Blick in die datengefütterte Glaskugel: Was erwartet das Gesundheitswesen?
Die Gesundheitsausgaben steigen seit Jahren in Deutschland stetig an. Mit einem Anstieg von 5,5 Prozent pro Kopf sorgten die Arzneimittelausgaben 2022 für die größten Kostensteigerungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Ursachen dafür sind vielfältig: Die Lebenserwartung steigt kontinuierlich, der medizinische Fortschritt ermöglicht komplexe Behandlungsmethoden, Risikogruppen benötigen teure und neue Medikamente. Dies hat zuletzt zu zahlreichen intensiven Debatten geführt.Mittel- und langfristige Prognosen zu den Arzneimittelausgaben sind jedoch bisher immer noch rar. Eine junge Forscherin der Hochschule Aalen engagiert sich mit großer Begeisterung dafür, diese Lücke mit ihrer praxisorientierten Forschung zu schließen.
Nachdem Dr. Valeska Hofbauer-Milan an der Hochschule Aalen ihr Bachelorstudium im Gesundheitsmanagement absolvierte, stieg sie bei der AOK Baden-Württemberg ein und startete nebenberuflich das Masterstudium in Gesundheitsmanagement und anschließend eine berufsbegleitende Promotion. Die kooperative Promotion schloss sie kürzlich an der WHU – Otto Beisheim School of Management erfolgreich ab. In ihrer Forschung trieb die 33-Jährige wichtige Themen rund um die Entwicklung und Nachhaltigkeit von Arzneimittelausgaben voran. Unterstützung erfuhr sie dabei an der Hochschule Aalen von ihrem Mentor und Forschungspartner Prof. Dr. Stefan Fetzer.
Eine aktuelle Studie von Hofbauer-Milan und Fetzer beleuchtet die zukünftige Entwicklung von Arzneimittelausgaben. Sie prognostiziert einen starken Anstieg der Arzneimittelausgaben in Deutschland insgesamt, insbesondere aber im Bereich hochpreisiger Spezialtherapien. Die Modellierung eines Basisszenarios, das die bisherige Ausgabenentwicklung bei hochpreisigen Therapien wie bestimmten Krebsmedikamenten noch außen vor lässt, geht bereits von einer 40-prozentigen Ausgabensteigerung bis 2060 aus. Wird die bisherige Kostenentwicklung dieser Medikamente in der Modellierung berücksichtigt, wird eine Verdopplung der Arzneimittelausgaben bis 2060 prognostiziert. Führen die hochpreisigen Therapien zusätzlich zu einer Lebenserwartungszunahme der Patientinnen und Patienten, könnten die Arzneimittelausgaben bis 2060 sogar um 150 Prozent steigen.
Dies offenbart die ungleichmäßige Verteilung der Gesundheitsausgaben: 2018 verursachten die teuersten ein Prozent der Patientinnen und Patienten 46 Prozent der Arzneimittelausgaben. Daraus folgernd ist die bisherige Betrachtung von Durchschnittswerten nach Alter und Geschlecht bei der Prognose von Arzneimittelausgaben nicht ausreichend. „Der gesetzliche Rahmen sieht aktuell eine wohlwollende Bewertung und großzügige Preisgestaltung bei Arzneimitteln für seltene Erkrankungen vor“, erklärt die Forscherin. Daher sei wichtig, kritisch zu hinterfragen, ob neue Medikamente wirklich einen Mehrwert, eine verbesserte Lebensqualität für die Patientinnen und Patienten, im Vergleich zu den bereits auf dem Markt vorhandenen Präparaten bieten. Für das Ausmaß der zukünftigen Ausgabensteigerung im Arzneimittelbereich sei auf Basis der aktuellen Forschungsergebnisse entscheidend, ob sich die Preisentwicklung bei sehr kostspieligen Spezialtherapien weiter fortsetze, und ob Patientinnen und Patienten, die diese Therapien erhalten, ebenso von steigender Lebenserwartung profitieren. „Das Gesundheitswesen muss sich in jedem Fall auf weiter steigende Arzneimittelausgaben und neue Herausforderungen einstellen wie beispielsweise auch auf einen wachsenden Druck auf ethische Entscheidungen“, so Hofbauer-Milan.
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