Vorläufige Ergebnisse der Eltern-Kind COVID-19-Studie in Baden-Württemberg
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der vier Universitätsklinika in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm haben in der vom Land Baden-Württemberg initiierten und finanzierten COVID-19-Kinder-Studie untersucht, wie viele Paare aus je einem Elternteil und einem Kind unbemerkt zum Zeitpunkt der Testung infiziert waren oder bereits Antikörper nach einer überstandenen, aber unbemerkt gebliebenen Corona-Virus-Infektion gebildet hatten.
Acht Wochen nach Start der Studie liegen nun die vorläufigen Ergebnisse vor: ein Eltern-Kind-Paar unter den circa 5.000 Studienteilnehmern wurde zum Zeitpunkt des Tests positiv auf das Corona-Virus getestet. Bei 45 Erwachsenen und 19 Kindern fanden sich Antikörper gegen SARS-CoV-2. Die getesteten Kinder im Alter von einem bis zehn Jahren waren also seltener infiziert als Erwachsene. Weniger als ein Drittel der auf Antikörper positiv getesteten Personen sind Kinder. Bei 13 Eltern-Kind-Paaren waren beide infiziert, d. h. die Erkrankung eines Elternteils führt nicht zwingend zur Erkrankung des Kindes und umgekehrt.
Kein Hinweis auf Kinder als Treiber des Infektionsgeschehens
Anlässlich der Regierungspressekonferenz des Landes Baden-Württembergs am 16. Juni präsentierten Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich, Sprecher des Zentrums für Infektiologie am Universitätsklinikum Heidelberg und Prof. Dr. Klaus-Michael Debatin, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Ulm die bisherigen Ergebnisse. „Zwar gab es Unterschiede zwischen den vier Standorten, aber die Zahl der Personen mit durchgemachter Infektion war an allen vier Standorten niedrig und überall wurden weniger Kinder als Erwachsene positiv getestet", erläutert Hans-Georg Kräusslich. „Zu beachten ist jedoch, dass die Ergebnisse nicht unmittelbar auf die Gesamtbevölkerung übertragbar sind, da die Teilnehmer sich zwecks eines schnellen Studienstarts auf einen Aufruf gemeldet haben und nicht zufällig ausgewählt worden sind", ergänzt er. „Die Daten tragen gemeinsam mit den Ergebnissen anderer Studien aus dem In- und Ausland zur Einschätzung bei, welche Rolle Kinder bei der Ausbreitung der Corona-Pandemie spielen", sagt Klaus-Michael Debatin. „Insgesamt scheinen Kinder demnach nicht nur seltener an COVID-19 zu erkranken, was schon länger bekannt ist, sondern auch seltener durch das SARS-CoV-2-Virus infiziert zu werden."
„Die Studie liefert belastbare Daten zum unerkannten Infektionsgeschehen bei Eltern und Kindern zwischen einem und zehn Jahren in Baden-Württemberg. Auf dieser Grundlage können wir weitere Öffnungsschritte von Kindertagesstätten und Grundschulen verantworten. Es ist mir wichtig, dass wir bei derart drängenden und weitreichenden politischen Entscheidungen auf die hervorragende und hochaktuelle Expertise unserer baden-württembergischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bauen können", fasst Ministerpräsident Winfried Kretschmann zusammen.
Wissenschaftsministerin Theresia Bauer würdigte die Leistung der Universitätskliniken im Land: „In beeindruckender Geschwindigkeit wurde das Design der Studie entwickelt, wenige Tage später startete bereits die Probennahme bei Eltern und Kindern. Dass die Ergebnisse bereits jetzt, nach wenigen Wochen, vorliegen, ist eine großartige Leistung und zeugt von der gewinnbringenden Kooperation und den herausragenden Forschungsleistungen an allen Universitätsmedizin-Standorten. Um einschätzen zu können, ob und welche Rolle Kinder bei der Verbreitung von COVID-19 spielen, haben unsere Unikliniken mit ihrem Ansatz einen wertvollen Baustein für die weltweite Forschung und den weiteren Erkenntnisgewinn geliefert." Die Studie sei auch ein hervorragendes Beispiel dafür, wie eng Politik und Wissenschaft im Kampf gegen das Corona-Virus zusammenarbeiten.
Die Studie, deren Kosten von rund 1,2 Millionen Euro vom Land getragen werden, war vom wissenschaftlichen Beraterkreis zur Corona-Pandemie des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann angeregt worden. Studienstart war am 22. April.
