Die „Zugrunde-Richter“ oder: Wie geht es weiter mit den „Elternklagen?“ Zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. April 2022 (1 BvL 3/18 u.a.)
Gegenwärtig wirkt sich lediglich in der Pflegeversicherung die Kindererziehung für Versicherte (mini-mal) beitragsmindernd aus. Aktuell liegt hier der Beitragssatz für Eltern bei 3,05 Prozent des Brutto-einkommens, für Kinderlose bei 3,4 Prozent.
Zu einer Differenzierung zwischen Eltern und Kinderlosen war der Gesetzgeber durch ein Urteil des Bundesverfassungsgericht 2001 (BVerfGE 103, 242-271) gezwungen worden, dass als „Pflegeurteil“ oder als „Beitragskinderurteil“ bezeichnet wird.
In diesem Urteil ging das das Bundesverfassungsgericht von der „konstitutiven Bedeutung“ der Erzie-hungsleistung für die umlagefinanzierte soziale Pflegeversicherung aus. Zusätzlich zu ihren Beiträgen erbrächten Eltern mit der Kindererziehung einen „generativen Beitrag“ zum Systemerhalt. Im Versi-cherungsfall erwachse so Versicherten ohne Kinder ein Vorteil aus „der Erziehungsleistung anderer beitragspflichtiger Versicherter“.
Die nominell gleiche Belastung mit Versicherungsbeiträgen führe im Ergebnis zu „einem erkennbaren Ungleichgewicht zwischen dem Gesamtbetrag, den Kindererziehende in die Versicherung einbringen, und dem Geldbetrag von Kinderlosen“. Es sei deshalb mit Art. 3 Abs. 1 (Gleichheit vor dem Gesetz) in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG (besonderer Schutz von Ehe und Familie) nicht zu vereinbaren, dass kindererziehende Versicherte mit einem (nominell) gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag belastet würden (BVerfGE 103,24).
Mit dieser Argumentation knüpfte das Bundesverfassungsgericht an sein schon 1992 ergangenes "Trümmerfrauenurteil“ an, das eine Berücksichtigung des generativen Beitrags der Kindererziehung im Rentenrecht verlangte (BVerfGE 87, 1).
Mit den seit 2005 geringfügig erhöhten Beiträgen für Kinderlose in der Pflegeversicherung hat der Gesetzgeber das Beitragskinderurteil in einer Minimalform umgesetzt. Der Auftrag des Bundesver-fassungsgerichts, die Benachteiligung von Eltern im Sozialversicherungssystem zu verringern, wurde faktisch ignoriert.
Diese Untätigkeit beanstandeten die Kläger in ihrer umfassend begründeten Eingabe an das Bundes-verfassungsgericht. Ihre Argumentation stützt sich auf die Funktionslogik der umlagefinanzierten gesetzlichen Sozialversicherungen. Aus dieser ergibt sich unvermeidlich, dass kinderlose Ältere von Kindern versorgt werden müssen, die andere Angehörige ihrer Generation aufgezogen haben. Dieser „generative Beitrag“ von Eltern muss aus Sicht der Kläger innerhalb des Sozialversicherungssystems berücksichtigt werden, damit Familien (die Eltern wie ihre Kinder) nicht in verfassungswidriger Weise benachteiligt werden.
Das Urteil vom April 2022 war für sie enttäuschend. Korrekturbedarf sah das Verfassungsgericht le-diglich in der sozialen Pflegeversicherung. Hier beanstandete es die Verbeitragung von Eltern als ver-fassungswidrig, weil der höhere Aufwand von Eltern mehrerer Kinder gegenüber Eltern mit nur einem Kind nicht berücksichtigt werde (da beide gleich hohe Beiträge zahlen).
