Peter Grau 1928–2016. Die Radierungen
Geheimnisvoll und unheimlich zugleich ziehen Peter Graus Arbeiten in ihren Bann. Im Spannungsfeld zwischen Licht und Schatten, Schwarz und Weiß bringt er seine Botschaften eindrucksvoll auf Papier und lässt dabei viel Raum für Interpretationen und Assoziationen. Als Zeichner und Radierer wusste Grau, der von 1968 bis 1994 als Professor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart lehrte, seine gestalterischen Mittel virtuos einzusetzen. „Peter Graus Kunst kreist nicht selten um existentielle Fragen,“ beschreibt Dr. Sebastian Schmidt, Kurator der Ausstellung. „Es scheint, als ob er den Platz des Menschen in der Welt ausloten wollen würde. Dabei kommen menschliche Figuren in seinen Darstellungen vielfach gar nicht vor.“ Landschaften, Tiere und Architektur stehen dagegen im Mittelpunkt der gezeigten Werke.
Im großen Saal vereint die Kabinettausstellung eine Auswahl an über 40 Radierungen. Dies ist etwa ein Viertel der Schenkung, die die Familie des Künstlers dem KOG 2023/24 überreichte. Zusammen mit dem bereits seit längerem vorliegenden Bestand an Graus Arbeiten verwahrt die Grafische Sammlung mehr als 200 Drucke und Zeichnungen des Künstlers. Die Radierungen sind dank der jüngsten Schenkung im KOG nun fast komplett versammelt. Die Regensburger Exemplare dienten als Vorlage für die Abbildungen im Nachlassverzeichnis, das Michael Davidis über Graus Radierwerk verfasste. Die kürzlich erschienene Publikation wird begleitend zur Ausstellung verkauft.
Die Radierung
Mit der Technik der Radierung beschäftigte sich Peter Grau intensiv über zwei Jahrzehnte hinweg von den 1960er bis in die 1980er Jahre. Über die Zeit erprobte er verschiedene Möglichkeiten dieses druckgrafischen Verfahrens und erweiterte sein Repertoire entsprechend seinem künstlerischen Vorhaben. Zunächst ritzte er die Vertiefungen für die Druckfarbe vorwiegend direkt mit der Nadel in die metallenen Druckplatten. Neben der Technik der Kaltnadelradierung bediente er sich später auch der klassischen Strichätzung und weiterer Ätzverfahren. Das ermöglichte ihm nicht nur Linien, sondern auch Grauwerte und wolkige Effekte zu erzielen. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist „Die steinerne Brücke“ aus dem Jahr 1979. Es zeigt die Regensburger Sehenswürdigkeit verfremdet, wie eingetaucht in die Elemente Wasser und Luft. Das Blatt bildet den Auftakt der Ausstellung. An mehreren Stellen werden den jeweiligen finalen Fassungen Zustandsdrucke gegenübergestellt. So kann man nachvollziehen, wie der Künstler vorging, um zur gewünschten Wirkung zu gelangen.
Die Ausstellung
Als Leitfaden für die Präsentation griff Kurator Dr. Sebastian Schmidt wiederkehrende Motive auf, welche sich über Graus gesamtes OEuvre erstrecken. Dadurch ergeben sich sechs Themen, die jeweils an einer der Wände im großen Ausstellungssaal des KOG aufgefächert werden.
Es sind nur wenige Arbeiten, in denen sich Peter Grau auf seine Tätigkeit an der Stuttgarter Kunstakademie bezog. Bemerkenswert ist, dass er hierfür besonders große Papierformate verwendete. Unter den vier Blättern in der Ausstellung fällt „Der große Hof der Akademie“ auf. Humorvoll und gekonnt erfasste er hier mit feiner Linienzeichnung das bunte Treiben. Die große Menge an Menschen, die verschiedenen, teils skurrilen Tätigkeiten nachgehen, sowie ein Sammelsurium an merkwürdigen Fahrzeugen erinnern an ein Wimmelbild.
Zusammen mit seinen Studierenden besuchte Peter Grau gerne den zoologisch-botanischen
Garten „Wilhelma“. Errichtet hatte den Landschaftspark König Wilhelm I. von Württemberg im 19. Jahrhundert. Auf ihn gehen auch die Gebäude im so genannten „Maurischen Stil“ zurück, die sich in Graus Radierungen wiederfinden. Die Bauten, teilweise im 2. Weltkrieg durch Bombenangriffe beschädigt und allmählich zurückerobert durch die Natur, wurden inzwischen von exotischen Tieren bewohnt. Die melancholische Stimmung der Anlage inspirierte Grau zu mehreren Radierungen. Sieben davon finden sich in der Ausstellung.
