Schutz vor Arzneimittelengpässen bei Krebspatienten
Die Zahl der Arzneimittelengpässe in der Krebstherapie ist im letzten Jahr deutlich gestiegen. Betroffen waren vor allem Medikamente, die schon seit langem erfolgreich eingesetzt werden. Dazu gehörten Tamoxifen und nab-Paclitaxel, die u. a. bei Brustkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Lungenkrebs und Karzinomen im Magendarmbereich als Standard eingesetzt werden. Darüber hinaus fehlten auch unterstützende Arzneimittel wie Calciumfolinat, Harnsäuresenker, Antibiotika und Immunglobuline. Prof. Dr. med. Hermann Einsele, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO, betonte in seiner Einführung: „Die medikamentöse Krebstherapie hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Vor allem bei sehr ausgedehnten Erkrankungen sehen wir teilweise spektakuläre Ergebnisse. Bei einigen Erkrankungen kann der Krankheitsverlauf so gut beherrscht werden, dass die Patientinnen und Patienten eine normale Lebenserwartung haben. Das schafft eine hohe Abhängigkeit von der stabilen Versorgung mit diesen Medikamenten.“
Die Ursachen für Lieferengpässe in der Onkologie sind vielfältig. Dabei dominieren Probleme bei der Herstellung und in den Lieferketten. Die Vulnerabilität dieser komplexen Verflechtungen wurde besonders in der COVID-19-Pandemie und durch die Kriegssituation in der Ukraine deutlich. Neu war das Phänomen regionaler Engpässe bei Krebsmedikamenten durch sogenannte Hamsterkäufe auch innerhalb von Deutschland. Prof. Dr. med. Matthias Beckmann, Leitlinienbeauftragter der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und Mitglied der AMNOG Kommission der AWMF, erläuterte: „Insbesondere die ‚alten‘ Krebsmedikamente, die als Generika in Deutschland von den Krankenkassen sehr preisgünstig eingekauft werden können, sind gefährdet. Engpässe wie bei Tamoxifen dürfen sich nicht wiederholen. Hier sind Regelungen für eine stabile Versorgungskette aber auch für Preise erforderlich, die alle Kosten von der Herstellung bis zur Vorratshaltung abdecken.“
Deutschland ist in seiner Arzneimittelversorgung in hohem Maße von internationalen Lieferketten abhängig. Der Bedarf wird aber auf nationaler Ebene definiert. Darauf wies Prof. Dr. med. Thomas Seufferlein, Mitglied im Präsidium der Deutschen Krebsgesellschaft, hin: „Der Standard der Versorgung von Krebspatienten ist in Deutschland hoch. Die evidenzbasierten und interdisziplinär erarbeiteten Leitlinien geben vor, welche Arzneimittel unverzichtbar sind. Dort wird auch empfohlen, wann andere Arzneimittel mit gleicher Wirksamkeit eingesetzt werden können. Bei bestimmten Indikationen können wir allerdings nicht auf äquieffektive Medikamente zurückgreifen. Patientinnen und Patienten, auf die das zutrifft, sind in einem besonders hohen Maße bei Engpässen betroffen.“
In den letzten Jahren wurde bereits eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um Lieferengpässe von Arzneimitteln auch in der Onkologie zu vermeiden oder zu lindern, u. a. im Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV). Dazu gehören ein verpflichtendes Register für Lieferengpässe, die Regelungen für den erleichterten Import aus dem Ausland und das verbesserte, behördliche Risikomanagement durch den Beirat beim BfArM.
Prof. Dr. med. Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter der DGHO, erläuterte die konkreten Forderungen der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften, um die noch bestehenden Defizite zu beheben:
– Frühzeitige Information über drohende Lieferengpässe seitens der pharmazeutischen Unternehmen, nicht erst bei bereits bestehenden Lieferproblemen,
– Anpassung der Verträge zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen mit Berücksichtigung von Vorratshaltung und verpflichtenden Liefervereinbarungen,
– Solidarität der Einkaufsgemeinschaften,
– Sicherung der Versorgung von Arzneimitteln für seltene Krebserkrankungen, auch unter Berücksichtigung der zunehmend personalisierten, zielgerichteten Therapien,
– Aufbau von Produktionsstätten und langfristige Sicherung der Lieferketten in Europa.
Die bereits bestehenden Instrumente sowie Aktivitäten und Maßnahmen insbesondere des Beirats Lieferengpässe stellte Prof. Dr. med. Karl Broich, Präsident des BfArM, vor und betonte gleichzeitig die bei der Ursachenanalyse erkennbare hohe Abhängigkeit von internationalen Produktions- und Lieferketten, u. a. durch eine Konzentration auf wenige Arzneimittel-Produktionsstätten, überwiegend in den Drittstaaten China und Indien. Diese Situation mache sowohl enge Absprachen innerhalb der Europäischen Union als auch auf globaler Ebene mit allen beteiligten Akteuren erforderlich. Broich stellte neue Ansätze zur frühzeitigen Erkennung und Bewertung sich abzeichnender Engpässe auf und wies auch auf das Eckpunktepapier „Vermeidung von Lieferengpässen von Arzneimitteln, Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln und Stärkung des Produktionsstandorts EU“ der Bundesregierung vom Dezember 2022 hin. Für Anfang 2023 ist eine weitere Gesetzesinitiative zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung geplant.
Zum Abschluss der Pressekonferenz fasste Prof. Dr. med. Andreas Hochhaus, Vorsitzender der DGHO, die Herausforderungen zusammen: „Die hohe Qualität der Versorgung von Krebspatientinnen und-patienten in Deutschland darf nicht durch vermeidbare Arzneimittelengpässe gefährdet werden. Hier sind weitere regulatorische Maßnahmen aber auch eine Solidarität von allen am Prozess Beteiligten erforderlich.“
Das Positionspapier „Arzneimittelengpässe in der Behandlung von Krebspatienten 2022“ kann heruntergeladen werden unter: https://www.dgho.de/…
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