Erfolgreiche Zusammenarbeit der baden-württembergischen Universitätsklinika
Die Teams der vier baden-württembergischen Universitätsklinika haben die Studie gemeinsam konzipiert. Zunächst sollten 2.000 Eltern-Kind-Paare, jeweils 500 pro Standort, eingeschlossen werden. Aufgrund des großen Interesses in der Bevölkerung wurde jedoch aufgestockt. Teilnehmen konnten jeweils ein Elternteil mit Kind im Alter von einem bis zehn Jahren, die im selben Haushalt leben und zuvor nicht an COVID-19 erkrankt oder positiv auf SARS-CoV-19 getestet worden waren. Von beiden wurden je ein Nasen-/Rachenabstrich, um eine aktuelle Virusbelastung festzustellen, und eine Blutprobe entnommen.
Die Tests zur Bestimmung von SARS-CoV-2-Antikörpern im Blut als Nachweis einer überstandenen Infektion waren zum Zeitpunkt des Studienbeginns noch neu und unvollständig validiert. Aus diesem Grund wurden alle Blutproben mit mindestens zwei verschiedenen Testverfahren untersucht und positive beziehungsweise zunächst unklare Ergebnisse mit weiteren Tests bestätigt oder ausgeschlossen.
„Die außerordentliche Resonanz und Unterstützung, die diese Studie von unterschiedlichsten Stellen erfahren hat, hat uns zutiefst beeindruckt. Dadurch konnten wir die Untersuchung in kürzester Zeit durchführen", so Prof. Dr. Philipp Henneke, Leiter der Abteilung für Pädiatrische Infektiologie und Rheumatologie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Freiburg.
Prof. Dr. Axel Franz und Dr. Corinna Engel, Leiter der Studienzentrale für Kinderstudien am Universitätsklinikum Tübingen, ergänzen: „Für die Durchführung solcher vergleichsweise großen Studien benötigen wir im Regelfall mindestens ein halbes Jahr Vorlauf. Dass diese Studie nun in weniger als einer Woche auf die Beine gestellt wurde und nach weiteren knapp zweieinhalb Wochen die Rekrutierung der Studienteilnehmer abgeschlossen war, verdanken wir zahlreichen extrem engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die alles in ihren jeweiligen Bereichen gegeben haben und den vielen tapferen Kindern sowie deren Eltern."
Methoden und vorläufige Ergebnisse online verfügbar, Publikation in Vorbereitung
Eine Veröffentlichung der Ergebnisse der Studie ist in Vorbereitung und wird voraussichtlich im kommenden Monat eingereicht werden. „Die Frage der Öffnung der Kitas, Kindergärten und Schulen ist von so hoher gesellschaftlicher Relevanz, dass wir es für angemessen halten, die vorläufigen Ergebnisse öffentlich vorzustellen, obwohl der übliche Prozess der wissenschaftlichen Prüfung bis zur Publikation noch nicht abgeschlossen ist", erläutert Hans-Georg Kräusslich, Sprecher des Zentrums für Infektiologie am Universitätsklinikum Heidelberg und einer der Studienleiter. Zusammenfassende Beschreibungen der Methoden und vorläufigen Ergebnisse wurden online veröffentlicht, um Forschenden und der interessierten Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, die Grundlage der getroffenen Aussagen zu bewerten.
Die bislang international veröffentlichten Studienergebnisse zur SARS-CoV-2-Infektion bei Kindern sind teilweise widersprüchlich, was ein Anlass für die baden-württembergische Studieninitiative war. In einer bevölkerungsbasierten Studie aus Island fand sich bei keinem Kind unter zehn Jahren eine Corona-Virus-Infektion, während knapp ein Prozent der Erwachsenen positiv getestet wurde (Gudbjartsson et al. 2020). Aus China gibt es dagegen Berichte, dass Kinder vergleichbar häufig infiziert sind wie Erwachsene, jedoch seltener Symptome entwickeln (Bi et al. 2020). Dies führte zu der Befürchtung, dass unerkannte Infektionen von Kindern wichtige Treiber der Ausbreitung sein könnten.
Die Ergebnisse der Studie aus Baden-Württemberg lassen keine Aussage darüber zu, wer sich in einer Familie zuerst angesteckt hat und inwieweit Wohnsituation und Beruf der Eltern hierbei eine Rolle spielen. Eine Fragestellung der Studie war, ob Infektionen bei Kindern, die in Notbetreuungen waren, häufiger auftraten als bei denjenigen, die ausschließlich in der Kernfamilie gelebt hatten. Aufgrund der insgesamt geringen Anzahl von Kindern mit überstandener Infektion unter den Studienteilnehmern war es jedoch schwierig, hierzu signifikante Unterschiede zu finden. Dies muss in einer Folgestudie untersucht werden.
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