Während es in den früheren Urteilen um die Lastengerechtigkeit zwischen Eltern und Kinderlosen ging, wird jetzt zwischen Eltern (mit unterschiedlicher Kinderzahl) differenziert. Das Koordinatensys-tem des Verfassungsgerichts hat sich fundamental verschoben. Von der konstitutiven Bedeutung des generativen Beitrags für die Sozialsysteme ist keine Rede mehr. Die bisherige Verfassungsrechtspre-chung zur Rolle der Kindererziehung für die Sozialsysteme wird ausgehebelt. Im Gegensatz zu seiner früheren Rechtsprechung behauptet das Bundesverfassungsgericht, dass es bereits einen „hinrei-chenden Nachteilsausgleich“ für Eltern geben würde. Verwiesen wird insbesondere auf die Kinderer-ziehungszeiten in der Rentenversicherung.
In der Klageschrift selbst wurde bereits vorgerechnet, dass die Erziehung von 15 Kindern erforderlich wäre, um mit diesen Kinderberücksichtigungszeiten Ansprüche in Höhe einer Standardrente zu er-werben. Die Kläger argumentieren weiter, dass die vom Bundesverfassungsgericht sogenannten „Nachteilsausgleiche“ für Eltern aus dem allgemeinen Steueraufkommen und damit größtenteils von den Familien selbst finanziert wird. Ihre Kritik an den Verteilungswirkungen der gesetzlichen Renten-versicherung und auch der Krankenversicherung wird von den Klägern mit ökonomischer Expertise untermauert.
Dass die Kläger ihre Rechtsauffassung durch detaillierte Berechnungen und wissenschaftliche Gutach-ten namhafter Experten begründet haben, scheint das Bundesverfassungsgericht nicht beeindruckt zu haben. Für die Entscheidungsfindung spielten ihre Argumente jedenfalls keine Rolle. Wer für eine Besserstellung von Eltern im Sozialversicherungssystem kämpft, kann sich nicht mehr auf das Bundes-verfassungsgericht berufen. Es dürfte noch schwieriger werden, in den politischen Verteilungskämp-fen Lastengerechtigkeit für Familien einzufordern.
Wie dieses Urteil juristisch zu bewerten ist, analysiert der Sozialrechtsexperte Dr. Jürgen Borchert in seinem Beitrag „Die „Zugrunde-Richter“ oder: Wie geht es weiter mit den „Elternklagen?" Zum Beschluss des Bundes-verfassungsgerichts vom 7. April 2022“ (https://elternklagen.de/…).
Mit Zustimmung des Verfassers dokumentieren wird diese umfangreiche Analyse in Auszügen.
Lasten- und Leistungsgerechtigkeit für Familien im Sozialsystem: Worum es den Klägern geht
Klar, wir haben mit den Elternklagen angefangen, weil die Politik mit der Sozialversicherung ein gegenüber Kindern und Familien „strukturell rücksichtsloses“ Sozialsystem etabliert hat. Schon die Erfinder des neuen Systems haben vor der „Transferausbeutung“ gewarnt, welche die kurzsichtige Politik 1957 gegen den Rat der Fachleute […] ins Werk gesetzt hat: Es könne nur im vollkommenen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Desaster enden, wenn man die Erträge der Kindergenera-tion für die Alten sozialisiere, die Kosten ihrer Aufbringung aber privatisiere. Der „Schreiberplan“, die Blaupause für die Rentenreform 1957, hatte auch die Kinderkosten mit einer balancierenden „Kindheitsrente“ vergesellschaften wollen; das hätte aber die Höhe der neuen Altersrente auf 50 Prozent der Bruttoeinkommen begrenzt. im Wahljahr 1957 wollte Bundeskanzler Konrad Adenauer die Rentner jedoch mit 60 Prozent beglücken und amputierte die Kinderrente deshalb kurzerhand aus dem Konzept. […]
Um diesen Kardinalfehler der Sozialisierung des Altenunterhalts bei gleichzeitiger Kinderaufbrin-gung auf elterliche Privatkosten geht es. Im Interesse unserer Kinder und ihrer Generationen woll-ten wir durch die Elternklagen mit Hilfe des „Gleichgewichtsorgans Bundesverfassungsgericht“ die Ungerechtigkeiten beseitigen, unter denen die Kinder am meisten leiden. […]
Wie das Bundesverfassungsgericht seine frühere Rechtsprechung zur Bedeutung der Kindererzie-hung für die Sozialsysteme aushebelt
