Kunst & Kultur

Vier Stücke in der engeren Auswahl um den Sieg beim dritten Dramenwettbewerb »Science & Theatre« von Theater Heilbronn und experimenta

Zum dritten Mal veranstalten die experimenta und das Theater Heilbronn gemeinsam das Internationale Festival »Science & Theatre«. Vom 15.-19. November 2023 laden verschiedenste künstlerische Arbeiten dazu ein, über die Möglichkeiten und Grenzen von Forschung und Wissenschaft nachzudenken. Unter dem Festivalmotto »Utopie MenschMaschine?« wurde wieder ein internationaler Dramenwettbewerb initiiert, an dem 22 Autorinnen und Autoren teilgenommen haben. Eine Jury mit Vertretern aus Kunst und Wissenschaft hat die anonymisierten Texte gelesen und in einem Abstimmungsprozess die vier besten Stücke ausgewählt. Diese werden am Sonntag, 19. November, ab 15 Uhr an verschiedenen Orten im Theater in vier szenischen Lesungen vorgestellt. Das Gewinnerstück wird mit 10.000 Euro prämiert und im darauffolgenden Jahr im Science Dome der experimenta aufgeführt. Die zweit- und drittplatzierten Arbeiten erhalten ein Preisgeld von je 5.000 Euro. Mitglieder der Jury sind Festivalkuratorin Dr. Mirjam Meuser, Chefdramaturgin des Theaters Heilbronn; Prof. Dr. Nicole Ondrusch, Professorin für Software Engineering an der Hochschule Heilbronn; Prof. Dr. Bärbel Renner, Geschäftsführerin der experimenta; Axel Vornam, Intendant des Theaters Heilbronn, und Dr. Wolfgang Hansch, Mitglied des Aufsichtsrats und ehemaliger Geschäftsführer der experimenta.

Das Festival »Science & Theatre« wurde 2019 von Axel Vornam und Dr. Wolfgang Hansch ins Leben gerufen und findet seither alle zwei Jahre statt. Fester Bestandteil des Festivals ist auch von Anfang an der Dramenwettbewerb für noch nicht ur- oder in Deutschland erstaufgeführte Theatertexte, die sich einem gesellschaftlichen Diskurs im Kontext der modernen Wissenschaften stellen. Bisherige Gewinner waren Christina Kettering mit »Schwarze Schwäne« 2019 und Mario Wurmitzer mit »Veredelung der Herzen« 2021.

Folgende vier Stücke haben es 2023 in die engere Auswahl geschafft:

»Die letzte Nacht der Welt« (La dernière nuit du monde) von Laurent Gaudé (frei zur DSE). In Gaudés Stück geht es um die weltweite Abschaffung der Nacht und der damit verbundenen Ruhephasen für die Menschen. Mittels eines neuen Medikaments brauchen die Menschen nur noch 45 Minuten Schlaf am Tag. Die Produktivität der Gesellschaft, ja der gesamten Menschheit, wächst ins Unermessliche. Gabor, einer der Protagonisten dieser Weltrevolution, zahlt allerdings einen hohen Preis für seinen Glauben an den grenzenlosen Fortschritt und das bedingungslose Diktat der Effektivität. Und auch die Natur setzt sich zur Wehr. Laurent Gaudé imaginiert die Folgen des Umbaus des Menschen zur Arbeitsmaschine und stellt die Frage in den Mittelpunkt, ob all das, was denkbar und technisch möglich ist, auch unbedingt umgesetzt werden muss.

»Das vierte Treffen« von Ralf N. Höhfeld (frei zur UA) stellt uns ein besonderes Liebespaar vor. Die beiden sind perfekt – besonders attraktiv und klug. Fast zu schön um wahr zu sein. Und tatsächlich rückt die Frau bei ihrem vierten Treffen damit heraus, ein Roboter zu sein. Roboter ihrer Generation sind so perfekt, dass sie Menschen zum Verwechseln ähnlich sind. Und warum sollten sie keine Liebesbeziehung mit Wesen aus Fleisch und Blut eingehen können? Der Mann, der sich zunächst schwer irritiert gibt, muss letztlich zugeben, dass er auch nicht das ist, was er zu sein scheint. Ralf N. Höhfelds Stück kreist um die Frage, wie weit wir noch davon entfernt sind, dass man Roboter auch visuell und haptisch nicht mehr von Menschen unterscheiden kann? Ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir fehlbaren, vergänglichen Menschen durch ideale Nachbildungen ersetzt werden können? Aber wo bleibt dann das Glück?

»Cyborg oder Das Köterspiel« von Walter Brunhuber (frei zur UA)
Die Aufklärung ist am Ende. Den Menschen sind jegliches Mitgefühl und die Empathie abhandengekommen. Ein Ergebnis der natürlichen Selektion, die nur die stärksten überleben lässt. Empfindsamkeit und die Fähigkeit zu lieben scheinen beim Menschen nur noch mittels Implantation eines Chips in den Frontallappen des Gehirns hervorrufbar. Die neue Unmenschlichkeit bestimmt das Miteinander bis in die Paarbeziehungen hinein. Mara und Tonek zum Beispiel haben gegen die Langeweile in ihrer Ehe ein grausames Spiel entwickelt: das Köterspiel. Immer wenn es einem von beiden gelingt, dem anderen ein Hundehalsband anzulegen, muss sich der Unterlegene in die Rolle eines Hundes begeben.

Walter Brunhuber stellt zur Diskussion: Was, wenn die ethischen Regeln unseres Zusammenlebens nicht mehr fruchten? Hilft dann nur noch ein Bio-Update? Ist der Gedanke so absurd, das, was Philosophie und Religion nicht mehr an Orientierung für das Zusammenleben leisten können, durch »Gehirnmanipulation« zu ersetzen?
 
»Häufig gestellte Fragen zum Fortbestand der Menschheit« von Roman Eich (frei zur UA)
Eine Tages verschwindet die Künstliche Intelligenz LUCID aus einem Forschungslabor in Zürich. Zwölf Jahre später macht Astrophysiker Haase eine merkwürdige Entdeckung auf dem Merkur. Er bemerkt eine Helligkeitsanomalie, das Rückstrahlungsvermögen des Merkur, die sogenannte Albedo, verringert sich kontinuierlich. Langsam wird klar, dass eine von Menschen geschaffene künstliche Intelligenz sich unbemerkt von der Erde zum Merkur begeben hat und dort haufenweise Solarpanels errichtet, die die Sonnenenergie absorbieren. Wenn das so weiter geht, wird diese für das Leben auf der Erde bald nicht mehr ausreichen. LUCID braucht die Menschen nicht und arbeitet ungerührt an der Zerstörung seiner eigenen Schöpfer.

Wissenschaftsethiker stellen immer wieder zur Diskussion, ob sich die Machtverhältnisse zwischen Menschen und künstlicher Intelligenz nicht irgendwann umkehren. Mit viel Humor entwickelt Roman Eich ein apokalyptisches Szenario, das, so futuristisch es auch klingt, von einer zwingenden logischen Konsequenz ist.

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