Übergänge bei Kindern: wie sich Folgen von Veränderungen auffangen lassen
Vieles im Leben ist nicht planbar. Oder verläuft anders als gedacht. Für Erwachsene sind Übergänge durch Umzug, Trennung, Erkrankungen, Unfälle oder den plötzlichen Tod naher Menschen oftmals schwer zu bewältigen. Bei Kindern verhält es sich nicht anders. Auch wenn die Eltern denken, sie hätten das Kind gut auf eine anstehende Veränderung wie die Geburt des Geschwisterkindes, den Eintritt in den Kindergarten oder den Wiedereinstieg der Mutter in das Berufsleben und die Betreuung durch eine neue Bezugsperson vorbereitet: In der Realität gestaltet sich dann doch manches anders als erwartet. Oder es passiert etwas, mit dem niemand rechnet. Übergänge können – entsprechend vorbereitet und begleitet – entwicklungsfördernd sein, aber das Gegenteil ist genauso möglich. „Wichtig ist, das Kind genau zu beobachten“, rät die Ergotherapeutin Anne-Rose Fuchs betroffenen Eltern und fährt fort: „Aggressives Verhalten, psychosomatische Symptome, das Übernehmen einer Rolle, die noch viel zu groß ist für das Kind oder Rückzug: Die Bandbreite der Reaktionen, die darauf hindeuten, dass die Veränderung durch den Übergang Stress und Überforderung für das Kind bedeuten, ist groß“.
Breitgefächertes Beratungs- und Hilfsangebot für Eltern – auch durch Ergotherapeut:innen
Zeigt ein Kind nach einem solchen Übergang ein wie auch immer verändertes Verhalten, ist es keineswegs übertrieben vorsichtig, sich sofort um professionellen Rat und gegebenenfalls Hilfe zu kümmern. Zunächst erhalten Eltern, die sich um ihr Kind sorgen, ohnehin „nur“ Informationen. So lässt sich aber viel besser einschätzen, ob das Kind mit dem Erlebten klarkommt oder sich bereits eine Entwicklungsverzögerung oder eine Störung anbahnt. Je nach Schwere des Übergangs, etwa bei einer Trennung oder Tod, erkennen die Eltern oder Elternteile mitunter in solchen Gesprächen, dass sie selbst ebenfalls, weiterhin oder zusätzliche Hilfe benötigen, damit das Familiensystem wieder aus der Schieflage kommt. Außer den „Frühen Hilfen“, die für Eltern oder Mütter bereits ab der Schwangerschaft da sind, gibt es verschiedene Angebote von Erziehungsberatungs- oder Frühförderstellen, von der Sozialpädagogischen Familienhilfe (einem Angebot des Jugendamtes) und dem Kinderschutzbund. Wer sich mit seinen Sorgen oder Familienproblemen an eine Frühförderstelle wendet, erfährt in einem Elterngespräch unter anderem, wie es weitergehen kann und dass im Bedarfsfall Kinder- oder Kinderfachärzt:innen eine Verordnung für Ergotherapie ausstellen. Oft verordnen Ärzt:innen eine sensomotorisch-perzeptive Behandlung, da diese das gesamte Spektrum an Möglichkeiten durch Ergotherapeut:innen umfasst.
Mit Ergotherapeut:innen gewinnen Eltern einen positiven Blick auf das Kind zurück
Am Anfang jeder ergotherapeutischen Intervention steht die Diagnostik. „Es geht darum herauszufinden, wie weit ist das Kind in seiner Entwicklung, wo bestehen möglicherweise Defizite, aber vor allem: was kann das Kind, was mag es, was mag es nicht und wovor hat es Angst“, betont die Ergotherapeutin Fuchs und erklärt, dass sich ihre Berufsgruppe darauf fokussiert, welche Fähigkeiten und Ressourcen ein Kind in sich trägt. Diese für Ergotherapeut:innen typische Einstellung verändert oft schon von Anfang an auch den Blickwinkel der Eltern. Eltern sind vielfältigen Einflüssen ausgesetzt, hören häufig von unterschiedlichen Personen wie Erzieher:innen, Pädagog:innen, Oma, Opa oder wem auch immer, was ihr Kind alles nicht kann. Dass vieles jedoch meist der durchlebten Situation oder der Familienkrise und nicht der Unfähigkeit des Kindes oder der Eltern geschuldet ist, wird dabei oft vergessen. Wer schwierige Lebensphasen durchlebt (hat), hat in der Folge oft Schwierigkeiten und benötigt Hilfe von dafür ausgebildeten Expert:innen. Das gilt für Eltern und Kinder gleichermaßen. Entsprechende Hilfe anzunehmen ist alles andere als eine Bankrotterklärung an die Erziehungskompetenz der Eltern, sondern zeigt vielmehr deren zielgerichtetes Handeln, um wieder zu mehr emotionaler Stabilität der einzelnen Familienmitglieder und somit im gesamten Familiensystem zu gelangen.