Nach 16jähriger Verfahrensdauer seit dem Rechtswegstart in 2006 beantwortet der Beschluss vom 7. April 2022 (1 BvL3/18) die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem „Beitragskinderur-teil“ vom 3. April 2001 offengelassene und in der Literatur umstrittene Frage, ob dessen Einsichten betreffend die „konstitutive“ Bedeutung der Kindererziehung als „generativer Beitrag“ für den Sys-temerhalt auf die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) beitragsäquivalent zu übertragen sind, nun wie folgt (Leitsatz 3 Satz 2):
„In der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung begründet die gleiche Beitragsbelastung von Eltern und Beitragspflichtigen ohne Kinder keine Benachteiligung der Eltern, weil durch die rentenrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten und die beitragsfreie Familienversicherung im Krankenversicherungsrecht ein hinreichender Nachteilsausgleich erfolgt.“ […]
Obwohl das Gericht im weiteren Zusammenhang stets von „Nachteilen und deren Beseiti-gung/Ausgleich“ spricht, stellt es an den Anfang seiner Entscheidung die Behauptung, das Begehren der Kläger – und Beschwerdeführer ziele auf eine „beitragsrechtliche Privilegierung“ ab (Randnum-mer 2). Auffallend – und passend zu dieser Verkehrung des Begehrens und der Wirklichkeit – ist dann weiter die Tatsache, dass das Gericht im Begründungsteil des Beschlusses für die beiden vor-genannten Systeme (ab Randnummern 333 bis 367) jegliche Auseinandersetzung mit seiner voran-gegangenen maßgebenden Rechtsprechung vermeidet, auf welche die Kläger sich gestützt hatten, nämlich das Beitragskinderurteil von 2001 und das „Trümmerfrauenurteil“ vom 7. Juli 1992.
Ersteres wird dort kein einziges Mal erwähnt und letzteres wird eingangs der Prüfung der GRV zwar zitiert, allerdings nur auszugsweise unter randscharfer Auslassung von dessen Feststellungen, wel-che das Gericht damals anhand des durch Art. 6 Abs. 1 GG scharf gestellten Gleichheitssatzes ge-troffen hatte: Zum einen betreffend die Familien benachteiligenden Strukturen des Rentensystems, welche sich aus der Negierung der Wirklichkeit des „Dreigenerationenvertrags“ ergeben (= Soziali-sierung der Altenlast bei privatisierter Kinderlast im Rentenrecht); zum anderen werden jene Fest-stellungen ausgeklammert, welche die elterlichen Nachteile in den komplementären Zusammen-hang der Vorteile auf Seiten der Kinderarmen stellen. Auf die Tatsachengrundlage der „Wirklichkeit des Dreigenerationenvertrags“ hatte das BVerfG bekanntlich seine […] Qualifizierung der Kinderer-ziehung als den pekuniären Beiträgen prinzipiell äquivalenten „generativen und konstitutiven Bei-trag für den Erhalt der Systeme“ gegründet. Mit der Folge des Verfassungsauftrags, ihm auf der Beitragsseite normativ Rechnung zu tragen, um Recht und Wirklichkeit in Einklang zu bringen. […]
Wie die Verfassungsrichter den klagenden Eltern ein Begehren nach Privilegierung unterstellen und so das Abwehrgrundrecht nach Art. 6 Abs. 1 GG leer laufen lassen
Mittels dieser Verdrehung des wirklichen und vielfach dokumentierten konträren, auf Beseitigung ihrer Diskriminierung gerichteten Klägerbegehrens will der Senat offensichtlich die scharfe Vertei-lungsdebatte zwischen Familien und Nichtfamilien ausklammern, welche aus den beiden vorange-gangenen Urteilen zwangsläufig folgt: Grundrechte entfalten ihre volle Wirkung v.a. als Abwehr-rechte gegen staatliche Eingriffe. Wer aber Privilegien begehrt, der wehrt sich nicht gegen Benach-teiligungen, sondern wünscht Bevorzugungen. Mithin kommt das harte Abwehrgrundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG nicht zur Anwendung, welches die Vorgängerurteile zum Maßstab nahmen! Tatsächlich handelt es sich hier um eine Verbiegung der Wirklichkeit, die schwerlich mit dem Wahrheitsgebot vereinbar ist, an welches Richter gebunden sind.
