuch von ihren Verwandten bekommen. Und ihr Leben würdevoll und so selbstständig, wie es ihr Alter eben erlaubt, führen und auch genießen.
Dieses würdevolle Leben ist natürlich an materielle und ökonomische Standards geknüpft, die es in Ländern wie Tansania flächendeckend einfach nicht gibt. Erschreckend fand ich dort zum Beispiel die Situation von älteren Menschen in den Flüchtlingscamps, wo sie teilweise nichts zu essen bekommen, weil einfach keiner kommt und sich kümmert; weil es an Mitteln fehlt, an Pflegeinfrastruktur. Deshalb ist es so wichtig hier zu helfen. Eine solche Lage kann – ja muss man einfach ändern.
Hörtipp
Syrien liegt in Trümmern. Seit 2011 herrscht im Land ein blutiger Bürgerkrieg. Die Menschen leiden Armut und Hunger. Die Wirtschaft ist am Boden. Und dann erschütterte noch ein verheerendes Erdbeben 2023 den Nordwesten des Landes. Die Not wächst ins Unermessliche. Und trotzdem verlieren die Syrer*innen nicht die Hoffnung. Sie wollen leben – in Freiheit. Im Podcast Syrien – Hoffnung in Trümmern? kommen Betroffene und Expert*innen zu Wort, die von den Herausforderungen und dem unerschütterlichen Überlebenswillen der Menschen berichten. Zu hören in der ARD-Mediathek: Syrien – Hoffnung in Trümmern?
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