3D-gedruckte Pillen mit gewünschter Wirkstofffreisetzung – ein Entwicklungsschritt in der Medizin
Die Steuerung des Arzneimittelspiegels im Patienten ist ein wichtiger Bestandteil der Medikation. Bei der intravenösen Infusion wird die Konzentration im Blut durch die Tropfgeschwindigkeit multipliziert mit dem Anteil des Arzneimittels in der Infusionslösung bestimmt. Ein konstanter Wirkstoffspiegel kann z.B. erreicht werden, indem zunächst eine hohe Dosis verabreicht wird und diese dann durch kleinere Dosen aufrechterhalten wird. Bei der oralen Verabreichung ist dieses Regime allerdings sehr viel schwieriger zu gewährleisten. Eine Idee wäre die Verwendung von Multikomponenten- und Multimaterialstrukturen mit unterschiedlichen Wirkstoffkonzentrationen an verschiedenen Stellen, die nur schwierig herzustellen sind. Die großen Fortschritte im 3D-Druck und dessen Fähigkeit zur Herstellung komplexer Formen, ermöglichen als praktikable Option andererseits die Herstellung von Freiform-Arzneimitteln mit einer konstanten Verteilung der Biochemikalie im Trägermaterial. Bei solchen Arzneimitteln hängt die Freisetzung ausschließlich von der geometrischen Form ab, die viel leichter zu gewährleisten und zu kontrollieren ist.
In dem von Dr. Vahid Babaei (MPI für Informatik) und Prof. Julian Panetta (UC Davis) geleiteten Projekt werden 3D-Objekte hergestellt, die sich in einer gewünschten Funktion der Zeit auflösen und so ihren Inhalt kontrolliert freisetzen. Durch eine geschickte Kombination von mathematischer Modellierung, experimentellem Aufbau und 3D-Druck kann das Team 3D-Formen drucken, die beim Auflösen eine zeitlich festgelegte Menge an Medikamenten abgeben. Auf diese Weise lassen sich bei der oralen Verabreichung vorbestimmte Wirkstoffkonzentrationen einstellen.
Da nach der Einnahme im Verdauungstrakt keine äußere Beeinflussung mehr möglich ist, muss die gewünschte zeitabhängige Wirkstofffreisetzung durch die Form (aktive Oberfläche, die sich auflöst) des Probekörpers erzeugt werden. Mit einigem Aufwand kann die zeitabhängige Freisetzung aus einer gegebenen geometrischen Form berechnet werden. Für eine Kugel beispielsweise ist sie streng proportional zur abnehmenden Kugeloberfläche. Das Forscherteam propagiert eine, auf geometrischer Intuition beruhende, Vorwärtssimulation derart, dass Objekte schichtweise aufgelöst werden. Praktiker sind jedoch meist daran interessiert, zunächst eine gewünschte Freisetzung zu definieren und dann eine Form zu finden, die sich gemäß diesem Freisetzungsprofil auflöst. Selbst bei dieser effizienten Vorwärtssimulation ist das Reverse Engineering zur Ermittlung der geeigneten dreidimensionalen Form für ein gewünschtes Arzneimittelregime mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.
Hier kommt die Topologieoptimierung (TO) zum Einsatz: Vorwärtssimulationen werden invertiert, um eine Form zu finden, die eine bestimmte Eigenschaft aufweist. Ursprünglich für mechanische Bauteile entwickelt, hat die TO inzwischen ein breites Anwendungsspektrum gefunden. Die Arbeitsgruppe ist die erste, die eine inverse Designstrategie vorschlägt, um die Form aus dem Freisetzungsverhalten auf der Grundlage der Topologieoptimierung zu finden. Die Auflösung wird mit Hilfe von Experimenten validiert: Die gemessenen Freisetzungskurven liegen sehr nahe an den gewünschten Werten.
Im Versuchsaufbau werden die Objekte mit einem Filament-3D-Drucker gedruckt. Die Auflösung der Objekte wird dann mit einem Kamerasystem ausgewertet, d. h. tatsächlich gemessen und nicht nur durch ein mathematisches Modell berechnet. Zu diesem Zweck wird die optische Durchlässigkeit des Lösungsmittels optisch erfasst. Im Gegensatz zu üblichen Messverfahren, bei denen die Wirkstoffkonzentration direkt bestimmt wird (z.B. durch Titration), ist diese Methode wesentlich schneller und einfacher einzurichten. Optische Methoden zur Messung der Wirkstoffdichte sind übrigens schon länger im Einsatz: Beim Einmaischen von Trauben zur Weinherstellung wird der Zuckergehalt (Öchsle) des Traubensaftes refraktometrisch bestimmt.
Die Methode des inversen Designs kann auch die unterschiedlichen Herstellbarkeitsbeschränkungen der verschiedenen Fertigungssysteme berücksichtigen. Sie kann beispielsweise so modifiziert werden, dass sie extrudierbare Formen erzeugt und somit einer Massenproduktion nicht im Wege steht. Über die diskutierte Anwendung in der Pharmazie hinaus sind damit auch die Herstellung von Katalysatorkörpern oder sogar grobkörnigen Düngemitteln denkbar.
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