Dass sie (die Familien) gravierend und verfassungswidrig benachteiligt werden, ist die Quintessenz des BVerfG in seinen Urteilen von 1992 und 2001. Worin soll dann die „Privilegierung“ bestehen? Das erklärt das Gericht im Beschluss genauso wenig wie den offenen Widerspruch, der sich aus der Tatsache ergibt, dass es ja „Nachteile“ der Eltern identifiziert, was mit der behaupten „Privilegie-rung“ naturgemäß nicht auf einen Nenner passt. Das ist nichts weniger als konfus.
[…] Mit dem Urteil von 2001 hat das Bundesverfassungsgericht „Recht“ geschaffen, an welches auch das Gericht selbst gemäß Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. […] Selbstverständlich kann das Ge-richt mit seiner eigenen Rechtsprechung brechen, muss das dann aber zur Vermeidung einer unzu-lässigen Überraschungsentscheidung den nichtsahnenden Klägern mit der Gelegenheit zur Stel-lungnahme mitteilen („rechtliches Gehör“) und begründen. Dieses fundamentale Grundrecht der Kläger hat das BVerfG vorliegend mit Füßen getreten: Weder wurden sie vom Gericht auf die Ab-sicht der grundlegenden Änderung seiner Judikatur vorab mit der Gelegenheit zur Stellungnahme hingewiesen, noch fand die zwingend gebotene mündliche Verhandlung statt – und das bei einem Sachverhalt, der nicht nur für fast 90 Prozent der Bevölkerung Deutschlands gewaltige ökonomi-sche Konsequenzen, sondern für „die Stabilität und das Gleichgewicht des Ganzen“ enorme Aus-wirkungen hat. […]
In Anbetracht der Tatsache, dass der Beschluss mit der – ebenfalls nicht weiter erklärten – Behaup-tung beginnt, das Begehren der Kläger ziele auf eine „beitragsrechtliche Privilegierung“ ab (Rand-nummer 2) begegnet die Analyse von Anfang an einer irrealen, die Wirklichkeit vollständig verdre-henden Rezeption des Sachverhalts, indem das Gericht nicht nur die benachteiligenden Vertei-lungswirkungen der streitgegenständlichen Systeme zu Lasten sozialversicherter Eltern und Kinder in der sozialen Wirklichkeit, jahrzehntelang Konsens der Fachleute und des BVerfG, nunmehr wei-testgehend leugnet – sondern zugleich das Begehren der Kläger auf Beseitigung ihrer milliarden-schweren Nachteile auf den Kopf stellt. […]
Dass das BVerfG aber gleich zu Beginn des Beschlusses (Randnummer 2) die transferrechtliche Wirklichkeit des Dreigenerationenvertrags sowie das Begehren der Kläger mit der Behauptung auf den Kopf stellt, dieses ziele auf eine „beitragsrechtliche Privilegierung“, wurde ausweislich des bis-herigen Echos in der Literatur also noch nicht wahrgenommen. Dabei beinhaltet diese Verdrehung der Tatsachen von Beginn an den für das Ergebnis vorentscheidenden Richtungswechsel des Prüf-maßstabs weg vom kategorischen Abwehrgrundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG gegenüber den transfer-rechtlichen Eingriffslagen hin zum bloßen Gleichheitssatz mit seinen „weichen“ Konturen für die frei erfundene „Privilegierung“. Nicht nur der Sachverhalt und das Klägerbegehren werden so verbo-gen, sondern zugleich das mit dem Beitragskinderurteil geschaffene Recht (Art 20 Abs. 3 GG) mit seinem Maßstab. […]
