„Ich dachte, ich bin in sechs Wochen tot“
Eine Operation am Gehirn bei vollem Bewusstsein – was sich befremdlich anhört, ist heute ein selbstverständlicher Teil der modernen Neurochirurgie. Der Patient oder die Patientin ist während des Eingriffs wach und spricht mit dem OP-Team. Eine solche Wach-Operation wird dann erforderlich, wenn zum Beispiel ein Hirntumor sehr nah an die Strukturen für Sprachfähigkeit heranreicht. Wie im Fall von Anja Werner. Die 43-Jährige erhielt Anfang Dezember 2022 überraschend die Diagnose Hirntumor. Der Krebs beeinträchtigte das Sprachzentrum und die Bewegungsfähigkeit der rechten Körperhälfte. Und er wuchs sehr schnell. "Das war ein besorgniserregendes Anzeichen, dass schnelles Handeln erforderte", erklärt Prof. Erdem Güresir, Direktor der Klinik für Neurochirurgie am UKL, rückblickend. In dieser Lage entschied er sich kurz vor Weihnachten dafür, eine Wachoperation zur Entfernung des Tumors vorzuschlagen. "Eigentlich war zu wenig Zeit für die Vorbereitung, aber mehr hatten wir eben nicht", so der Hirnspezialist.
Die Patientin entschloss sich zu der besonderen Operation. "Ich dachte, ich habe nur noch sechs Wochen", beschreibt sie ihre Situation. Zu der Zeit kann sie sich kaum noch verständigen, leidet an starken Wortfindungsstörungen und Lähmungen der rechten Körperseite. Zwei Monate später, im Februar 2023, kommt sie ganz ohne Hilfsmittel zur Strahlenbehandlung ins UKL und berichtet mehr als eine Stunde lang von ihrer Erfahrung: "Ich hatte schon Angst vor dem Eingriff, aber es war kein bisschen beängstigend. Jederzeit würde ich mich wieder so entscheiden. Die Operation hat mir mein Leben und meine Stimme wieder geschenkt." Sie möchte anderen Betroffenen Mut machen, ebenfalls einen solchen Schritt zu gehen. "Ich wusste vorher gar nicht, dass es so etwas gibt und wie das abläuft. Jetzt weiß ich – es lohnt sich, diese Chance wahrzunehmen."
Wenn alles gut verläuft, die Strahlentherapie und die Chemotherapie wirken, kann Anja Werner optimistisch ihre Zukunft planen. "Wir sehen immer wieder Menschen, denen die Behandlung gute Lebensjahre ermöglicht", beschreibt Prof. Güresir, "vor allem, wenn es uns gelingt, den Tumor vollständig zu entfernen."
Hochspezialisiertes Team im OP
So wie im Fall von Frau Werner. "Durch die Wach-OP konnten wir die aus mehreren Knoten bestehende Geschwulst millimetergenau entfernen", so der Neurochirurg. Dazu wurden die Tumorzellen mit einer fluoreszierenden Flüssigkeit markiert, so dass diese im OP unter dem Mikroskop leuchteten und dem Chirurgen den Weg wiesen. Gleichzeitig wurde mit speziellen Tests immer wieder überprüft, welche der Strukturen für die Sprache, das Sprachverstehen und die Motorik wichtig sind und nicht verletzt werden sollten. Dazu stehen neben den Chirurgen, Anästhesisten und Fachpflegekräften auch Elektrophysiologen und Logopäden bei einer solchen Operation mit am Tisch – insgesamt bis zu acht Personen. Während die einen dafür sorgen, dass die Patienten trotz Bewusstsein keinen Schmerz spüren, helfen die anderen, den Tumor genau zu lokalisieren. Dabei werden mit speziellen Sonden bestimmte Hirnareale stimuliert und die Patienten zum Sprechen aufgefordert. Wie gut das klappt gibt Hinweise darauf, welche Aufgaben diese Bereiche übernehmen. So können die Chirurgen vor einem Schnitt herausfinden, ob Gewebe ohne Funktionsbeeinträchtigung entfernt werden kann oder wo der Schnitt enden muss. "Würden die Patienten schlafen, könnten wir erst nach dem Ende der Operation das Ergebnis sehen", so Güresir. Dann könnten wichtige Bereiche unwiderbringlich verloren sein. Weil jedes Gehirn im Detail individuell ist, kann niemand mit Sicherheit sagen, welche Strukturen genau welche Aufgaben erfüllen. "Mit den Tests vor und nach der Wachoperation können wir die Funktionen besser eingrenzen, und mit Hilfe der Bildgebung wie einem MRT während der Operation, dass es am UKL ja seit kurzem direkt im OP-Saal gibt, und den Fluoreszenzfiltern genau überprüfen, wie umfassend wir das Tumorgewebe entfernen konnten."
Das ist bei Anja Werner vollständig gelungen, und ohne wichtige Funktionen zu beeinträchtigen. Etwa vier Stunden dauerte der Eingriff, in dieser Zeit war sie etwa zwei Stunden wach oder im Dämmerschlaf. "Wir haben uns ja ganz viel unterhalten", erinnert sie sich an diese Zeit. "So richtig lang kam mir das gar nicht vor." Auch danach blieb sie nur kurz im Klinikum, schon am 27. Dezember ging es heim. Am 29. wurde die Weihnachtsente nachgeholt – von ihr zubereitet. "Sie will bei allem wieder voll loslegen – da muss ich richtig bremsen", beschreibt ihr Mann. "Und ich habe meine Stimme wieder, ich bin wieder ich", ergänzt Anja Werner.
Dafür ist sie den Ärzten unendlich dankbar. Im Frühsommer wird die laufende Behandlung abgeschlossen sein, für August ist ein erster Urlaub geplant. Auf den hoffentlich noch weitere folgen werden. "Ich versuche im Hier und Jetzt zu sein", sagt sie, "aber ich hoffe sehr, dass ich zu denen gehöre, die fünf Jahre tumorfrei bleiben."
*Name geändert
Das Universitätsklinikum Leipzig (UKL) versorgt als Klinikum der Maximalversorgung mit 1451 Betten jährlich mehr als 400.000 Patienten ambulant und stationär. Das UKL verfügt über eine der modernsten baulichen und technischen Infrastrukturen in Europa. Mehr als 6000 Beschäftigten arbeiten hier und sorgen dafür, dass die Patienten Zuwendung und eine exzellente medizinische Versorgung auf höchstem Niveau erhalten. Damit ist das UKL einer der größten Arbeitgeber der Stadt Leipzig und der Region und Garant für Spitzenmedizin für Leipzig und ganz Sachsen.
Universitätsklinikum Leipzig AöR
Liebigstraße 20
04103 Leipzig
Telefon: +49 (341) 97109
http://www.uniklinik-leipzig.de
Pressesprecherin / Ltr. Unternehmenskommunikation
Telefon: +49 (341) 97-15905
Fax: +49 (341) 97-15906
E-Mail: presse@uniklinik-leipzig.de