Zahlenfetisch statt Herdenschutz
„Egal wie hoch oder niedrig sogenannte Referenzwerte sind, für das alltägliche Nebeneinander von Wolf und Mensch in der deutschen Kulturlandschaft sind sie irrelevant. Die teils zwanghafte Fetischisierung auf Bestandszahlen bei der Wolfsdebatte ist weder für den Artenschutz noch für die Weidtierhalter zielführend. Sogenannte Referenzwerte zum günstigen Erhaltungszustand sagen zwar etwas darüber aus, wie es der Art hierzulande gehen sollte, damit sie dauerhaft eine Perspektive in unserem Land hat, jedoch läuft man damit Gefahr, populistische Debatten über Obergrenzen oder Wolfsfreie Zonen zu befeuern. Die Mensch-Tier-Konflikte in Deutschland können nur befriedet werden, wenn die Schafs- und Weidertierhalter:innen stattdessen nicht länger mit ihren Herausforderungen und Problemen, von denen der Wolf nur eines ist, allein gelassen werden und Herdenschutzmaßnahmen flächendeckend umgesetzt werden.
Der WWF sieht hier auch Versäumnisse seitens der Bundesländer, die nicht alle finanziellen Möglichkeiten ausschöpfen. So können etwa mit EU-Agrarmitteln sogar die Gehälter von Hirten finanziert werden. Zudem sind die Förder-Richtlinien vieler Bundesländer nach wie vor nicht praxistauglich – etwa dort, wo Tierhalter außerhalb sogenannter Wolfsgebiete keine Förderung für den Herdenschutz erhalten, die zusätzliche Arbeit für den Herdenschutz nicht honoriert wird, oder Förderpauschalen zu gering sind. Die derzeitige Gesetzgebung, mit den von Steffi Lemke jüngst vorgeschlagenen Anpassungen, ermöglicht zudem die Entnahme von verhaltensauffälligen Konflikt-Wölfen. Die Irrelevanz angeblicher Referenzwerte in der Wolfsdebatte wird sowohl durch handfeste Erfahrungen aus der alltäglichen Praxis wie auch durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt.“
Hintergrundinformationen
Interessengemeinschaft Herdenschutz plus Hund (Sachen-Anhalt): In Sachsen-Anhalt hat das Projekt „Interessengemeinschaft Herdenschutz plus Hund“ einen Leuchtturm-Charakter für andere Bundesländer. Dort unterstützt der WWF die 54 Mitglieder, die beinahe die Hälfte der 57.000 Schafe in Sachsen-Anhalt halten. Das eindeutige Ergebnis: In keinem der Mitgliederbetriebe sind mit Beginn der Maßnahmen Verluste durch Wölfe aufgetreten. Die Mitgliedsbetriebe beraten sich gegenseitig und helfen einander bei der Errichtung wolfsabweisender Schutzmaßnahmen.
Auswertung Herdenschutz Niedersachsen: Eine WWF-Auswertung für 2022 kommt zu dem Ergebnis, dass bei 194 Übergriffen auf Schafe, bei denen der Wolf als Verursacher bestätigt bzw. nicht ausgeschlossen werden konnte, in 126 Fällen kein Grundschutz vorhanden war. In elf Fällen war dieser beeinträchtigt. In 55 Fällen war der sogenannte Grundschutz vorhanden. Bei zwei Fällen konnten keine genauen Angaben gemacht werden. Das vom WWF unterstützte NABU-Projekt „Herdenschutz Niedersachsen hat zudem seit Beginn der Aktivitäten im Jahr 2017 bisher über 350 Weidetierhaltungen zur Umsetzung effektiver Herdenschutzmaßnahmen beraten und mehr als 160 von diesen beim wolfsabweisenden Zaunbau durch geschulte Ehrenamtliche unterstützt. Dabei wurden über 350 Weiden mit fast 1700 Hektar Fläche durch ca. 400 km moderne, wolfsabweisende Zäune geschützt. Ergebnis dort bei entsprechender Installation und Pflege: Keine Übergriffe.
Studie zu Wolfsabschüssen in der Slowakei: Ziel der Studie „Testing a conservation compromise“ war es, einen in der Slowakei angenommenen Kompromiss zur Bestandserhaltung zu testen, der auf einer öffentlichen Wolfsbejagung und jährlichen Abschussquoten zwischen 2014 und 2019 beruhte. Untersucht wurde, ob die Wolfsjagd Übergriffe auf Viehbestände beeinflusst. Mit zwei verschiedenen Ansätzen konnte kein Zusammenhang zwischen der Anzahl der getöteten Wölfe und den Verlusten an Nutztieren festgestellt werden. Durch die Bejagung von Wölfen konnte die Zahl der Nutztierrisse also nicht reduziert werden. Seit 2021 wird in der Slowakei keine öffentliche Wolfsjagd mehr durchgeführt. The Society for Conservation Biology (wiley.com)
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