Wie die Richter die Benachteiligung von Müttern perpetuieren, indem sie den Aufwand für Kinder als Opportunitätskosten banalisieren und ihre Erziehung damit als Hobby betrachten
Wiederholt wurde das Gericht von den Klägern auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass Kin-dererziehung dominant vor allem durch „Arbeit“ bzw. „Zeitallokation“ definiert wird und eine Re-duktion auf Realaufwand sowie Opportunitätskosten bei weitem zu kurz greift, sogar diskriminie-rend wirkt. […] Diese „Arbeit“ lässt sich auch nicht etwa unter „Opportunitätskosten“ verbuchen, weil sie auch neben einer vollen Erwerbstätigkeit von Eltern geleistet werden muss, an Wochenen-den, zu Nachtstunden und während der Krankheitszeiten von Kindern. Der Verbuchung als bloße Opportunitätskosten stehen bereits die arbeitszeitrechtlichen Schutzvorschriften im Wege. In wel-chem Ausmaß voll erwerbstätige Eltern sich darüber hinaus noch für ihre Kinder einsetzen müssen, hat nicht zuletzt die Coronakrise zutage gefördert, deren für Familien besonders schwer erträgliche Begleiterscheinungen dem Senat offensichtlich nicht zu Bewusstsein gekommen sind. Sicher min-dert der Ausbau der Krippenbetreuung und der Ganztagsbeschulung, oberflächlich betrachtet, den zeitlichen Aufwand der Eltern; andererseits weiß jeder Praktiker, dass ganztags fremdbetreute Kin-der einen hohen zusätzlichen Kompensationsbedarf aufweisen, der besondere Anforderungen an die elterlichen Zuwendungen gerade in den Abendstunden und an den Wochenenden stellt, die nicht selten zulasten der Rekreationsbedürfnisse der Eltern gehen.
Mit seiner These zur ökonomischen Substanz der Kindererziehung und den daraus abzuleitenden Nachteilen, reduziert auf Realaufwand und Opportunitätskosten, reproduziert der Senat den blin-den Fleck überholter Denkfiguren aus dem 19. Jahrhundert und diskriminiert die Kindererziehen-den. […] Kindererziehung ist kein Hobby, sondern sie konstituiert die Zukunftsfähigkeit von Staat und Gesellschaft.
[…] Ausgerechnet das BVerfG schreibt den Millionen Müttern mit diesem Beschluss (Randnummer 258) ins Stammbuch, es sei verfassungsmäßig völlig in Ordnung, dass sie um ihre genuinen, originä-ren Ansprüche auf Altersunterhalt vom Rentensystem geprellt werden und gegenüber ihren kinder-losen Jahrgangsteilnehmerinnen zurückstehen müssen. […] Was denkt sich das BVerfG dabei, wenn es diese unmittelbare Komplementarität zwischen den massiven ökonomischen Nachteilen der Familien mit mehreren Kindern auf der einen Seite und den leistungslos erworbenen Privilegien der kinderlosen Rentner auf der anderen Seite bei der „Betrachtung der Wirklichkeit des Dreigenerati-onenvertrags“ partout ausklammern will?
