Gesundheit & Medizin

Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie

Wissenschaftler:innen der Sektion für Bewegungsstörungen und Neurostimulation der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz haben eine wesentliche neue Erkenntnis zur Funktionsweise des Gehirns erzielt: Der sogenannte Nucleus subthalamicus, ein Nervenkern im Stammhirn, reguliert sowohl die Geschwindigkeit, mit der Bewegungen ausgeführt werden, als auch die Geschwindigkeit von Prozessen der Entscheidungsfindung. Das erfolgt, so das neue Forschungsergebnis, unabhängig voneinander. Dieses Wissen ist Grundlage für eine verbesserte Form der Tiefenhirnstimulation, mit der Bewegungsstörungen bei Parkinson-Betroffenen jetzt noch gezielter behandelt werden können. Die Studie wurde in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Zu den typischen Parkinson-Symptomen zählen motorische Störungen. In vielen Fällen zeigt sich bei den Betroffenen eine Verlangsamung der Bewegungen. Ein etabliertes Therapieverfahren dieser Bewegungseinschränkungen ist die Tiefenhirnstimulation, kurz THS. Bei der umgangssprachlich auch als Hirnschrittmacher bezeichneten Behandlungsform wird der Nucleus subthalamicus in den Basalganglien des Gehirns elektrisch stimuliert, um insbesondere die Bewegungsgeschwindigkeit zu verbessern. Der Nachteil: Bei einigen THS-Patient:innen kommt es durch die Stimulation des Hirnnervenkerns gleichzeitig zu einer unerwünschten Beschleunigung der Entscheidungsfindung.

Welche Bedeutung das im Alltag der Betroffenen haben kann, beschreibt Univ.-Prof. Dr. Sergiu Groppa, Leiter der Sektion Bewegungsstörungen und Neurostimulation der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz, am Beispiel eines Restaurant-Besuchs: „Die THS soll den Betroffenen helfen, ihre Bewegungen kontrollierter ausführen zu können, beispielsweise beim Essen mit Besteck. Sie sollten dabei zudem aber weiterhin in der Lage sein, die Geschwindigkeit ihrer Entscheidungen zu steuern, um nicht etwa vorschnell das erste Gericht auf der Speisekarte zu bestellen.“

Die Studienergebnisse der Forschenden um Professor Groppa stellen einen vielversprechenden Ansatz dar, um die THS weiterzuentwickeln. Die neurowissenschaftlichen Untersuchungen der Aktivität des Nucleus subthalamicus haben gezeigt, dass es keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Kontrolle der Bewegungsgeschwindigkeit und der Regulation der Geschwindigkeit von Prozessen zur Entscheidungsfindung gibt. So konnten die Studienteilnehmenden Bewegungen schnell ausführen, ohne dass sie gleichzeitig Entscheidungen schneller treffen mussten und umgekehrt. Ausgehend von dieser Erkenntnis haben die Mainzer Wissenschaftler:innen ein verbessertes THS-Verfahren entwickelt.

„Durch eine neue Form der Neurostimulation, bei der die Stromimpulse nur in kurzen Intervallen – sogenannten Bursts –  gegeben werden, ist es uns gelungen, die Motorik der Patientinnen und Patienten noch gezielter und separat von der Entscheidungsfindung zu beeinflussen“, erläutert Professor Groppa.

An der Studie nahmen insgesamt 15 Parkinson-Patient:innen teil, bei denen im Vorfeld ein Tiefenhirnstimulator zur Behandlung der Bewegungsstörungen implantiert worden war. Um die Mechanismen der Bewegungs- und Entscheidungskontrolle im Gehirn zu erforschen, gaben die Wissenschaftler:innen kurze Stimulationsimpulse und erstellten Aufnahmen der elektrischen Aktivität des Nucleus subthalamicus der Proband:innen.

Morbus Parkinson ist mit rund 300.000 Betroffenen nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung in Deutschland. Neben der Bewegungsverlangsamung können weitere motorische Störungen wie beispielsweise eine zunehmende Muskelsteifheit, Zittern sowie eine instabile Körperhaltung auftreten. Die THS kommt in der Regel zur Anwendung, wenn die medikamentöse Parkinson-Therapie nicht mehr ausreichend ist und die Betroffenen deshalb an Lebensqualität verlieren. In einem operativen Eingriff werden dabei unter Vollnarkose zunächst kleine Elektroden im Gehirn platziert. Diese werden mit einem Impulsgenerator verbunden, der auf dem Brustkorb implantiert wird. Die THS-Therapie ist vollständig reversibel – der Hirnstimulator kann abgeschaltet und wieder komplett aus dem Körper entfernt werden.

In der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz wird das THS-Verfahren seit fast 20 Jahren in enger Kooperation mit der Klinik für Neurochirurgie eingesetzt. Jährlich werden rund 40 bis 50 Eingriffe durchgeführt. Damit zählt die Universitätsmedizin Mainz zu den größten THS-Behandlungszentren in Deutschland. Seit Ende 2021 steht den THS-Patient:innen in Mainz zusätzlich die telemedizinische THS-Therapie zur Verfügung.

Originalpublikation:

Herz DM, Bange M, Gonzalez-Escamilla G, Auer M, Ashkan K, Fischer P, Tan H, Bogacz R, Muthuraman M, Groppa S, Brown P. Dynamic control of decision and movement speed in the human basal ganglia. Nat Commun. 2022 Dec 7;13(1):7530.
DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-022-35121-8

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Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten und jährlich mehr als 300.000 Menschen stationär und ambulant versorgen. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.300 Studierende der Medizin und Zahnmedizin sowie mehr als 600 Fachkräfte in den verschiedensten Gesundheitsfachberufen, kaufmännischen und technischen Berufen werden hier ausgebildet. Mit rund 8.600 Mitarbeitenden ist die Universitätsmedizin Mainz zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de.

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