Finanzen / Bilanzen

Grüne Transformation und Schuldenbremse: Implikationen zusätzlicher Investitionen für öffentliche Finanzen und privaten Konsum

Das deutsche Klimaschutzgesetz sieht unter anderem vor, dass die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland bis zum Jahr 2030 um 65% gegenüber dem Jahr 1990 verringert werden. Die für dieses Ziel erfor­derlichen grünen Investitionen dürften jährlich etwa 2,5% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt ausmachen. Die damit verbundenen zusätz­lichen staatlichen Ausgaben für öffentliche Investitionen und Förder­maßnahmen werden nach der mittelfristigen Projektion des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) nicht aus dem zu erwartenden Steueraufkommen finanzierbar sein. Daher ist damit zu rechnen, dass die steuerliche Belastung der Haushalte zunehmen und der private Konsum entsprechend gedämpft wird, sofern an der gegen­wärtigen Form der Schuldenbremse und den Treibhausgasminde­rungszielen gleichzeitig festgehalten wird.

Soll die im deutschen Klimaschutzgesetz geforderte Reduktion der Treibhausgas-Emissionen erreicht werden, ist mit weitreichenden Konsequenzen für die gesamt­wirtschaftliche Entwicklung und die öffentlichen Finanzen zu rechnen. Mit Hilfe eines makroökonomischen Modells kann gezeigt werden, welche Konsequenzen jährliche Investitionen in der Größenordnung von 2,5% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt hätten. Als Vergleichsmaßstab dient ein Szenario, in dem es zu keinen weiteren Klima­schutzmaßnahmen kommt, die über den bisherigen Trend hinausgehen und in dem die Klimaschutzziele verfehlt werden. In diesem Fall nimmt das Bruttoinlandsprodukt bis zum Jahr 2030 um 0,75% pro Jahr und damit etwas schwächer als in den vergange­nen Jahren zu.

Um die Treibhausgasminderungsziele tatsächlich zu erreichen, muss die Nutzung fossiler Energieträger stärker abnehmen, als sich bislang abzeichnet. Dies könnte grundsätzlich über einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien kom­pensiert werden. „Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich die Geschwindigkeit des Ausbaus erneuerbarer Energien verdoppelt, wächst das Bruttoinlandsprodukt mit jährlich knapp 0,5% langsamer als im Szenario ohne weitere Klimaschutzmaß­nahmen“, sagt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vize­präsident des IWH. Zur Abschätzung der Effekte auf den privaten Konsum wird angenommen, dass der Anstieg der von den Privaten getragenen Kosten der grünen Investitionen zu Lasten der übrigen privaten Investitionstätigkeit geht, dass der Staat über Subventionierung privater und Ausweitung öffentlicher Investitionen zwei Drittel der gesamten Investitionskosten trägt, und dass er, um die Schulden­bremse einzuhalten, die Besteuerung der privaten Haushalte entsprechend erhöht. In diesem Fall gehen die höheren Investitionen zu Lasten des privaten Konsums, der je Einwohner stagniert, statt wie im Szenario ohne Einhaltung der Klimaziele um jährlich 0,2% zu steigen. Die Staatseinnahmenquote steigt in diesem Fall von 47% im Jahr 2022 auf knapp 51% im Jahr 2030 statt auf 49% im Szenario ohne weitere Maßnahmen. Weniger belastet würde der private Konsum bei einer Finanzierung der Investitionen über öffentliche Defizite. Insoweit ausländische Kapitalanleger in die aufgelegten Staatstitel investierten, würde der hohe deutsche Leistungsbilanz­überschuss ein Stück weit zurückgehen. In der Folgezeit wären freilich höhere staat­liche Zinsausgaben fällig. Werden keine zusätzlichen Investitionen vorgenommen und die Klimaziele über eine Beschränkung des Einsatzes fossiler Energieträger trotzdem eingehalten, stagniert das Bruttoinlandsprodukt, und der private Konsum geht leicht zurück.

Die Langfassung der Prognose enthält einen Kasten zur Revision des Produktions­potenzials, zu den Rahmenbedingungen und Annahmen der Projektion sowie zur formalen Struktur des verwendeten Wachstumsmodells.

Kasten 1: Zur Revision des Produktionspotenzials

Kasten 2: Rahmenbedingungen und Annahmen der Projektion

Kasten 3: Modellbeschreibung

Langfassung

Andrej Drygalla, Katja Heinisch, Oliver Holtemöller, Axel Lindner, Alessandro Sardone, Christoph Schult, Birgit Schultz, Götz Zeddies: Grüne Transformation und Schulden­bremse: Implikationen zusätzlicher Investitionen für öffentliche Finanzen und privaten Konsum, in: IWH, Konjunktur aktuell, Jg. 11 (4), 2023, 141‒159. Halle (Saale) 2023.

Über Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)

Die Aufgaben des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sind die wirtschaftswissenschaft­liche Forschung und wirtschaftspolitische Beratung auf wissenschaftlicher Basis. Das IWH betreibt evi­denzbasierte Forschung durch eine enge Verknüpfung theoretischer und empirischer Methoden. Dabei stehen wirtschaftliche Aufholprozesse und die Rolle des Finanzsystems bei der (Re-)Allokation der Pro­duktionsfaktoren sowie für die Förderung von Produktivität und Innovationen im Mittelpunkt. Das Insti­tut ist unter anderem Mitglied der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, die halbjährlich Gutachten zur Lage der Wirtschaft in der Welt und in Deutschland für die Bundesregierung erstellt.

Das IWH ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 97 eigenständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Aufgrund ihrer gesamt­staatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Weitere Informationen unter www.leibniz-gemeinschaft.de.

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