27 Bäume im Westend bedroht
Die rechtliche Lage ist auf den ersten Blick eindeutig: Baurecht geht vor Baumrecht. Damit hat der Bauträger, in diesem Fall die Stadt München, das Recht, auch Bäume, die unter die Baumschutzverordnung fallen, für ein Bauvorhaben zu opfern. Auf den zweiten Blick ist die Sache komplizierter: Im Frühjahr 2021 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, es sei Aufgabe der Kommunen, künftige Generationen vor Beeinträchtigungen durch Umweltbelastungen zu schützen. Die aus Art. 2, Abs. 2, Satz 1, GG folgende Schutzpflicht umfasst die Verpflichtung, Leben und Gesundheit der Bürger vor den Gefahren des Klimawandels, etwa vor klimabedingten Extremwetterereignissen wie Hitzewellen, Wirbelstürmen, Starkregen und Überschwemmungen wirksam zu bewahren. Bereits zwei Jahre zuvor hatte die Stadt München die Dringlichkeit der Lage erkannt und 2019 den Klimanotstand ausgerufen.
Vor diesem Hintergrund beschloss der Stadtrat einstimmig, bis 2035 klimaneutral zu werden. Das Problembewusstsein von Seiten der Stadt ist vorhanden, die Zielmarke klar. Laut eines Gutachtens kann die Stadt München ihren CO2-Ausstoß aber nur zu 40 % beeinflussen. Das ist nicht allzu viel. Umso wichtiger ist es, alle sich bietenden Möglichkeiten auszuschöpfen.
Der Erhalt vitaler Großbäume stellt eine wirksame Maßnahme dar, das Stadtklima in Zeiten steigender Erderwärmung positiv zu beeinflussen und den CO2-Ausstoß zu senken. „Verliert die Stadt München, die zu den am meisten versiegelten Städten Deutschlands gehört, immer mehr große Laubbäume, wird sich die Stadt in den heißer werdenden Sommern so stark aufheizen, dass Gesundheit und Lebensqualität ihrer Bewohner ernsthaft bedroht sind“, mahnt Dorit Zimmermann vom Arbeitskreis Baumschutz der Kreisgruppe München.
Trotz des Wissens um die Klimarelevanz vitaler Großbäume wurden in München im Laufe der letzten zehn Jahre über 80.000 Bäume gefällt. Es sind zwar rund 60.000 Bäume nachgepflanzt worden, aber erstens nicht dort, wo die Bäume einmal standen, und zweitens brauchen die neu gepflanzten Bäume Jahrzehnte, bis sie den positiven Effekt der zuvor gefällten Bäume erreichen. Ob sie in Zeiten zunehmender Hitze und Trockenheit die ersten kritischen Jahre überleben, ist eine andere Frage. Unterm Strich wurden 20.000 gefällte Bäume in München nicht ersetzt. Kein Wunder, dass laut einer Studie der TUM in heißen Sommernächten Münchens Innenstadt bereits jetzt um bis zu 10 Grad wärmer ist als das Umland.
Auf dem städtischen Grundstück zwischen Schrenk- und Westendstr., dem Köskgarten, droht den Bäumen das gleiche Schicksal wie im übrigen Stadtgebiet. Seit 60 Jahren wachsen und gedeihen dort 27 v.a. Laubbäume: mehrere Linden, Zieräpfel, Rotbuchen und Ahorne, ein Walnussbaum, eine Maulbeere, ein Kirschapfel, eine Salweide, zwei Gingkos, zwei Eiben und das Herzstück des Westends: eine mächtige, vitale morgenländische Platane, die im Sommer Schatten und Feuchtigkeit spendet. Bei dem Areal handelt es sich um einen kleinen Park mit einer Fläche von ca. 500 m². Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte sind die Kronen der Bäume zu einem nahezu geschlossenen Blätterdach zusammengewachsen. Sie stellen für die Anwohnenden gerade in den immer heißer werdenden Sommern – die Hitzetage mit über 30 °C nehmen jährlich zu – eine Schattenoase dar. Eine 60 Jahre alte Linde hat aufs Jahr gesehen die gleiche Kühlleistung wie 140 Kühlschränke, ein ausgewachsener Laubbaum verdunstet an einem heißen Sommertag rund 400 Liter Wasser und kühlt so seine Umgebung ab. Deshalb ist der Verlust von 27 vitalen Großbäumen eine Katastrophe für das Westend – den Stadtteil mit der dritthöchsten Einwohnerdichte und dem geringsten Anteil an Grünflächen pro Einwohner. Nach zwei Hitzesommern wird deutlich, wie wichtig Grünflächen und Bäume für das Stadtklima sind. Sie sind unerlässlich, um die Folgen des Klimawandels abzufedern und für die Bewohner der Stadt erträglich zu machen.
Bei dem geplanten Bauvorhaben handelt es sich um einen Neubau mit sechs Nutzungseinheiten: Multikulturelles Jugendzentrum, Sporthalle, Geschäftsstelle des Kreisjugendrings München-Stadt, Wohneinheiten für das Projekt „Jugendwohnen“, Angebot der Kindertagespflege mit „Mobiler Tagesbetreuungsperson“ sowie eine Kindertageseinrichtung mit zwei Hortgruppen. Zusätzlich sollen 17 Stellplätze geschaffen werden.
Die Notwendigkeit, für Kinder und Jugendliche Wohn-, Betreuungs- und Freizeitmöglichkeiten zu schaffen, wird nicht angezweifelt. Es geht einzig darum, ob es in Zeiten zunehmender Erderwärmung und des fortschreitenden Klimawandels nicht möglich sein sollte, Baurecht und Baumrecht zusammen zu denken. Beides muss und darf sich nicht länger ausschließen, gerade, wenn es um das Wohl von Kindern und Jugendlichen geht.
Vor diesem Hintergrund fordert die Kreisgruppe München:
- Das geplante Bauvorhaben in seiner Dimension zu überdenken und den Erfordernissen des Klimawandels anzupassen. Auch wenn Baurecht vor Baumrecht geht, muss die Stadt München ihr Baurecht nicht voll ausschöpfen. Der Bauraum könnte auf die Ausdehnung des aktuell auf dem Areal befindlichen Gebäudes beschränkt werden, sodass die wertvollen Bäume für die dort betreuten und wohnhaften Kinder und Jugendlichen sowie für nachfolgende Generation erhalten werden können. Stattdessen könnte in die Höhe gebaut werden, sofern der Raumbedarf dies erfordert. Damit würde nicht noch mehr kostbare Fläche im Westend versiegelt
- Zu prüfen, ob all die gewünschten Nutzungseinheiten zwingend auf dem Areal des Köskgartens untergebracht werden müssen. Womöglich gibt es im Westend Leerstände, die entsprechend genutzt werden könnten. Umwidmung und Sanierung bestehender Gebäude tragen dazu bei, die CO2-Belastung beim Bau zu reduzieren. Fast 40 % des weltweiten Treibhausgases werden von der Baubrancheverursacht. Auch damit könnte die Stadt München ihr ehrgeiziges Ziel, bis 2035 klimaneutral zu werden, voranbringen.
- Den Bebauungsplan für das Areal zwischen Schrenk- und Westendstraße unter der Prämisse maximalen Baumerhalts sowie unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 2021 zu überarbeiten.
- Die Bereitstellung von 17 Stellplätzen für PKW im Sinne des Konzepts einer „fahrradfreundlichen Stadt“ zu überdenken und stattdessen ausreichend Stellplätze für Fahrräder und Lastenräder zu schaffen. Das Westend ist durch den ÖPNV gut erschlossen.
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