Kinder zeigen bei Übergängen unterschiedliche Reaktionen
Im weiteren Verlauf der ergotherapeutischen Intervention klärt Anne-Rose Fuchs mit den Eltern, welcher Bedarf beim Kind oder eventuell auch im System besteht. „Kinder, die rebellisch sind, aufbegehren, sich selbst oder andere verletzen, an sich herumzupfen oder sich ständig grundlos kratzen, zeigen so, dass sie Hilfe brauchen – im Gegensatz zu denen, die sich zurückziehen, viel alleine spielen, statt den Kontakt mit anderen Kindern aufrechtzuerhalten oder zu suchen“, verdeutlicht die Ergotherapeutin, warum Eltern sich bitte nicht von ihrem Kind, das neuerdings „so schön“ alleine spielt, täuschen lassen sollten. Der Hilferuf dieser Kinder ist stumm, sie sind in der Ohnmacht. Die stillen Kinder holen Ergotherapeut:innen aus ihrem Schneckenhaus hervor, genauso wie sie mit den lauten, aggressiven Kindern ihren ganz individuellen Umgang haben. Ausgangsbasis für eine erfolgreiche ergotherapeutische Arbeit ist in jedem Fall ein stabiles Vertrauensverhältnis zwischen Kind, Ergotherapeut:in und den Eltern. Ist dieses aufgebaut, beginnen Ergotherapeut:innen damit, die Stärken des Kindes weiter zu fördern und die zu wenig ausgebildeten Fertigkeiten wie etwa schlechte Konzentrationsfähigkeit, zu wenig Ausdauer, fehlende Handlungsplanung oder hohe Ablenkbarkeit zu verbessern. Spielerisch, versteht sich. Und so, dass die Kinder die Übungen gerne machen und sie ihrem Können entsprechen.
Ergotherapeut:innen kombinieren Spielerisches mit Zielführendem
Die Ergotherapeutin veranschaulicht das an einem Beispiel: Interessiert sich ein Kind für Autos, darf es ein Auto bauen – nach einer Vorlage oder nach eigenen Ideen. Auf diesem Weg werden sämtliche Fertigkeiten trainiert: Konzentration, Ausdauer, Handlungsplanung und -fähigkeit und zwar ohne, dass das Kind bemerkt, dass es „arbeitet“. Mit einem für das Kind spannenden Ziel und einer Aufgabe, die es mag, ist die Motivation hoch, das Kind möchte mitmachen. „Es ist maßgeblich, dass das Kind gerne in die Therapie kommt, denn neben dem Spielerischen kommen punktuell und altersabhängig auch Arbeitsblätter zum Einsatz“, erklärt Anne-Rose Fuchs das ergotherapeutische Vorgehen weiter. Arbeitsblätter sind beispielsweise für Vorschulkinder wichtig, um sie an das Thema Schule und Hausaufgaben heranzuführen – in Maßen und im Tempo des Kindes selbstverständlich. Die Ergotherapeutin orientiert sich grundsätzlich am Tempo und dem jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes. Das geschieht auch, um dem gestressten oder überforderten Kind immer Sicherheit zu vermitteln und gleichzeitig einen Erfolg bei dem, was es tut, zu ermöglichen. Ein weiteres, übergeordnetes Ziel ist immer, die Kinder und die Eltern zu befähigen, die bei Ergotherapeut:innen erlernten Strategien umzusetzen und weiter an der Eltern-Kind-Beziehung zu arbeiten. Begleitend zur Therapie und für die Zeit danach bekommen die Eltern daher ebenfalls Aufgaben. „Gehen Sie mit Ihrem Kind raus, gehen Sie auf den Spielplatz, spielen Sie Waldbingo, beziehen Sie das Kind im Alltag ein, lassen sie es den Tisch decken, beim Backen helfen“, verrät die Ergotherapeutin Fuchs, wie sie die Eltern einbezieht und der Therapie eine Nachhaltigkeit verleiht, die weit über die ergotherapeutische Intervention hinausgeht.
Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeut:innen vor Ort; Ergotherapeut:innen in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes unter https://dve.info/service/therapeutensuche
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