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Aus der Vergangenheit für die Zukunft der Logistik lernen

Mit dem Forschen im Elfenbeinturm hat es Prof. Dr. Alice Kirchheim nicht so, dafür aber ganz praktisch mit dem Erforschen von Türmen aus Paketen, Päckchen oder Kaffeesäcken. Wie lassen sich beispielsweise im Hafen Container effizienter be- und entladen? Seit März 2019 lehrt die Professorin für Prozessmanagement im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule Aalen und ist dabei, eine Forschungsgruppe zum Thema „Autonomisierung in der industriellen Logistik“ aufzubauen. Unterstützt wird sie durch das Förderprogramm EXPLOR der Stiftung Kessler + Co. für Bildung und Kultur. Die Stiftungsmittel sollen neu berufenen Professorinnen und Professoren beim Aufbau ihrer Forschungsgruppen helfen.

Wer komfortabel im Internet ein paar Schuhe bestellt oder im Supermarkt ganz selbstverständlich nach der Packung Spaghetti greift, vergisst schnell, dass im Hintergrund ein immenser Aufwand an Planung und Logistik für diese Annehmlichkeiten betrieben wird. „Die Effizienz solcher Prozesse ist einer der zentralen Punkte für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen“, sagt Prof. Dr. Alice Kirchheim. Die Professorin, die im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule Aalen lehrt, beschäftigt sich mit der Optimierung von Prozessketten in logistischen Systemen. Im Mittelpunkt steht dabei die automatische Be- und Entladung von Stückgütern.

Denn in vielen Bereichen der Industrie und des Handels mit hohem Güterumschlag werden zwar moderne und hochautomatisierte förder- und lagertechnische Geräte eingesetzt. Doch bei der Übergabe an den Transport hört die Automatisierung meist auf – und Gabelhubwagen oder Stapler kommen zum Einsatz. So verursacht vor allem bei Stückgütern die noch oft sehr umständliche und langwierige Handhabung während der Be- und Entladung hohe Kosten. „Die wirtschaftliche Optimierung muss technisch umgesetzt werden“, betont Prof. Dr. Alice Kirchheim. In der Logistikbranche werden bereits seit einigen Jahren über Sensoren eine Unmenge an Daten zu Größe, Form und Gewicht des Stückguts erfasst. Diese Daten sind bislang nur unzureichend analysiert worden. Um diese Lücke in der Automatisierung der Be- und Entladeprozesse zu schließen, möchte die Wissenschaftlerin jetzt Methoden des Machine Learning einsetzen. „Mit den Sensordaten steht uns ein wahrer Schatz zur Verfügung – wir können sozusagen aus der Vergangenheit für die Zukunft der Logistik lernen“, sagt die 40-Jährige begeistert.

Mit Unterstützung durch das Förderprogramm EXPLOR der Stiftung Kessler + Co. für Bildung und Kultur aus Abtsgmünd baut Alice Kirchheim derzeit eine Forschungsgruppe zu diesen Themen auf. Rund 40.000 Euro gehen jetzt an sie. „Dafür bin ich sehr dankbar. Das ist ein großer Anschub für die eigenen Forschungsaktivitäten“, freut sich die Wissenschaftlerin. Der Transfer von grundlagenorientierten Forschungsergebnissen in die industrielle Anwendung treibt sie an. „Das finde ich unglaublich spannend und interessant, der Elfenbeinturm ist nicht so meine Welt. Am Ende muss etwas herauskommen, das funktioniert“, sagt die gebürtige Hamburgerin und lacht. Zwar vermisst sie die Küste, aber sie hat sich „bewusst für den Süden entschieden“. Und für die Hochschule Aalen. „Die Forschungsstärke der Hochschule war für mich das ausschlaggebende Kriterium, diese Professur anzunehmen. Hier gibt es ein fruchtbares Umfeld, das einem viele Möglichkeiten bietet.“

Dabei standen Sensordaten, Algorithmen, Logistik und Forschung zunächst nicht auf dem Zukunftsplan von Prof. Dr. Alice Kirchheim. Nach dem Abitur wusste sie erst nicht so richtig, welchen beruflichen Weg sie einschlagen sollte und entschied sich für eine Lehre zur Bankkauffrau. Aber ein ganzes Berufsleben bei der Bank verbringen, das konnte sie sich dann doch nicht vorstellen. „Ich bin aber froh, dass ich die Ausbildung durchgezogen habe. Von dem Wissen, ob beruflich oder privat, profitiere ich heute noch“, stellt Alice Kirchheim fest. Schließlich betreffe das Thema Finanzen alle möglichen Lebensbereiche. Anschließend studierte sie an der Technischen Universität Hamburg Informatikingenieurwesen. „Schon während meiner Bankausbildung fand ich die Aufgaben der EDV und wie die Computer miteinander vernetzt sind, total interessant.“ Und mit einem Funkeln in den Augen erinnert sich die Professorin an den Jahreswechsel 2000 und die hochspannende Frage, ob die Computersysteme abstürzen würden. „Damals herrschte ja sozusagen Weltuntergangsstimmung“, sagt Kirchheim und lacht. Algorithmen sind ein Thema, das die dynamische Frau schon lange fasziniert: „Programmieren ist toll – da wird Informatik greifbar und richtig lebendig! Etwas gestalterisch zu tun, was einen Effekt hat, macht großen Spaß.“

Ihrem Faible für Algorithmen sowie der Bild- und Signalverarbeitung blieb Alice Kirchheim auch nach dem Studium treu, als sie nach einer Promotionsstelle suchte. „Ich wollte auf jeden Fall eine Arbeit mit Anwendungsbezug haben. Etwas, das mit dem realen Leben zu tun hat. So bin ich in der Logistik gelandet“, erklärt die 40-Jährige und fügt mit einem herzlichen Lachen hinzu: „Auch wenn es viele vielleicht nicht glauben können, aber Logistik ist sexy!“ Im Anschluss an ihre Promotion am Bremer Institut für Produktion und Logistik ging sie zunächst für ein paar Jahre in die Industrie, arbeitete unter anderen für die Dematic GmbH und die Still GmbH. „Doch der Sirenengesang der Wissenschaft wurde immer lauter“, schmunzelt Kirchheim, „die Freiheit von Wissenschaft und Lehre ist ein hohes Gut für mich“. Langfristig und selbstbestimmt an Themen zu arbeiten, unabhängig von Vorgaben, das sei unglaublich motivierend. „Dass ich jetzt durch EXPLOR meine Forschungsaktivitäten aufbauen kann, ist wirklich eine große Hilfe“, betont Alice Kirchheim, „damit wird es uns sicherlich gelingen, die Logistik ein Stückweit zu revolutionieren“.

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