Neue Erkenntnisse zum Mikrobiota-Keim Bacteroides thetaiotaomicron unter Gallenstress
Bacteroides thetaiotaomicron gehört zu den dominierenden Bakterienarten der menschlichen Darmmikrobiota. Die Mikroben sorgen für den Verdau von Polysacchariden und sind der Gesundheit des Menschen zuträglich, sie können aber auch Infektionen verursachen oder diese begünstigen. Als Modellorganismus zunehmend im wissenschaftlichen Fokus, ist das Verständnis der Genfunktionen in B. thetaiotaomicron bislang noch unzureichend. Das trifft insbesondere auf die nicht-kodierenden Gene dieses Darmkeims zu. Diese werden in kleine, nicht-kodierende Ribonukleinsäuren (kurz: sRNAs, von Engl.: small ribonucleic acids) umgeschrieben, aber nicht in Proteine übersetzt.
„Die nützlichen Bakterien, die in unserem Darm leben, wirken sich auf unser Wohlbefinden und gegebenenfalls auch auf Erkrankungen aus, aber wir wissen noch nicht genau, wofür das Gros ihrer DNA bestimmt ist“, erläutert Alexander Westermann den Hintergrund der Studie, die im Fachmagazin PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences) erschienen ist. Angesichts der wichtigen Funktionen, die die nicht-kodierenden Erbgut-Regionen bei der Infektion durch pathogene Erreger haben, könne man jedoch davon ausgehen, dass sie bei nützlichen Bakterien wie Bacteroides eine ähnliche Schlüsselrolle spielen, so Westermann. Der Professor, der die Studie initiiert hat, ist Forschungsgruppenleiter am Würzburger Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), einem Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
Mangel an gezielten Therapieansätzen
Auf die Darmmikrobiota ausgerichtete therapeutische Interventionen zum Wohle der Gesundheit sind durch das fehlende Verständnis der bakteriellen Genfunktionen noch begrenzt. „Die Wissenschaft hat die Bedeutung von sRNA-Genen bei Bakterien erkannt, bislang fehlten jedoch geeignete Werkzeuge für ihre globale funktionelle Charakterisierung“, sagt Westermann.
Um hier anzusetzen, haben Wissenschaftler:innen des Westermann-Labors in Zusammenarbeit mit der Abteilung von Chase Beisel am HIRI ein biochemisches Verfahren, die CRISPR-Interferenz (kurz: CRISPRi), angewandt. CRISPRi ermöglicht es, die Expression ausgewählter Gene mithilfe künstlich entworfener Leit-RNAs zu blockieren, sodass die entsprechenden Gene quasi ausgeknockt werden und inaktiv bleiben.
„Trotz laufender Versuche wurde CRISPRi unseres Wissens bisher noch nicht für ein systematisches funktionelles Screening von Genen in Bacteroides thetaiotaomicron genutzt“, sagt Gianluca Prezza, Erstautor der Studie und Doktorand im Labor von Alexander Westermann.
Eine bisher nicht charakterisierte Ribonukleinsäure
Die Forschenden haben mit CRISPRi eine gezielte Knock-down-Bibliothek des intergenen sRNA-Repertoires dieser bedeutenden Darmkeime generiert. Im anschließenden Screening identifizierten sie eine bisher nicht charakterisierte sRNA. Diese reguliert Gene, die am Aufbau der Zelloberfläche der Mikroben beteiligt sind und eine erhöhte Empfindlichkeit der Bakterien gegenüber Gallensalzen hervorrufen. Gianluca Prezza: „Wenn wir die identifizierte RNA, genannt BatR, unterdrücken, sehen wir, dass die Widerstandsfähigkeit der Keime gegenüber Gallenstress erhöht wird.“
Insgesamt birgt die vorgelegte Leit-RNA-Bibliothek das Potenzial, die Genfunktionen von Bacteroides unter einer Vielzahl von Versuchsbedingungen systematisch aufzudecken. „Unsere Arbeit veranschaulicht den Nutzen von CRISPRi für die funktionelle Charakterisierung von sRNAs und legt den Grundstein für die gezielte Abschaltung von Genen in diesen für die Darmgesundheit zentralen Bakterien“, resümiert Alexander Westermann. Zugleich sei die Basis für die Anwendung dieses Ansatzes auch in anderen Bakterienarten geschaffen.
Förderung
Die Studie wurde aus Mitteln des Europäischen Forschungsrats (ERC) unterstützt (ERC Starting Grant an Alexander J. Westermann; ERC Consolidator Grant an Chase L. Beisel).
Originalpublikation
Prezza G, Liao C, Reichardt S, Beisel CL, Westermann AJ: CRISPR-based screening of small RNA modulators of bile susceptibility in Bacteroides thetaiotaomicron. PNAS (2024), DOI: 10.1073/pnas.2311323121
https://doi.org/10.1073/pnas.2311323121
Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung:
Das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) ist die weltweit erste Einrichtung ihrer Art, die die Forschung an Ribonukleinsäuren (RNA) mit der Infektionsbiologie vereint. Auf Basis neuer Erkenntnisse aus seinem starken Grundlagenforschungsprogramm will das Institut innovative therapeutische Ansätze entwickeln, um menschliche Infektionen besser diagnostizieren und behandeln zu können. Das HIRI ist ein Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und befindet sich auf dem Würzburger Medizin-Campus. Weitere Informationen unter www.helmholtz-hiri.de.
Wissenschaftler:innen am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen in Braunschweig und an anderen Standorten in Deutschland bakterielle und virale Infektionen sowie die Abwehrmechanismen des Körpers. Sie verfügen über fundiertes Fachwissen in der Naturstoffforschung und deren Nutzung als wertvolle Quelle für neuartige Antiinfektiva. Als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) betreibt das HZI translationale Forschung, um die Grundlagen für die Entwicklung neuartiger Therapien und Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten zu schaffen. www.helmholtz-hzi.de
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