Natürliche Hochwasservorsorge: mehr Zustimmung durch bessere Kommunikation
Flutkatastrophen durch Hochwasser gab es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland immer wieder, etwa 2002 und 2013 an der Elbe und im Jahr 2021 in der Eifel. Mit dem fortschreitenden Klimawandel werden schwere Hochwasser- und Überflutungsereignisse in Zukunft voraussichtlich häufiger auftreten. Wichtig ist daher eine schnelle Umsetzung wirksamer Schutzmaßnahmen in gefährdeten Gebieten.
In der Vergangenheit wurde im Hochwasserschutz insbesondere auf technische Lösungen wie das Errichten von flussnahen Deichen oder den Bau von Wasserrückhaltebecken gesetzt. Das reicht aber oftmals nicht mehr aus, um effektiv vor Überschwemmungen zu schützen. Deutschland- und europaweit rücken daher nun vermehrt sogenannte naturbasierte Lösungen wie Deichrückverlegung und Auenrenaturierung in den Fokus. "Das Ziel solcher Vorhaben ist es, dem Fluss mehr Raum zu geben, damit er sich bei Hochwasser in der Fläche ausbreiten kann, und die wiederbelebten Auenlandschaften ihre wasseraufnehmende Wirkung voll entfalten können", sagt Prof. Christian Kuhlicke, Leiter des Departments Stadt- und Umweltsoziologie am UFZ. "Die natürliche Hochwasservorsorge schlägt dabei gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Sie senkt das Überflutungsrisiko nachhaltig, stellt das natürliche Bild der Flusslandschaft wieder her, erhöht die biologische Vielfalt und kann auch die Lebensqualität in der Region steigern."
Doch häufig steht die ortsansässige Bevölkerung natürlichen Hochwasserschutzmaßnahmen skeptisch oder kritisch gegenüber. So gibt es etwa Befürchtungen, dass sie nicht so effektiv sein könnten wie der herkömmliche technische Hochwasserschutz. Die Eingriffe in die Landschaft erscheinen gravierend, und es gibt Unsicherheiten, ob sich das Landschaftsbild zum Positiven verändern wird. Auch die neue Nähe zum sich ausbreitenden Fluss kann bedrohlich wirken. "Durch den rückverlegten Deich gelangt das Wasser bei Hochwasserständen womöglich viel näher an das eigene Haus. Dass der Fluss nun sichtbarer ist, kann insbesondere Menschen, die schon häufiger von Hochwasser betroffen waren, Angst machen – obwohl die Sicherheit durch die neuen Maßnahmen tatsächlich höher sein kann als zuvor", erklärt Kuhlicke.
In seiner Studie wollte das UFZ-Team herausfinden, wie die Menschen, die in der Nähe von Deichrückverlegungsgebieten wohnen, die natürlichen Hochwasserschutzmaßnahmen wahrnehmen, und wie gut sie sich informiert fühlen. Das Forschungsteam befragte dafür 304 Menschen aus insgesamt fünf Orten bzw. Städten in Sachsen-Anhalt an der Elbe (Lödderitz, Kühren, Aken, Rosslau, Vockerode), in deren Nähe Maßnahmen zur Deichrückverlegung bzw. Auenrenaturierung durchgeführt wurden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickelten dafür einen Fragebogen, der auf einem neuen sozialwissenschaftlichen Forschungsmodell basiert (PRAM-Modell, engl.: place-based risk appraisal model), das die Vergleichbarkeit der Befragungen erleichtert. Der Fragebogen umfasste 18 Fragen bzw. Aussagen, zu denen die Teilnehmenden ihre Zustimmung oder Bewertung auf einer Skala von 1 bis 7 angeben sollten. Zum Beispiel: Wie ist Ihre Einstellung zu dem Deichrückverlegungsprojekt? Wie machtlos haben Sie sich bei dieser Überschwemmung gefühlt? Ich kann mich vollständig auf den öffentlichen Hochwasserschutz in meiner Gemeinde verlassen. Für wie wahrscheinlich halten Sie das Auftreten einer schweren Überschwemmung innerhalb der nächsten fünf Jahre in Ihrer Gemeinde?
"Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich sowohl Menschen, die sich mit ihrem Heimatort besonders verbunden fühlen, als auch diejenigen, die sich stark vom Hochwasser bedroht fühlen, den Maßnahmen eher ablehnend gegenüberstehen. Das war insbesondere der Fall, wenn sie bereits Fluterfahrungen gemacht hatten. Studienteilnehmende, die sich gut informiert fühlten und dem lokalen Risikomanagement vertrauten, unterstützten dagegen die naturbasierten Maßnahmen eher", erläutert Dr. Sungju Han, Mitarbeiterin am UFZ-Department Stadt- und Umweltsoziologie, ehemalige Doktorandin an der Universität Potsdam und Erstautorin der Studie.
Doch was bedeuten die Ergebnisse für die Planung künftiger Hochwasserschutzprojekte? "Die Ängste und Sorgen der Bevölkerung sollten unbedingt ernstgenommen werden. Durch bessere Information und Kommunikation – am besten schon ganz zu Anfang der Planungsphase – können viele Befürchtungen ausgeräumt werden", sagt Kuhlicke, der Letztautor der Studie ist. "Wichtig ist dabei insbesondere, zu verdeutlichen, dass es auch bei der natürlichen Hochwasservorsorge zuallererst darum geht, die Bevölkerung effektiv vor den Auswirkungen großer Hochwasserereignisse zu schützen. Und zwar durch mehr Raum für den Fluss. Alles andere – die naturnähere Flusslandschaft oder die Erhöhung der biologischen Vielfalt – sind positive Nebeneffekte, jedoch nicht das primäre Ziel." Han ergänzt: "Nimmt man die Bevölkerung nicht mit und bindet sie nicht ein, können Vorhaben zum Hochwasserschutz oftmals nur gegen große Widerstände realisiert werden, was meist mit erheblichen Zeitverlusten einhergeht. Und das kann gefährlich werden, denn man weiß nie, wann es zum nächsten Hochwasser kommt."
Neben der Studie in Sachsen-Anhalt führt das UFZ-Team eine Reihe weiterer Befragungsstudien zu diesem Thema in verschiedenen Gebieten Europas durch. Sie sind Teil des EU-Projekts RECONECT, das durch Horizont 2020, dem Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung und Innovation, gefördert wird. Ziel der Forschung des UFZ im RECONECT-Projekt ist es unter anderem, Hindernisse bei der Realisierung der natürlichen Hochwasservorsorge zu identifizieren. Grundlage dafür ist die Forschung in acht europäischen Ländern. Die Dissertation von Dr. Sungju Han wurde durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) unterstützt.
Publikation:
Sungju Han, Philip Bubeck, Annegret Thieken, Christian Kuhlicke, Risk Analysis (2023): A place-based risk appraisal model for exploring residents’ attitudes toward nature-based solutions to flood risks, DOI: 10.1111/risa.14118, https://doi.org/10.1111/risa.14118
Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
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Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.
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