Nachhaltigkeit in Zeiten von Corona: „Die Spreu vom Weizen trennen“
Nach Ansicht Singhals bestimmt sich die Nachhaltigkeit eines Unternehmens auch aus dessen Beziehungen zu unterschiedlichen Stakeholdern, die ihrerseits Auswirkungen auf die Geschäftsentwicklung haben. Zu den Stakeholdern gehören Kunden, Angestellte, Lieferketten sowie die Gemeinschaften und Kommunen, in denen die Unternehmen operieren. Angesichts der Pandemie rücken die Beziehungen zu nicht-finanziellen Stakeholdern besonders in den Mittelpunkt. „Schwache oder sich verschlechternde Beziehungen zu den genannten Stakeholdern sind nicht nachhaltig und schrecken langfristig orientierte Investoren ab. Denn diese schwachen Beziehungen können unter anderem zu einem Verlust des Zugangs zu Talenten, höheren Kosten oder zusätzlicher Regulierung führen“, sagt Singhal. Die Corona-Krise könne zu mehr Klarheit dahingehend führen, welche Unternehmen nachhaltig operieren und welche nicht. Deshalb sei es gerade jetzt wichtig, die Stakeholder-Beziehungen eines Unternehmens genau im Blick zu haben.
So würden einige Unternehmen nun einen Ausgleich zwischen kurzfristiger Profitmaximierung und langfristiger Wertentwicklung suchen. „Beispielsweise hat ein globales Getränkeunternehmen kürzlich in einem Treffen mit uns angekündigt, dass es nicht beabsichtige, seine chinesischen Großhandelskunden für die 2020 erfolgten Bestellungen haftbar zu machen. Es erkennt den Druck an, unter dem Großhändler angesichts der aktuellen Situation stehen“, so Singhal. Solche Formen vertraglicher Nachlässe würden zwar kurzfristig dem Unternehmen aufgrund verzögerter oder möglicherweise komplett verlorener Einnahmen schaden. „Langfristig aber schützt es wichtige Vertriebspartner vor Ort und damit strategisch wichtige Marktzugänge“, gibt Singhal zu Bedenken. Zudem könne ein solches Verhalten dem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil in seinen Hauptvertriebskanälen in China verschaffen, während wichtige Wettbewerber versuchten, die finanziellen Folgen des Schocks mit ihren Vertriebspartnern zu teilen oder gar vollständig an diese weiterzureichen.
Im Pharmasektor beobachtet Singhal, dass die Aktienkurse vieler Diagnose- und Impfstoffhersteller stark gestiegen seien. Einige Marktteilnehmer würden davon ausgehen, dass die Pandemie für Unternehmen in dieser Branche eine signifikante wirtschaftliche Chance darstelle. „Diese Annahme ist möglicherweise fehlgeleitet. Nur sehr wenige Pharmaunternehmen wollen in der Öffentlichkeit als Profiteure dieser weltweiten Notlage dastehen“, sagt Singhal. Tatsächlich hätten einige Unternehmen aus dem Gesundheitssektor öffentlich betont, dass sie medizinische Ausrüstung spenden und besonders betroffenen Regionen finanzielle Unterstützung anbieten wollten. Für die Branche, die zuvor im Fokus politischer und regulatorischer Untersuchung gestanden hatte, könne sich so eine Möglichkeit bieten, ihre Beziehungen zu wichtigen Stakeholdern zu reparieren. Im Luxus-Einzelhandelsbereich hätten die Unternehmen wiederum klargestellt, dass sie mit ihrer Entscheidung zur Schließung von Geschäften nicht auf einen Mangel an Laufkundschaft reagiert hätten, sondern dies proaktiv zum Schutz des Personals erfolgt sei. Einige Vermieter in den betroffenen Teilen Chinas hätten ihren Mietern mietfreie Ferien über mehrere Tage oder sogar Wochen gewährt, um den Schlag der Ladenschließungen für ihre Mieter abzufedern.
Die Beispiele zeigen aus Sicht Singhals, wie wichtig der Zugang zu den Unternehmen sowie ein regelmäßiger und zeitnaher Austausch mit dem Management sei, um den Nachhaltigkeitsansatz der Firmen besser zu verstehen. Angesichts der Komplexität der Weltwirtschaft und oftmals verdeckter Lieferketten sei das besonders wichtig. „Durch die Gespräche können unsere Investmentteams zudem besser beurteilen, wie Unternehmen im Kontext der Pandemie mit ihrem Humankapital umgehen. Wo gerechtfertigt, setzen sich die Teams für ein robusteres Management des Sozialkapitals ein, um Unternehmen beim Aufbau langfristiger, nachhaltiger Werte zu unterstützen“, so Singhal. „Dennoch betreiben viele Unternehmen weiterhin nur verbales und mediales Greenwashing, um ihre Glaubwürdigkeit in puncto Nachhaltigkeit zu verbessern. Die Pandemie könnte jedoch die Relevanz von Nachhaltigkeit als integrativen Bestandteil des Anlageprozesses weiter verstärken und somit Anlegern ermöglichen, die Spreu vom Weizen zu trennen“, schließt Singhal.
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