Überhaupt erfüllt die Architektur in Graus Darstellungen eine wichtige Rolle. Er überzeichnet das Äußere menschenleerer Häuser. Windschief trotzen sie der Natur oder führen scheinbar ein Eigenleben wie das „Augenhaus“. Finstere Öffnungen lassen Unheilvolles im Inneren erahnen. Die bizarren Fassaden regen die Fantasie an, Geschichten über die Erbauer oder die Bewohner zu spinnen.
Das Tier ist ein weiteres wichtiges Motiv in Graus Schaffen. Auch die Kreaturen macht er zu Trägern von Emotionen und Gefühlen, die die Betrachterinnen und Betrachter leicht nachempfinden können: Die Freiheit und Entschlossenheit jagender Hunde, die Hoffnungslosigkeit zusammengepferchter Schlachttiere in einem von monströsen Artgenossen bewachten lagerartigen Hof, die Einsamkeit und das Ausgeliefertsein eines verlassenen jungen Seehundes, das Respekt und Angst einflößende Gehabe des Fischwesens, das sein Unterwasserrevier bewacht.
Die Nordseeinsel Amrum lieferte Peter Grau ähnlich wichtige Anregungen wie die Stuttgarter „Wilhelma“. Die wilde, raue Küste erscheint wie ein Gegenpool zu der kulturell überformten Natur in der Großstadt. Doch auch an der See finden sich Spuren menschlicher Bautätigkeit. Die Witterung und Gezeiten haben die Landschaft als mächtige Naturgewalten im Griff. Der Mensch ist ihnen ausgeliefert wie jene nackte Gestalt, die sich in einem der Blätter mühsam durch ein Unwetter kämpft.
Die letzte Wand überschrieben mit „Letzte Dinge“ vereint Darstellungen zur biblischen Apokalypse sowie zur mythologischen Gestalt des Totenfährmanns Charon. Die umfangreiche Serie zur Offenbarung des Johannes schuf Grau zu Beginn seiner Tätigkeit als Radierer bis Mitte der 1960er Jahre. Er veranschaulichte zum einen beliebte Themen der Kunstgeschichte, wie die „Reiter“ oder „Das sechste Siegel“. Zum anderen fand er auch eindrückliche Lösungen für seltener dargestellte Passagen des Textes. Darunter etwa die beiden Fassungen von „Der brennende Berg“.
Biografisches
Peter Grau wurde 1928 in Breslau / Wrocław, heute Polen, geboren. Von 1946 bis 1952 studierte er bei Willi Baumeister an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Ab 1950 besuchte er parallel die Staatliche Hochschule für Musik, wo er 1955 ein Studium der Violine abschloss. Für seinen künstlerischen Werdegang spielte ein Stipendienaufenthalt 1965/66 an der Cité Internationale des Arts Paris eine wichtige Rolle. 1968 wurde er als Professor an die Stuttgarter Kunstakademie berufen, an der er bis zu seiner Pensionierung 1994 wirkte.
Eine Zusammenarbeit mit dem Kunstforum Ostdeutsche Galerie begann 1974. Damals erhielt Peter Grau die heute nicht mehr vergebene Ehrengabe des Lovis-Corinth-Preises. Mehrere seiner Arbeiten waren daraufhin 1981/82 in der Ausstellung „Meisterwerke der Zeichnung aus den Sammlungen der Ostdeutschen Galerie“ zu sehen. 1982 zeigte er eine Einzelausstellung, die seine „Regensburger Blätter“ vorstellte – eine Serie an großformatigen Federzeichnungen von 1978/79. Diese wurden damals von dem Künstler angekauft. Einige zusammenhängende Skizzen schenkte er dem Museum. 2016 ist Peter Grau in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart verstorben.
Programm
Am Sonntag, den 3. März um 15 Uhr, lädt das KOG zu einer Expertenführung mit dem Verfasser des Nachlassverzeichnisses, Dr. Michael Davidis. Neben den ausgestellten Arbeiten stellt er weitere von Graus Radierungen aus der Schenkung vor, die exklusiv für diesen Anlass ergänzend zu der Ausstellung präsentiert werden. Ein weiteres Highlight des Programms ist die Kuratorenführung mit Dr. Sebastian Schmidt am Donnerstag, 14. März um 18.30 Uhr. Den Abend rundet ein Get-together an der Getränkebar ab. Die Sonntagsführungen bietet das KOG ab dem 11. Februar im Zweiwochenrhythmus jeweils um 15 Uhr an. Die Termine sind am 25. Februar und 17. März an. Eine Führung finden auch am Ostermontag, 1. April, um 15 Uhr statt, sowie am letzten Ausstellungstag, Sonntag, den 7. April. Die beliebten Mittagsführungen gibt es jeweils mittwochs am 21. Februar, 6. März, 20. März und 3. April um 13 Uhr.
Kunstforum Ostdeutsche Galerie
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