Mangelhafte Urteilsfindung, nicht einmal eine mündliche Verhandlung: Wie das Bundesverfas-sungsgericht seinen Auftrag verfehlt, Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen
Entgegen den Behauptungen der Bundesregierung sowie den darauf gestützten Annahmen des BVerfG kann von einem Nachteilsausgleich zugunsten der Familien auch bei der GKV keine Rede sein. Erneut zeigt sich, dass das BVerfG ohne eigene fachwissenschaftliche Kompetenz letztlich nur politisch motivierte Propaganda reproduziert. Dies unterstreicht ein weiteres Mal, dass die Verwei-gerung der mündlichen Verhandlung nicht der „Wahrheit und Gerechtigkeit“ gedient, sondern bei-des verhindert hat. […]
Dem Beschluss fehlt es an der gebotenen Tiefe und Gründlichkeit also vollkommen. Statt sich mit dem Streitgegenstand zu befassen, welcher durch die Klägeranträge und ihr Vorbringen sowie die vorinstanzlichen Entscheidungen definiert wird, kreierte das Gericht willkürlich eine „beitragsrecht-liche Privilegierung“ als Begehren und stellte damit den Sachverhalt auf den Kopf. […]
Die Anamnese des Problems wurde vollständig ausgespart, jegliche Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung der Sozialversicherung unterbleibt. Zur Darstellung der Entwicklung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von Bismarck bis heute reichen dem Gericht ganze drei Zeilen (Randnummer 5), bei der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) fünf Zeilen (Randnummer 24) […]. Den Blick in die demographische Zukunft, vom Beitragskinderurteil vorexerziert und wegen der massiven Auswirkungen der „Unterjüngung“ auf die intra- wie intergenerationelle Transferge-rechtigkeit und über diese für das „Gleichgewicht und die Stabilität des Ganzen“ fundamental, ver-meidet das Gericht vollständig.
Die maßgebenden Fachliteraturen […]obwohl von den Klägern lückenlos erwähnt und in wesentli-chen Auszügen vorgetragen, blieben vollends unbeachtet. Genauso wenig fand eine Auseinander-setzung mit der eigenen einschlägigen Judikatur statt: Das Urteil vom 3.4.2001 („Beitragskinder“) mit den darin gewonnenen Einsichten hinsichtlich der Veränderungen der Bevölkerungsstruktur und entsprechend geschärftem Maßstab fand entgegen dem darin enthaltenen Prüfauftrag bei der materiellen Abhandlung der GRV und GKV keine Beachtung; es wurde stillschweigend – ohne jede Begründung! – fallengelassen. […]
Vollends zum Justizskandal macht den Beschluss die Tatsache, dass das Gericht trotz der Abkehr von seiner jahrzehntealten Rechtsprechung und trotz der milliardenschweren Bedeutung für rund 90 Prozent der Bevölkerung keine mündliche Verhandlung durchführte. Mangels Begründung der Abkehr vom Trümmerfrauen- und Beitragskinderurteil gibt es keinen Grund, dass das von diesen Urteilen geschaffene „Recht“ etwa nicht mehr gelten könnte. Der Beschluss ist zu einem frei erfun-denen „Begehren der Kläger auf beitragsrechtliche Privilegierung“ ergangen. Darum ging es nie und geht es auch weiter nicht. […]
Wenn landauf, landab die Sozialgerichte also nun auf die Rücknahme der noch laufenden Verfah-ren drängen, besteht keinerlei Veranlassung dem stattzugeben. Vielmehr gilt es nun, die vorste-hende Analyse überall auf dem Rechtsweg zu verbreiten, um dem Bundesverfassungsgericht selbst Gelegenheit zu geben, sein skandalöses Fehlurteil baldmöglichst wieder aus der Welt zu schaffen. […]. Wir haben nicht die geringste Veranlassung, klein beizugeben, sondern alle Veranlassung, die-ser Willkür und diesem Übergriff der acht Richter auf die Leben unserer Kinder entschieden und geschlossen entgegenzutreten.
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